Vom höchsten Stockwerk des höchsten Hochhauses der Stadt aus bist du dem Wolkenmeer so nahe, dass die Wellenmähnen dir zum Greifen nahe erscheinen. Wenn du dein Lasso dabei hättest, müsstest du es nur auswerfen, um eines der geflügelten Pferde einzufangen und auf ihm dem Horizont entgegenzureiten.
Während du so deinen Tagträumen nachhängst, lichtet die Stadt die Anker und sticht mit dir in See. Lautlos wühlt sie sich durch die tanzende Gischt, sie formt sich ein Segel daraus, in das der Wind seine Abenteuer webt.
Nicht lange, und ihr erreicht die auf keiner Karte verzeichnete Insel, wo man sich zollfrei ein neues Leben kaufen kann. Die Produktpalette ist umfangreich, die Preise sind günstig, staunend stehen die Besucher vor den bunten Auslagen. Vor den Automaten, an denen man sich die Berechtigungsscheine ziehen kann, haben sich bereits lange Schlangen gebildet.
Gewissenhaft prüfst du die Angebote, denn du weißt: Ein solcher Kauf will sorgfältig überlegt sein. Als du deine Wahl aber endlich getroffen hast, legt das Schiff gerade wieder ab, und du musst doch in den alten Lebenskleidern heimkehren.
Kurz darauf stehst du wieder an dem blank geputzten Hochhausfenster und starrst hinaus in das Wolkenmeer. Von den geflügelten Pferden sind nur ein paar zerrupfte Federn zurückgeblieben, die der Wind rasch auseinanderbläst. Da öffnet sich das Meer auf einmal, dein Blick irrt hinab zwischen den Wellenkämmen, und du versinkst in einem Abgrund, den du vorher gar nicht wahrgenommen hattest.
werrersim@gmail.com
Vielen Dank für diesen wunderschönen Text. Er hat mich sehr berührt, denn diese Empfindungen treffen die Wahrheit über das Leben.
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