Auszug aus Nadja Dietrichs Roman Kaiserhorst
Für seine Recherchen in dem Tagungshotel, das an dem sagenumwobenen Ort „Kaiserhorst“ errichtet worden ist, schlüpft Carlo in die Rolle eines Dienstmädchens – eine gänzlich neue Erfahrung für ihn.
So fühlt sich also ein Leben als Dienstmädchen an. Es ist ein wenig, als wäre man ein Hotelzubehör, dem ein Programmierfehler der Schöpfung eine Seele eingehaucht hat.
Frühmorgens oder, meiner Empfindung nach, mitten in der Nacht holen sie dich aus deiner Abstellkammer und beordern dich in die Küche. Dort zischst und klirrst und klapperst du hektisch vor dich hin. Du bist ein Frühstücksautomat, und während du innerlich verkümmerst vor Schlaflosigkeit, versprühst du einen Muntermacher-Cocktail aus Kaffeeduft und dem Aroma frisch aufgeschnittener Früchte.
Als Krönung deines Morgenwerks mutierst du zu einer Tischdecke. Ehrerbietig saugst du Eigelbspritzer und Marmeladenkleckse auf, du hörst geflissentlich weg, wenn über die Geheimnisse der Nacht getuschelt wird, und du gibst keinen Laut von dir, wenn der heiße Kaffee auf deinen Rücken tropft. Denn du bist nur eine Tischdecke, und Tischdecken kennen keinen Schmerz.
Nach dem Frühstück verwandelst du dich in einen Müllschlucker. Du schluckst die schalen Überreste nächtlicher Umarmungen hinunter, die sauren Zeugnisse so manchen Rausches, die klebrigen Hinterlassenschaften des morgendlichen Mahls. Du saugst die verbrauchte Luft ein und entlässt sie frisch und aromatisiert wieder in den Raum. Du pickst die Staubkörner aus den Ecken und gibst den missbrauchten Betten den Anschein, nie benutzt worden zu sein.
Zur Mittagszeit wirst du zu einem Schneidebrett. Der Geruchsmantel fein gehackter Zwiebeln legt sich um dich, das Blut rohen Fleisches dringt durch die Poren deines Gesichts, du erzitterst unter der Last ungezählter Kartoffeln, die auf dir gevierteilt werden. Am Ende bringt ein heftiger Wasserstrahl die feinen Äderchen auf deiner Haut zum Platzen.
An den Nachmittagen erstarrst du oft zu einem breiten, alles aufnehmenden Lächeln. Du verschmilzt mit der Rezeption, vielarmig verteilst du Schlüssel und Chipkarten und Champagnerblicke. Du bist ein Freundlichkeitsautomat, der all seine Wärme nach außen hin abstrahlt, während er innerlich erkaltet.
Manchmal nutzt man dich auch als Treppenlift. Dann stapeln sich auf dir die Träume der Reisenden, ihre hochfliegenden Pläne und ängstlichen Vorkehrungen. Sorgsam trägst du die Last der Visionen hinüber ins Reich der Wirklichkeit, zuweilen wie Charon mit einer abergläubischen Münze beschenkt, damit die Saat der Träume auch aufgeht. Und immer ist dein Gesicht wie ein Bergsee an einem klaren Sommertag, ein hell schimmernder Spiegel für die Hoffnungen der Reisenden.
Am Abend wirst du zu einem Zaubertrank. Du ergießt dich in die Gläser der Gäste, die an der Theke ihren Libidopegel befeuern, du brennst wirre Worte auf ihre Lippen, verheißungsvoll glühst du in ihren Adern. Flackernde Blicke umschwirren dich, duldsam erträgst du das Pochen des anschwellenden Vulkans.
Irgendwann nach Mitternacht landest du dann wieder in deiner Abstellkammer – auch wenn selbst dann so mancher dich gerne noch als Sofa benutzen würde, als sanft vibrierendes Massagekissen, das ihn in den Schlaf wiegt und ihn dabei mit flüchtigen Träumen beschenkt, unverbindlichen, zu nichts verpflichtenden Träumen, die er am anderen Morgen schon wieder vergessen hat.
Bild: Dexmac: Weiblicher Roboter (Pixabay)
Buch (Hardcover) erscheint im Frühjahr 2024

