Roy de Roy: Heimatlandverraeter
Musikalischer Adventskalender 2023: 15. Österreich/Slowenien / Musical Advent Calendar 2023: 15. Austria/Slovenia
Der Song Heimatlandverraeter der österreichisch-slowenischen Band Roy de Roy ist eine engagierte Kritik an einer Doppelmoral, bei der die Berufung auf eine christliche Leitkultur durch die Missachtung christlicher Werte im Alltag konterkariert wird.
Podcast:
Heimatlandverraeter
Ich habe dein ewiges Theater satt!
Dein Stolz gefällt mir nicht,
dein Fahnen schwingender
Kampf um jeden Küstenstreifen!
Ich habe deine Doppelmoral satt!
Mit der Heiligen Schrift heize ich den Ofen an,
und von deinen Predigten
verpasse ich gerne mal eine oder zwei!
Ich habe deinen Faschismus satt,
deine ewigen Ausnahmeregeln –
dieser ist willkommen und jener nicht:
Ich kann es nicht mehr hören!
Aber du bleibst immer blind,
machst dir ein schönes Leben
mit deiner Kurzsichtigkeit!
Denn wer nichts sieht und hört,
fühlt sich nicht schuldig.
Ich habe dein Heimatland verraten,
ich brauche niemanden, der mich verteidigt,
wenn es ohne Verstand geschieht.
Ich habe dein Heimatland verraten –
geh doch nach Hause, du Heimatlandanbeter!
Oj oj oj, der schwachsinnige Patriot
wird seinen Kampf verlieren!
Oj oj oj, er trägt seine Heimat im Herzen,
und auf seinem Dach häuft sich der Mist!
Roy de Roy: Heimatlandverraeter (Slowenisch) aus: Civil Riots, 2013 (Album bei Bandcamp abrufbar)
Live bei BalconyTV
Christliche Leitkultur, unchristliches Handeln
Das Lied Heimatlandverraeter der Band Roy de Roy setzt sich kritisch mit der Art und Weise auseinander, wie die christliche Leitkultur in der westlichen Welt und speziell in Österreich ausgelegt wird.
Ein christliches Weltbild müsste immer die zentralen Werte des Christentums – Barmherzigkeit und Nächstenliebe – an die erste Stelle setzen. Stattdessen impliziert die Orientierung an einer christlichen Leitkultur jedoch zumeist eine Ausgrenzung all jener, die nicht in dem engeren Umfeld dieser Leitkultur aufgewachsen sind. Dabei wird dieses Konzept oft von anderen, nationalistischen Narrativen überlagert.
Auf diese Weise aber führt sich die christliche Leitkultur selbst ad absurdum. Anstatt der Stärkung von Impulsen der Barmherzigkeit und der Nächstenliebe zu dienen, werden diese unterdrückt, um die Leitkultur „rein“ zu erhalten. So tritt an die Stelle der christlichen Leitkultur ein Zerrbild derselben, ein erstarrtes, sinnentleertes Monument, dem im Alltag eine Doppelmoral aus pseudo-christlichen Lippenbekenntnissen und real praktizierter Exklusion alles Andersartigen entspricht.
Absage an eine geistlose Heimat
Folgerichtig formuliert das Lied eine explizite Absage an ein solches Verständnis von Heimat. Wenn diese „ohne Verstand“ verteidigt wird und mit bewusster Blindheit gegenüber dem Leid anderer einhergeht, so ist es offenbar ein moralisches Gebot, diese Heimat zu „verraten“, also Widerstand gegen die ihr innewohnende Inhumanität zu leisten.
Der Videoclip zu dem Song illustriert dies durch eine musizierende Armee von Untoten. Darin könnte man zum einen eine ironische Identifikation mit den radikal Ausgegrenzten – und in diesem Sinne von der Mehrheitsgesellschaft zum sozialen Tod Verurteilten – sehen. Zum anderen ließe sich die Untoten-Band aber auch als Bild für die Leblosigkeit derer deuten, die sich mit ihrem Festhalten an einem erstarrten Klischeebild einer christlichen Leitkultur selbst zum geistigen Tod verurteilen.
Roy de Roy: eine österreichische Band mit slowenischen Wurzeln
Die Band Roy de Roy ist fraglos eine Ausnahmeerscheinung in der österreichischen Musikszene. Es handelt sich bei ihr zwar um eine Wiener Band, gesungen wird aber fast ausschließlich auf Slowenisch. Das liegt daran, dass die beiden Gründer – Nikolaj Efendi und Matej Ček – der slowenischen Minderheit angehören, die in Österreich vor allem in Kärnten und zum Teil auch in der Steiermark zu Hause ist.
Dass die Band trotz der gleichzeitigen Beheimatung in der deutsch-österreichischen Sprache ihre Lieder auf Slowenisch vorträgt, ist in Österreich – wie die Bandgründer anmerken – allein schon „ein politisches Bekenntnis“. Dies beruht insbesondere auf der Art und Weise, wie in der Vergangenheit mit der slowenischen Minderheit in Österreich umgegangen worden ist.
Die slowenische Minderheit in Österreich
Während die slowenische Volksgruppe im einstigen Vielvölkerstaat Österreich noch ein selbstverständlicher Teil der K.u.k.-Monarchie war, sah sie sich seit deren Zerfall im Jahr 1918 zunehmend Verfolgungen ausgesetzt. Nachdem der slowenischen Minderheit zunächst in der „Windischentheorie“ die eigene sprachlich-kulturelle Identität abgesprochen worden war, wurde sie unter dem Nationalsozialismus gezielt in Konzentrationslager deportiert.
Noch in den 1970er Jahren wurde in Kärnten eigens eine Wahlkreisreform beschlossen, um einen Einzug von Vertretern der slowenischen Minderheit ins Parlament zu verhindern. Im so genannten „Ortstafelstreit“ wehrte sich die Mehrheitsbevölkerung lange dagegen, dass Ortsschilder in Regionen mit slowenischem Bevölkerungsanteil auch den slowenischen Ortsnamen anzeigten.
Treibende Kraft war dabei die FPÖ, die in Kärnten jahrelang die Regierungsgeschäfte bestimmte. Erst 2011 wurde den Slowenen in einem kleinkrämerischen Kompromiss zugestanden, dass Ortsschilder dann die slowenische Ortsbezeichnung mit anzeigen dürfen, wenn mindestens 17,5 Prozent der Einwohner der slowenischen Minderheit angehören.
Slowenische Absetzbewegungen von der österreichischen Mehrheitskultur
Dass in diesem nationalistischen Umfeld viele Angehörige der slowenischen Minderheit das Weite gesucht haben und in die weltoffeneren Städte oder gleich ganz nach Slowenien ausgewandert sind, ist leicht nachvollziehbar. So ist der Anteil der slowenischen Minderheit in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gesunken.
Stellten die Slowenen Ende des 19. Jahrhunderts noch ein Viertel der Bevölkerung Kärntens, so war ihr Anteil bis zum Ende des 20. Jahrhunderts auf etwas über zwei Prozent gesunken. In einzelnen Gemeinden sind sie allerdings auch stärker vertreten.
Als Konsequenz aus dieser jahrzehntelangen Diskriminierung der eigenen Volksgruppe spricht sich die Band Roy de Roy für sprachliche und regionale Vielfalt, gleichzeitig aber gegen Nationalstaatsgrenzen aus. Ihr Ideal ist ein Anarchismus, der sich an der Utopie der Herrschaftsfreiheit orientiert, dabei aber humanen Regeln für den zwischenmenschlichen Umgang folgt und demzufolge keineswegs, wie es die Gegner anarchistischer Theorien oft unterstellen, mit Chaos zu assoziieren sei.
Ihre politischen Überzeugungen bringt die Band auch unzweideutig in ihren Songtexten zum Ausdruck. Mindestens ebenso deutlich transportiert sie ihre Ideale jedoch über ihre Musik, die Balkan-Folk-Klänge mit Polka-Punk-Elementen zu einem sehr „tanzbaren“, lebensfrohen Mix verknüpft. Es ist eine Musik, die einen unmittelbar spüren lässt, wie schön das Leben ohne den Rassismus und die schwülstigen Männergesangsvereine der Burschenschaftsfraktion sein könnte.
Aussagen der Bandmitglieder entnommen aus:
Gmeiner, Raffaela: Interview mit Nikolay Efendi, Sänger der Band Roy de Roy. Imblog.at, 26. April 2018.
Schöpfer, Lucia: Erfrischend politisch. Die Kärntner Slowenen Roy de Roy beim Konzert in Klagenfurt. In: lautstark. Zeitschrift der Österreichischen Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft an der Universität Klagenfurt,S. 26 f.; 15. Januar 2014, Themenheft „über Revolutionen; mit Electro-Musik raus aus dem Alltag“.

English Version
A Protest Song Against Hypocrisy and Xenophobia
Roy de Roy: Heimatlandverraeter
The song Heimatlandverraeter (Homeland Traitor) by the Austrian-Slovenian band Roy de Roy is an engaged critique of a double standard in which the alleged protection of a Christian culture is counteracted by the disregard for Christian values in everyday life.
Homeland Traitor
I am fed up with your endless theatrics,
I don’t like your pride,
your flag-waving fight
for every strip of coastline!
I am fed up with your double standards,
I’m firing up the stove with your Holy Scriptures,
and I don’t mind missing
one or two of your sermons!
I am fed up with your fascism,
your constant exceptions –
this one’s welcome and that one’s not:
I can’t hear it any more!
But you stay blind forever,
making a nice life for yourself
with your short-sightedness!
As long as you don’t see
and hear anything,
you won’t feel guilty.
I have betrayed your homeland,
I don’t need anyone to defend me
when the defence lacks brains.
I have betrayed your homeland,
go home, you homeland worshipper!
Oj oj oj, the imbecile patriot
will lose his battle!
Oj oj oj, he carries his homeland in his heart,
and on his roof the dung piles up!
Roy de Roy: Heimatlandverraeter (Slovenian) from: Civil Riots, 2013(full album available on Bandcamp)
Live on BalconyTV
Christian Culture, Unchristian Behaviour
The song Heimatlandverraeter (Homeland Traitor) by the band Roy de Roy critically examines the way the Christian culture is understood in the Western world, notably in Austria.
A Christian worldview would always have to put the central values of Christianity – mercy, charity and compassion – first. Instead, however, the orientation towards a Christian culture mostly implies an exclusion of all those who did not grow up in the inner circle of this culture. At the same time, this concept is often superimposed by other, especially nationalistic narratives.
In this way, Christian culture thwarts itself. Instead of helping to strengthen the impulses of compassion and mercy, these are suppressed in order to ensure the „purity“ of the guiding culture, its unaffectedness by foreign elements. As a result, the Christian culture is replaced by a distorted image of it, an ossified monument devoid of meaning, which in everyday life is reflected in a double standard of pseudo-Christian lip service and the actual exclusion of anything that deviates from the congealed ideals.
Rejection of a Mindless Homeland
Consequently, the song explicitly rejects such an understanding of homeland. If this is defended „without brains“ and is accompanied by conscious blindness to the suffering of others, it is obviously a moral imperative to „betray“ this homeland, i.e. to offer resistance against its inherent inhumanity.
The video clip for the song illustrates this with an army of undead playing music. On the one hand, this could be seen as an ironic identification with the radically excluded – who in this sense are condemned to social death by the majority. On the other hand, the undead band could also be interpreted as an image of the lifelessness of those who condemn themselves to spiritual death by clinging to an ossified cliché of a Christian culture.
Roy de Roy: an Austrian Band with Slovenian Roots
The band Roy de Roy is certainly an exceptional phenomenon in the Austrian music scene. Although they are a Viennese band, they sing almost exclusively in Slovenian. The reason for this is that the two founders – Nikolaj Efendi and Matej Ček – belong to the Slovenian minority, which in Austria is mainly at home in Carinthia and partly also in Styria.
The fact that the band performs its songs in Slovenian – despite being at home in the German-Austrian language as well – is in Austria, as the band’s founders point out, „a political statement in itself“. This is mainly due to the way the Slovenian minority has been treated in Austria in the past.
The Slovenian Minority in Austria
While the Slovenes were a natural part of the multi-ethnic Austro-Hungarian Monarchy, they have been increasingly exposed to persecution since the collapse of the Habsburg Empire in 1918. After initially being denied their own linguistic and cultural identity, they were deported to concentration camps under National Socialism.
As recentnly as in the 1970s, a special electoral district reform was passed in Carinthia to prevent representatives of the Slovenian minority from entering parliament. For a long time, the majority population also resisted the bilingual inscription of place-name signs in regions with a Slovenian population. It was only in 2011 that a petty regulation was passed according to which bilingual place-name signs are possible if at least 17.5 per cent of the population belong to the Slovenian minority.
Slovenian Breakaway Movements from the Austrian Majority Culture
Unsurprisingly, in this nationalist environment many members of the Slovenian minority in Austria have fled and emigrated to the more cosmopolitan cities or to Slovenia. As a result, the proportion of the Slovenian minority has steadily declined in recent decades.
Whereas at the end of the 19th century Slovenes still made up a quarter of Carinthia’s population, by the end of the 20th century their share had fallen to just over two percent – even though they are more strongly represented in individual municipalities.
As a consequence of this decades-long discrimination against their own ethnic group, the band Roy de Roy advocates linguistic and regional diversity, but at the same time refuses national borders. Their ideal is an anarchism that is oriented towards the utopia of freedom from domination, but follows humane rules for interpersonal interaction and is therefore by no means to be associated with chaos, as opponents of anarchist theories often suggest.
The band also expresses its political convictions unequivocally in its lyrics. However, they convey their ideals at least as clearly through their music, which combines Balkan folk sounds with polka-punk elements to create a very „danceable“, joyful mix. It is music that makes you feel immediately how beautiful life could be without the flag-bearers of tradition, their racism and their turgid male choral societies.
Statements by the band members translated from:
Gmeiner, Raffaela: Interview mit Nikolay Efendi, Sänger der Band Roy de Roy (Interview with Nikolay Efendi, singer of the band Roy de Roy). Imblog.at, April 26, 2018.
Schöpfer, Lucia: Erfrischend politisch. Die Kärntner Slowenen Roy de Roy beim Konzert in Klagenfurt (Refreshingly political. The Carinthian Slovenes Roy de Roy at the concert in Klagenfurt). In: lautstark. Zeitschrift der Österreichischen Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft an der Universität Klagenfurt (Vociferously. Journal of the Austrian Students‘ Union at the University of Klagenfurt),p. 26 f.; January 15, 2014.
Bilder / Images: Egon Kaše: Der slowenisch-österreichische Komponist Pavle Kernjak (1899 – 1979) mit seinen Enkelkindern, 1969 (Wikimedia commons). Als Angehöriger der slowenischen Volksgruppe in Kärnten hat Kernjak zur Wiederentdeckung der eigenen slowenischen Musiktraditionen und damit zur Stärkung der slowenischen Identität beigetragen. /Egon Kaše: The Austrian-Slovenian composer Pavle Kernjak (1899 – 1979) with his grandchildren, 1969 (Wikimedia Commons). As a member of the Slovenian minority in Carinthia, Kernjak has contributed to the rediscovery of the original Slovenian musical traditions and thus to the strengthening of the Slovenian identity.; Robert Wetzlmayr: Die Band Roy de Roy bei einem Auftritt in Vöcklabruck / Oberösterreich, 2017 (Wikimedia commons) / Robert Wetzlmayr: The band Roy de Roy at a performance in Vöcklabruck in north-western Austria, 2017 (Wikimedia Commons)
Peer
Vielen Dank für diesen supertollen Beitrag. Das ist klasse Musik, ein spannender Hintergrund. Macht Spaß der Adventskalender und es ist immer spannend, was kommt.
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rotherbaron
Danke für deinen netten Kommentar!
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