Charles Baudelaire: Chant d’automne (Herbstlicher Gesang)

Gedichte von Charles Baudelaire, 7

In manchen Gedichten Charles Baudelaires erscheint die Frau als männermordende „femme fatale“. Häufiger verehrt er sie jedoch als eine Art Göttin, deren Nähe selbst über die dunkelste Seite des Menschseins hinwegtrösten kann: den Tod.

Herbstlicher Gesang

I.

Schon bald versinken wir in kalten Schatten.
Verloren ist die Sonne uns’rer viel zu kurzen Sommer.
Unheilvoll hallt das Feuerholz, zerhackt
in Stücke, von den Höfen wider.

Die Wut des Winters wird mich ganz erfüllen,
der Seelenfrost, die Mühsal, die sich selber hasst.
Erstarren wird, umschnürt von Raureifringen,
mein Herz zum Eisblock, wie die Sonne.

Der dumpfe Klang des fallenden Holzes …
wie ein Schafott, das unerbittlich in die Höhe wächst.
Mein Geist, der unter dem Zepter des Winters erzittert …
wie ein Turm, auf den ein Rammbock prallt.

Einschläfernde Schläge, gleichförmiges Fallen …
Der Sarg des Sommers wird gezimmert,
mit harten, mitleidslosen Schlägen:
So werden wir aus seinem Reich vertrieben.

II.

Erloschen scheint mir heut‘ das Schimmern
der lockenden Opale deiner Augen.
Ihr Schein verblasst mit dem schwindenden Glanz
der zitternden Sonnenflügel über dem Meer.

Und trotzdem, teure Seele! sei mir gut. Streu Sanftmut
auf die Wunden, die mich toben lassen.
Schenk als Geliebte, Mutter, Schwester mir
den Trost umsonnter Herbst- und Abendstunden.

Ich weiß: Die Gier der Gräber dämpfst du nicht.
Und dennoch lässt das Kissen deines Körpers
noch einmal mich den Sommer schmecken,
den letzten Nachhall seines weichen Strahls.

Charles Baudelaire: Chant d’automne aus: Les Fleurs du mal (Die Blumen des Bösen; 1857), S. 172. Paris 1868: Michel Lévy Frères (Œuvres complètes, Bd. 1)

„Die Frau ist fraglos eine Lichtgestalt. Ihr Blick, ihre Worte sind eine Einladung zum Glück; aber sie ist vor allem eine allgemeine Harmonie. (…) Sie ist die Spiegelung aller Anmut der Natur, verdichtet in einem einzigen Wesen.“

Charles Baudelaire in: Le peintre de la vie moderne (Der Maler des modernen Lebens; 1863). In: Ders.: Œuvres complètes, Bd. 3, S. 51 – 114 (hier: Kap. X: La femme: Die Frau), S. 96 – 99.Paris 1885: Calmann-Lévy.

Hintergrundinformationen zu dem Gedicht finden sich im Podcast zur Baudelaire-Reihe (Episode 9) sowie in Ebook und PDF zu den Fleurs du mal (Kapitel 10)

Vertonungen:

Jean Cras (1879 – 1932); Bariton: Philippe Cantor; Klavier: Laurent Wagschal

Gabriel Fauré (1845 – 1924); Bariton: Fran çois Le Roux; Klavier: Jeff Cohen (Strophe I, 1,2,4 und II, 1)

Bild: Jane Atché (1872 – 1937): Frau mit Mohnblume; Bild zu einem Gedichtmanuskript von Charles Baudelaire; Rabastens/Südfrankreich, Musée du Pays rabastinois (Wikimedia commons)

2 Antworten auf „Charles Baudelaire: Chant d’automne (Herbstlicher Gesang)

  1. Andrea Konter

    Oh je.

    div>Mir fehlt noch die Anleitung, um das gekaufte E Book zu „Autokraten“ zu lesen!

    div>🍀🤭💚

    Andrea Konter🇫🇷🇪🇺🇩🇪

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