Graj („Spiel!“) – Ein Lied der weißrussischen Band Ljapis Trubjetskoj

Zu den heutigen Wahlen in Weißrussland hier ein Protest-Song der Band Ljapis Trubjetskoj. Der Kopf der Band, Sergej Michalok, wurde in seiner Heimat wie ein Staatsfeind verfolgt, nachdem er Lukaschenko einen Genozid am eigenen Volk vorgeworfen hatte. So konnte die Band, die von 1990 bis 2014 existierte, zu­letzt nur noch im Ausland Konzerte geben.
Besonders deutlich tritt die regimekritische Stoßrichtung der Band in dem Al­bum Manifest aus dem Jahr 2008 zutage, auf dem sich auch die Oppositions­hymne Belarus Freedom findet. Erkennbar regimekritisch ist jedoch auch der 2011 herausgebrachte Song Graj („Spiel!“). Er lässt sich allgemein auf die Willkürherrschaft autoritärer Macht­haber beziehen, ist im gegebenen Zusammenhang aber natürlich in erster Linie als Kritik am Lukaschenko-Regime zu verstehen.
In dem Lied feiert eine Gruppe „grauer Stiere“ – die sprichwörtlichen ‚hohen Tiere‘ – an einem Fluss ein opulentes Gelage. Der Platz ist gut abgeschirmt ge­gen unerwünschte Besucher – es führt „keine Furt“ dahin. Das Volk tritt nur in Form unterhaltsamer Folklore in Erscheinung. Sein Hauptzweck ist es, die ewige Feier der Herrschenden zu ermöglichen. Deshalb wünschen diese sich auch keinen Frühling, sondern ein möglichst langes Andauern der ‚dunklen Zeit‘, in der sie das Volk unentdeckt für ihre Machenschaften ausbeuten können.
Wohin das führt, zeigt das drastische Schlussbild des Songs: Als das Gelage vor­bei ist, ziehen die Stiere marodierend durch die Straßen, verunreinigen alles, was ihnen in die Quere kommt, und dringen ungefragt in jedes Haus ein, das auf ihrem Weg liegt. Jeden, der sich nicht rechtzeitig verstecken kann, erklären sie für „schuldig“, ohne diese Schuld näher zu begründen.
Als Gegenmittel gegen diese Willkürherrschaft empfiehlt das Lied im Refrain die Verweigerung jeder Form von Anpassung an das Regime. Denn abgesehen davon, dass diese moralisch fragwürdig wäre, verhilft sie einem auch nicht zu dem, was man sich von ihr verspricht: Jeder kann – wie etwa die stalinistischen Säuberungen gezeigt haben – ins Visier der Staatsmacht geraten, da diese die Normen für staatstreues Handeln und Denken jederzeit in unvorhersehbarer Weise ändern kann.
Anstatt sich dem Regime opportunistisch unterzuordnen, plädiert das Lied des­halb dafür, weiter an den eigenen Träumen festzuhalten und spielerisch die Utopien zu erproben, die von den Herrschenden in den Schmutz gezogen werden:

„Spiel! Hör nicht auf, nach den Träumen deiner Jugend zu suchen!
Spiel! Ruf ihn herbei, den warmen Blütenzauber des Frühlings!
Spiel! Sing die Lieder paradiesischer Freiheit!
Spiel! Spiel! Vertreib die Stiere, und das Glück wird zurückkehren!“

Ljapis Trubjetskoj: Graj

aus: Vesjolyje Kartinki („Lustige Bilder“, 2011)

Videoclip mit Bildsequenzen von regimekritischen Protesten

Liedtext mit Link zum Song

Übersetzung:
 
Spiel!
 
Irgendwo an einem Fluss, dort, wo es keine Furt gibt,
tanzen graue Stiere einen Reigen.
In der Nacht gießen sie Ketten aus Gold,
der Ruf des Raben mischt sich dort mit dem Geheul des Wolfes, seinem Bruder im Geiste.
Ein Feuer brennt dort, das zum Himmel emporlodert.
Sie trinken Wein und essen Brot dazu,
alte Zigeunerinnen singen für sie.
Sie schlagen mit den Hufen [den Takt], und im Himmel flackern die Blitze.

Diese Stiere haben ihre eigene Wahrheit:
Sie brauchen keine Sonne, die Finsternis genügt ihnen.
Sie brauchen keinen Frühling, sie hätten lieber einen längeren  Winter,
damit du, mein Freund, als Sklave auf dem Ofen schlafen musst.

Spiel! Hör nicht auf, nach den Träumen deiner Jugend zu suchen!
Spiel! Ruf ihn herbei, den warmen Blütenzauber des Frühlings!
Spiel! Sing die Lieder paradiesischer Freiheit!
Spiel! Spiel! Vertreib die Stiere, und das Glück wird zurückkehren!

Die Stiere haben sich betrunken, sie springen quer durchs  Land
und zertreten mit ihren Hufen Handtücher im Schlamm.
Sie springen über die Höfe, öffnen die Häuser,
und wer sich nicht versteckt, wird schuldig gesprochen.

Spiel! …

 

Infos zur Band auf russmus.net (englisch)

Weiterer Song in Musik als Hintergrundrauschen. Musikalische Tabuzonen im Radio (S. 7 f.).

Mehr zu Weißrussland: Gesang als Mittel des Widerstands.

 

Bild: Collage: Der weißrussische Präsident Lukaschenko als Minotaurus

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