In unserer kleinen Sommerreihe über literarische Lieder stellen wir heute ein Musikstück aus Mexiko vor:
Wer das Lied Aventurera von Agustín Lara (2012 neu interpretiert von Natalia Lafourcade) hierzulande hört und vor allem den sehr humorvollen Videoclip dazu sieht, wird wohl an die Überwindung sozialer Konventionen denken, an verdrängte Träume und Wünsche, die sich plötzlich Bahn brechen und die Betreffenden dazu veranlassen, die Mauern der Normen und sozialen Rollen, in denen sie gefangen sind, zu durchbrechen. Bei einer Mexikanerin wird das Lied jedoch noch ganz andere, viel komplexere Assoziationen auslösen. Denn Aventurera war auch der Titel eines sehr bekannten Films unter der Regie von Alberto Gout, der 1950 in die Kinos kam und als Schlüsselwerk des „cine de rumberas“ gilt. Der Name dieses Filmgenres leitet sich ab von den Tanzeinlagen der „rumberas“, Tanzenden, die sich zu afro-karibischen Rhythmen bewegen. Auf eben diese spielt der Song durch die Ukulele an, auf der die Sängerin sich selbst begleitet.
Aber auch der launige Videoclip wird von einer Mexikanerin anders wahrgenommen werden als von einer Deutschen. Denn die darin angedeutete Befreiung der Frau aus dem bürgerlich-katholischen Normenkorsett findet eine Entsprechung in den Inhalten der Rumberas-Filme, für die ebenfalls die Thematisierung von weiblichen Ausbrüchen aus der Enge ihres kleinbürgerlichen Alltags charakteristisch ist. Angesichts der Zeitumstände enden diese Ausbrüche allerdings häufig tragisch – nämlich, wie etwa in dem Film Aventurera, in Bordellen und Nachtclubs, wo die Frauen den Schritt in die Freiheit mit Exhibition und Prostitution bezahlen müssen.
Hierzu passt schließlich auch, dass es sich bei dem Song Aventurera um das Cover eines Liedes von Agustín Lara (1897 – 1970) handelt. Dieser gilt heute als einer der wichtigsten Komponisten von Liedern im Bolero-Stil, musste sich zu Lebzeiten jedoch lange als Bordellpianist durchschlagen. Eben dies spiegelt sich auch in dem Lied wider, das im Kern als Aufmunterung einer in einem Bordell gestrandeten „Abenteurerin“ zu verstehen ist. Der Videoclip zu dem Song greift diese aufmunternde Geste auf, blendet allerdings das soziale Elend aus, mit dem die emanzipatorischen Impulse noch bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein erkauft werden mussten. Darin ist das Remake ganz ein Kind der heutigen Zeit, in der der Weg zu körperlicher und seelischer Freiheit zumindest für Frauen aus wohlhabenderen Kreisen oft nur deshalb „holprig“ ist, weil die Betreffenden den Schritt hinaus aus den ebenso einengenden wie behütenden Konventionen scheuen.
Natalia Lafourcade: Aventurera (aus: Mujer Divina. Homenaje a Agustín Lara – ‚Die göttliche Frau. Eine Hommage an Agustín Lara‘; 2012).
Original von Agustín Lara:
Aventurera
Vende caro tu amor, aventurera!
Dale el precio del dolor, a tu pasado!
Aquél, que de tus labios la miel quiera,
/ que pague con diamantes su pecado! /
Vende caro tu amor, aventurera!
Dale el precio del dolor, a tu pasado!
Ya que la infamia de tu cruel destino
marchitó tu admirable primavera,
haz menos escabroso tu camino!
Vende caro tu amor, aventurera!
Ya que …
Que pague …
Übersetzung:
Abenteurerin
Verkauf deine Liebe teuer, Abenteurerin!
Lass dir das Leid, das du erdulden musstest, teuer bezahlen!
Derjenige, der um den Honig deiner Lippen bittet,
/ soll seine Sünde mit Diamanten bezahlen. /
Verkauf deine Liebe teuer, Abenteurerin!
Lass dir das Leid, das du erdulden musstest, teuer bezahlen!
Sieh zu, dass dein weiterer Weg weniger holprig ist,
nachdem die Schande deines grausamen Schicksals
deinen herrlichen Frühling hat welken lassen!
Verkauf deine Liebe teuer, Abenteuerin
Quelle: Musikalische Sommerreise 2017
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