Mord im Reichstag, Kapitel 11 / Murder in the German Parliament, Chapter 11
Nach Lidia Afanasjewnas jüngsten Abenteuern ruft Lutz alle Beteiligten zu einer Strategiesitzung zusammen. Gemeinsam versuchen sie, die geheime Klobrillenbotschaft zu entschlüsseln.
English Version
Der Alltag auf Lidia Afanasjewnas Traumplanet
Auf dem idealen Planeten, den Lidia Afanasjewna sich zuweilen erträumte, war kein Tag wie der andere. Manchmal stand man dort morgens mit dem Fuß auf, manchmal mit dem Kopf. Manchmal schlief man am Tag, manchmal in der Nacht, und manchmal schlief man überhaupt nicht, sondern malte, auf dem Hexenbesen durch die Nacht reitend, unergründliche Zeichen ans Firmament.
Auch die Farbe der eigenen Haut wechselte auf dem Planeten von Tag zu Tag. An manchen Tagen war sie hell, an anderen dunkel, sie konnte braun sein oder rosa, ins Rötliche oder ins Gelbliche changieren. Die Augen waren mal blau, mal grau, mal braun. Zuweilen wachte man auch mit einer Augenfarbe auf, die man selbst nicht genau bestimmen konnte, weil der Farbton andauernd in einen anderen überging. Besonders gefürchtet war das „Defekte-Ampel-Syndrom“, das sich durch ein ständiges Hin- und Herwechseln zwischen Rot und Grün auszeichnete.
So hatten die Wesen auf dem fernen Planeten immer wieder eine andere Gestalt: Sie konnten mit einem oder mit sechs Beinen aufwachen, mit zotteliger Yeti-Behaarung oder kahl wie eine Nacktschnecke. An manchen Tagen waren sie so groß, dass sie die höchsten Bäume überragten, an anderen Tagen klein wie Grashüpfer.
Auch die Lebensumstände änderten sich von Tag zu Tag. Es kam vor, dass die extraterrestrischen Kreaturen sich am Morgen in einem majestätischen Palast wiederfanden, mit Sälen, deren anderes Ende nicht zu erkennen war, wenn man sie betrat. Es konnte aber auch sein, dass sie ihren Tag in Hütten verbringen mussten, die so eng waren, dass es sich anfühlte, als wäre man in einen Schrank eingesperrt.
Man hätte nun denken können, dass die fernen Mitgeschöpfe der Erdlinge unglücklich gewesen wären über ihre Situation; dass die Unsicherheit darüber, was sie am nächsten Morgen erwarten würde, sie krank gemacht hätte. Stattdessen waren die Bewohner des fernen Planeten jedoch, davon war Lidia Afanasjewna fest überzeugt, äußerst glückliche Kreaturen.
Dies lag zum einen daran, dass das Leben in seiner Unvorhersehbarkeit für sie ein einziges großes Abenteuer war und sie keine Langeweile kannten. Zum anderen aber hatten ihre Lebensbedingungen auch zur Folge, dass es so gut wie keine Gewalt unter ihnen gab. Niemand verachtete den anderen oder machte sich über ihn lustig, wenn er unter dem gefürchteten „Defekte-Ampel-Syndrom“ litt. Schließlich konnte man schon am nächsten Morgen selbst davon betroffen sein.
Auch Neid oder Habgier kannten die extraterrestrischen Wesen nicht. Es hätte einfach keinen Sinn gehabt, anderen ihr Hab und Gut zu missgönnen oder es ihnen gar zu entreißen. Denn was man anderen heute weggenommen hätte, wäre schon morgen wieder verloren gewesen. Es war schlicht bequemer, auf die Lotterie des Lebens zu setzen und zu hoffen, dass der nächste Tag einem einen Hauptgewinn bescheren würde.
Ja, dachte Lidia Afanasjewna wehmütig, und in einer solchen Welt gäbe es auch keine Morde, und deshalb würde dort niemals jemand nach „unnatürlichen Ursachen“ von Todesfällen suchen. Dem Verschwörungstheoretiker Lutz wäre so der Nährboden für seine Spintisierereien entzogen, ja, es könnte dort gar keine Verschwörungstheoretiker geben.
Was für paradiesische Aussichten!
Konspirative Besprechung
Hier, auf der unfriedlichen Erde, wo jeder hinter dem nächsten Busch einen Feind witterte, war einer wie Lutz dagegen ganz in seinem Element. Andererseits – war sie nicht selbst schuld daran, dass seine Phantasien so ins Kraut geschossen waren? Wenigstens von dem, was sie zuletzt im Reichstag erlebt hatte, hätte sie ihm doch nichts erzählen müssen!
Unglücklicherweise hatte er unmittelbar nach dem Ende ihrer Schicht angerufen, zu einem Zeitpunkt, als sie das Gebäude gerade erst verlassen und noch mit niemandem geredet hatte über das, was ihr widerfahren war. Das Bedürfnis, sich jemandem mitzuteilen, war da einfach zu groß gewesen.
Die Reaktion von Lutz hatte sie allerdings völlig übertrieben gefunden. Er hatte angeregt – oder vielmehr: angeordnet –, dass gleich am nächsten Tag alle Betroffenen zu einer konspirativen Besprechung zusammenkommen sollten. Außer Lidia Afanasjewnas Tochter Julia rechnete er dazu auch Leona, die mittlerweile aus dem Krankenhaus entlassen worden war.
Vergebens hatte Lidia Afanasjewna versucht, Lutz von einer Einladung Leonas abzubringen. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass ihr doch recht bodenständiger Igor eine gemeinsame Gesprächsbasis mit der exzentrischen Leona finden würde. Auch war es ihr peinlich, dass Lutz sie Leona gegenüber als die Schwester des toten Politikers ausgegeben hatte. Lutz versicherte ihr jedoch, er hätte das Leona längst gestanden – und diese hätte ihm ihrerseits versichert, die Geschichte ohnehin nicht geglaubt zu haben.
„Es ist doch nur zu deinem eigenen Besten!“ hatte er auf sie eingeredet. „Glaub mir, die Schlinge um deinen Hals zieht sich langsam zu, wenn wir unsere Bemühungen nicht augenblicklich intensivieren!“
Aber was, fragte sich Lidia Afanasjewna, sollte es schon bewirken, wenn sie sich zum Kuchenbacken in die Küche stellte, um die illustre Runde zu bewirten? Denn das war es ja, was Lutz‘ Plan konkret für sie bedeutete.
Aprikosenkuchen und Osama
Am Nachmittag des folgenden Tages fanden sich dann tatsächlich alle bei Lidia Afanasjewna und Igor ein – auch Leona, der Lutz dafür eigens einen Überraschungsbesuch abgestattet hatte.
Lutz hielt sich nicht lange mit Förmlichkeiten auf. Sobald alle ein großes Stück von Lidia Afanasjewnas Aprikosenschmandkuchen auf dem Teller hatten und der Samowar, ein Erbstück aus ihrer alten Heimat, den Tee in den Tassen mit dampfendem Wasser aufgefüllt hatte, leitete er die Besprechung ein.
„Ich denke“, begann er, „uns allen ist klar, dass hier ein paar äußerst merkwürdige Dinge vor sich gehen: ein toter Politiker, dessen Leichnam verschwindet und ganz woanders wieder auftaucht, Aufputschmittel, die Krampfanfälle auslösen – und jetzt auch noch dieser unerklärliche Stromausfall und die rätselhaften Zeichen, die Lidia unter einer Klobrille entdeckt hat. Dass da was faul ist, merkt doch ein Blinder mit Krückstock!“
„Ja, genau!“ pflichtete Leona ihm, mit der Kuchengabel in die Luft stechend, bei. „Da stecken bestimmt diese Fundamentalisten dahinter, die allem Schönen einen Schleier überwerfen und einem jeden Spaß verderben wollen! – Übrigens, Lidia“, wandte sie sich an die Hausherrin, „dein Kuchen schmeckt einfach himmlisch! Also, ich habe ja auch schon versucht, so etwas hinzubekommen, aber ich habe einfach kein glückliches Händchen bei diesen Dingen. Vielleicht könntest du …“
Lutz räusperte sich. „Ich denke, das Austauschen von Rezepten sollten wir auf später verschieben. Die Lage ist einfach zu ernst für so etwas.“
„Schon gut“, lenkte Leona mit einem koketten Schmollmund ein. „Ich bin nun mal ein unverbesserliches Leckermäulchen.“
„Möchtest du noch ein Stück?“ fragte Lidia Afanasjewna, nach dem Tortenheber greifend.
Leona machte eine abwehrende Handbewegung. „Aber nein! Ich bin ja noch gut versorgt. Außerdem muss ich doch auf meine Linie achten. Was gut schmeckt, schmiegt sich leider meistens auch gut an die Hüfte an.“
Als wenn du damit Probleme hättest, dachte Lidia Afanasjewna. Sie wäre froh gewesen, wenn auch sie solche Popart-Leggings, wie Leona sie an diesem Tag trug, und dazu ein von keinem Speckfältchen verzerrtes Glitzer-Shirt hätte anziehen können.
„Um noch mal auf die Zeichen zurückzukommen, die Lidia auf der Bundestagstoilette entdeckt hat“, griff Lutz den Gesprächsfaden wieder auf. „Ich denke, wir sollten am besten zuerst mal reihum unsere Vermutungen dazu äußern. Also: ‚O‘ und ‚S‘ – was fällt euch dazu spontan ein?“
Wieder war es Leona, die als Erste reagierte. „Na – Osama!“ entschied sie kurzerhand. „Das Ganze ist garantiert eine islamistische Verschwörung! Ich sage euch, diese Mittelalter-Muftis sind zu allem fähig, die haben bestimmt auch meinen armen Richie auf dem Gewissen.“
Die Tränen traten ihr in die Augen. Lidia Afanasjewna warf ihrem Mann, der mit seinen Hausschlappen und dem zerbeulten Trainingsanzug neben der paradiesvogelhaften Leona wie ein Grottenmolch wirkte, einen verstohlenen Blick zu: Wie er wohl auf Leona reagieren würde? Zu ihrer Überraschung entdeckte sie keinerlei Missbilligung, ja noch nicht einmal Belustigung in seinen Augen.
Es war ähnlich wie bei Lutz, der sich im Krankenhaus ebenso widerstandslos von Leona hatte umgarnen lassen – Leona schien auf Männer allgemein eine anziehende Wirkung zu haben. Vielleicht brachte sie die homoerotische Saite in ihnen zum Schwingen, die sie sonst, im Umgang mit anderen Männern, gewaltsam unterdrückten.
Ja, dachte Lidia Afanasjewna, vielleicht war das der Schlüssel zu Leonas Wirkung auf Männer: Sie war ein Mann, ohne männlich sein zu wollen, sie lebte eine Weiblichkeit vor, auf deren Grund ihr männliches Gegenüber in den Brunnen des eigenen Geschlechts fiel. So war sie wohl gerade für solche Männer, die sich sonst nie eingestanden hätten, zu gleichgeschlechtlicher Liebe fähig zu sein, eine Art Brücke in das Reich homoerotischer Empfindungen.
Stelldichein auf dem Herrenklo
Lutz nickte höflich zu Leonas Deutungsvorschlag, konnte seine Ungeduld aber doch nicht ganz verbergen. „Und du, Julia?“ gab er den Ball an Lidia Afanasjewnas Tochter weiter. „Was verbindest du mit den beiden Buchstaben?“
Julia sah ihn skeptisch an. „Ich weiß nicht … Vielleicht sollten wir da auch nicht zu viel hineingeheimnissen. Könnten die Buchstaben nicht einfach für zwei gewöhnliche Namen stehen – zum Beispiel von zwei Praktikanten, die sich im Bundestag kennengelernt und ineinander verliebt haben? Vielleicht hatten da irgendein Otto und eine Simone – oder auch ein Otto und ein Simon – einmal ihr erstes Stelldichein und haben zum Zeichen ihrer Liebe ihre Initialen hinterlassen.“
„Auf der Toilette?“ entfuhr es Igor.
Julia errötete. „Na ja“, schob sie rasch hinterher. „Sehr romantisch ist das natürlich nicht. Aber so etwas soll es ja geben.“
Sie sah zu ihrer Mutter hinüber, die ihr aufmunternd zuzwinkerte. Hätte sie nicht vor ein paar Tagen die „andere“ Julia getroffen, so hätte sie wahrscheinlich ähnlich reagiert wie Igor. Dann hätte sie sich gar nicht vorstellen können, dass Julia von solchen Dingen wusste, geschweige denn über sie reden würde.
Auch so fiel es ihr allerdings schwer, die beiden Gesichter ihrer Tochter zusammenzubringen. Schließlich war sie heute wieder ganz das brave Mädchen, als das sie ihren Eltern sonst unter die Augen trat: die Haare züchtig zurückgesteckt, sauberes Blüschen, unscheinbare Hose.
Unterdessen beteiligte sich auch Igor an dem Ratespiel. „Sag mal“, fragte er seine Frau, „wie viele Kabinen gibt es eigentlich auf diesem Herrenklo?“
„Fünf“, entgegnete Lidia Afanasjewna. „Wieso?“
„Weil es dann auch eine ganz banale Erklärung für diese Zeichen geben könnte“, mutmaßte Igor. „Statt Buchstaben könnten sie nämlich auch Zahlen bedeuten, also ‚Null‘ und ‚Fünf‘. Sie wären dann nichts weiter als Nummerierungen, eine Orientierungshilfe für die Installateure, die die Toiletten eingebaut haben. Das würde auch erklären, warum die Zeichen am unteren Rand der Klobrille angebracht und bei normalem Licht unsichtbar sind: Sie sollten überhaupt nicht von anderen gesehen werden.“
Schwungvoll das letzte Stück Kuchen aufspießend, rief Leona aus: „Noch mal eine neue Theorie – wie spannend!“ An Lutz gewandt, setzte sie hinzu: „Jetzt bin ich aber wirklich neugierig, wie unser Meisterspion die Sache sieht!“
Lidia Afanasjewna war froh, dass der Kelch auf diese Weise an ihr vorüberging. Ihre spontane Assoziation, die die Buchstaben zu „SOS“ ergänzt hatte, kam ihr jetzt doch zu lächerlich vor. So wandte auch sie ihre Aufmerksamkeit Lutz zu.
Die Perspektive des Meisterspions
Mit einem leichten Naserümpfen – die Bezeichnung „Meisterspion“ fand er wohl doch ein wenig despektierlich – erklärte Lutz: „Für mich sind das eindeutig Geheimdienstkürzel – ‚O‘ steht für ‚Operation‘, ‚S‘ bezieht sich auf den Namen der Operation.“
Julia sah ihn verwundert an. „Und warum sollte der Geheimdienst seine Operation auf einer Klobrille verewigen?“
„Das sind interne Hinweise“, entgegnete Lutz, ohne mit der Wimper zu zucken, „die sind nur für den Dienstgebrauch. Deshalb erschließt sich Außenstehenden wie uns ihr Sinn ja auch nicht auf Anhieb.“
Julia verzog das Gesicht. „Also ich kann mir nicht helfen“, mäkelte sie. „Auf mich wirkt das alles viel zu konstruiert. Ich denke eher, dass wir es hier mit einem stinknormalen Unfall zu tun haben.“
Auf Leonas entrüsteten Blick hin ergänzte sie: „Entschuldigung, Leona – ist nicht böse gemeint. Aber nur weil man Drogenkonsum im Bundestag und das Ableben eines Parlamentariers auf dem Klo verheimlichen will, ist doch nicht gleich eine nationale Verschwörung im Gange!“
„Ganz meine Meinung“, pflichtete ihr Vater ihr bei. „Ohne dir zu nahe treten zu wollen, Lutz: Aber meinst du nicht, du gehst bei deinen Mutmaßungen zu sehr von deinem ehemaligen Arbeitsumfeld in der DDR aus?“
Lutz beugte sich vor und senkte die Stimme. „Habt ihr irgendwo etwas über den Stromausfall gelesen?“ fragte er in die Runde.
„Da hätten die Zeitungen ja viel zu tun, wenn sie über jeden Stromausfall berichten würden“, lachte Igor.
„Es war aber nun mal nicht irgendein Stromausfall“, stellte Lutz klar, „sondern einer im deutschen Parlament. Und wenn darüber nichts berichtet wird, zeigt das ganz klar, dass etwas unter den Teppich gekehrt werden soll.“
Julia runzelte die Stirn. „Und was bitte soll das sein?“
„Das wissen wir noch nicht – das ist ja gerade der Sinn des Vertuschens“, belehrte sie Lutz. „Vielleicht hat jemand versucht, an geheime Informationen über diesen Richard Groß und seinen Tod heranzukommen, vielleicht wollte auch jemand einen Anschlag auf deine Mutti verüben.“
„Das ist jetzt aber wirklich die reinste Panikmache!“ beschwerte sich Julia. „Schau dir doch die großen Enthüllungsskandale der letzten Jahre an, Wikileaks, Panama Papers und so – die wirklich weltbewegenden Schweinereien lassen sich heutzutage eben nicht auf Dauer unter der Decke halten!“
Kann Freiheit Überwachung begünstigen?
Lutz nippte an seinem Tee, dann erwiderte er: „Für mich ist das eine typisch westliche Deutung der Skandale. Wenn so etwas damals bei uns ans Licht gekommen wäre, hätten alle darin einen Beleg für die Verkommenheit unserer Gesellschaft gesehen. In der westlichen Welt aber, die sich selbst mit dem Attribut ‚frei‘ ehrt, sieht man in der erzwungenen Öffentlichkeit der Skandale einen Beleg für die eigene Freiheit und die angeblich funktionierende Demokratie.“
Julia sah ihn herausfordernd an: „Und? Ist das etwa nicht so?“
Lutz goss sich noch ein wenig heißes Wasser aus dem Samowar nach und rührte es unter den abgekühlten Tee. „Das ins Netz gestellte Material gibt dir wegen seines Umfangs den Eindruck, dass nun alle Skandale aufgedeckt sind“, gab er zu bedenken. „Dabei ist es wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs. Und selbst die ist so breit, dass niemand sie überblicken kann.“
„Deswegen ist das Material ja auch akribisch von Spezialisten ausgewertet und für die Öffentlichkeit aufbereitet worden“, wandte Julia ein.
Lutz nickte. „Stimmt – aber von dieser Deutung des Materials bist du dann auch abhängig. Das ist wie überall im Internet: Der Baum der Freiheit trägt reiche Früchte, aber allein kommst du nicht an sie heran. Du brauchst andere, die dir den Weg weisen und dich auf ihre Schultern nehmen. Das aber bedeutet: Du musst deine Freiheit wie einen Mantel am Eingang abgeben, bevor du das Reich der Freiheit betreten kannst.“
„Und was ist mit den sozialen Medien?“ insistierte Julia. „Du wirst doch nicht bestreiten wollen, dass die in zahlreichen Ländern zu größerer Freiheit und sozialer Vernetzung beigetragen und so die Überwindung totalitärer Regime ermöglicht haben!“
„Mag sein, dass die sozialen Medien rein technisch revolutionäre Prozesse erleichtern“, gestand Lutz ihr zu. „Aber wenn ich mir anschaue, was die Leute da so alles über sich preisgeben … Von einem solchen Selbstbedienungsladen für Informationen hätten wir damals nur träumen können!“
Einen Augenblick lang rührte er gedankenverloren in seinem Tee, dann setzte er hinzu: „Ich denke, wir haben damals einen entscheidenden Fehler begangen: Wir haben den Leuten das Gefühl gegeben, unfrei zu sein, da wir sie ständig und vor allem viel zu offen überwacht und kontrolliert haben. Daraufhin haben sie versucht, ihre Freiheit gegen uns zu verteidigen, indem sie sich heimlich genau die geistigen Inhalte beschafft haben, die wir auf den Index gesetzt haben. Außerdem haben sie alles darangesetzt, ihre Interessen, Vorlieben und Meinungen vor uns geheim zu halten. Die Folge war, dass wir die Überwachung intensiviert haben, woraufhin die Menschen uns nur noch mehr misstraut und sich noch stärker gegen den Staat abgeschottet haben.
Heute dagegen ist es genau umgekehrt: Die Menschen fühlen sich frei, und sie vertrauen grundsätzlich dem Staat, in dem sie einen Garanten ihrer Freiheit sehen. Folglich breiten sie ihr Innerstes in den sozialen Medien aus, und der Staat braucht nur noch die nötigen Algorithmen, um die gewünschten Informationen aus dem Netz zu filtern. Mit anderen Worten: Gerade das Gefühl größtmöglicher Freiheit öffnet die Schleusen für die totale Überwachung. Außerdem sind die Menschen so eher bereit, sich auf die Deutungen zu verlassen, die der Staat und seine selbst ernannten Experten ihnen vorsetzen, anstatt sich eigene Gedanken über das Weltgeschehen zu machen.“
„Also eins kann ich dir sagen“, frotzelte Julia. „Meine Stimme kriegst du nicht, wenn du mal für den Bundestag kandidierst!“
Schlagfertig erwiderte Lutz: „Ist notiert … Aber damit das klar ist: Wenn ich erst Bundeskanzler bin, geht‘ so frechen Fräuleins wie dir gleich mal an den Kragen!“
Auf dem Floß der Nacht
Alle lachten, nur Leona machte ein verdrießliches Gesicht. „Und was ist jetzt mit dieser Toiletteninschrift? Ich dachte, die hilft uns irgendwie, diesen feigen Mord aufzuklären. Ehrlich gesagt: Ich finde euer Gelächter ziemlich pietätlos. Der arme Richie ist noch nicht mal unter der Erde, und ihr macht euch hier über seine Arbeit lustig!“
Während Julia nur umso hysterischer lachen musste, als sie versuchte, sich das Lachen zu verkneifen, fing sich ihr Vater rasch wieder. „Vielleicht sollten wir mal den Herrn Google fragen, was er zu unseren mysteriösen Zeichen meint“, schlug er vor. „Der weiß doch sonst immer alles.“
„Ich kann’s ja mal versuchen“, meinte Lidia Afanasjewna achselzuckend.
Sie fuhr den Computer hoch, rief die Suchmaschine auf und gab „OS“ in das Suchfeld ein. Aber es war hoffnungslos. Zu „OS“ gab es so viele Einträge, dass sie unmöglich alle überprüfen konnten – und die, die sie überprüften, halfen ihnen nicht weiter. Da ging es um eine EU-Verordnung zur „Online-Streitbeilegung“ und um ein „Operating System“ für Computer, um das „Os sacrum“, das heilige Kreuzbein, und um ein Restaurant, das appetitanregend im „Knochenhaueramtshaus“ untergebracht war. Was sollte das mit ihrem „Fall“ zu tun haben?
Schließlich ergriff Lutz wieder die Initiative. „Sag mal, Leona“, erkundigte er sich. „Kennst du eigentlich die Adresse von dem Typen, bei dem du dir diese blauen Kügelchen beschaffst?“
Leona schüttelte den Kopf. „Nein – bei ihm zu Hause war ich noch nie. Das ist ein reiner Straßenverkäufer. Aber ich kann dir gerne was mitbringen, wenn ich das nächste Mal bei ihm vorbeischaue. Ich geb‘ dann auch meinen Rabatt an dich weiter, mein Großer!“
„Danke“, murmelte Lutz, halb in Gedanken, „aber ich hatte da eigentlich was ganz anderes im Sinn …“
„Möchte noch jemand Kuchen?“ fragte Lidia Afanasjewna. Sie war müde und wollte den Raum gerne vor der nächsten Runde des Detektivspiels verlassen.
Da alle verneinten, deckte Lidia Afanasjewna den Tisch ab und trug das Geschirr in die Küche. Gewohnheitsmäßig blickte sie zum gegenüberliegenden Wohnblock und suchte nach Aljoschas Wohnung. Aber es war alles dunkel bei ihm.
Überhaupt war es ganz schwarz vor dem Fenster, die Nacht war längst hereingebrochen. Unaufhaltsam sickerte die kosmische Finsternis in die Erdatmosphäre, drang in die Städte ein, flutete die Straßen, verfing sich in den engen Hinterhöfen. Lidia Afanasjewna hatte das Gefühl, sie müsste nur das Fenster öffnen, und schon könnte sie auf dem Floß der Nacht in die Weiten des Universums entschwinden.
English Version
Freedom Dreams
Everyday Life on Lidia Afanasyevna’s Dream Planet
On the ideal planet that Lidia Afanasyevna sometimes dreamed of, no two days were the same. Sometimes you got up there in the morning with your foot, sometimes with your head. Sometimes you slept during the day, sometimes at night, and sometimes you didn’t sleep at all, but painted unfathomable signs on the firmament, riding through the night on a witch’s broom.
The colour of one’s skin also changed from day to day on that planet. On some days it was light, on others dark, it could be brown or pink, reddish or yellowish. The eyes were sometimes blue, sometimes grey, sometimes brown. Sometimes you even woke up with an eye colour that you could not determine exactly, because the colour constantly changed to a different shade. Particularly feared was the „defective traffic light syndrome“, characterised by a constant switching between red and green.
Thus the creatures on the distant planet always had a different shape: they could wake up with one or with six legs, with shaggy yeti hair or bald like a slug. On some days they were so big that they towered over the tallest trees, on other days they were as small as grasshoppers.
The living conditions also changed from day to day. It could happen that in the morning the extraterrestrial creatures found themselves in a majestic palace, with halls whose other end could not be seen when you entered them. But it could also occur that they had to spend their days in huts which were so cramped that it felt like being locked in a cupboard.
At a cursory glance, it might seem that the distant fellow creatures of the Earthlings would have been unhappy about their situation; that the uncertainty about what would await them the next morning would have made them ill. Instead, however, the inhabitants of the distant planet were, as Lidia Afanasyevna firmly believed, extremely happy creatures.
One reason for this was that life in its unpredictability was one big adventure for them, so that they knew no boredom. Another factor was that their living conditions made violence among them almost non-existent. No one despised the other or made fun of him if he suffered from the dreaded „defective traffic light syndrome“. After all, they could all be affected by it themselves the very next morning.
Envy and greed were also unknown to the extraterrestrial beings. It would simply have made no sense to begrudge others their possessions or even to deprive them of their belongings. For what was taken away from others today would have been lost again tomorrow. It was simply more comfortable to bet on the lottery of life and hope that the next day would bring a jackpot.
And in such a world, Lidia Afanasyevna thought wistfully, there would also be no murders, and therefore no one would ever look for „unnatural causes“ of deaths. Conspiracy theorists like Lutz would thus be deprived of the breeding ground for their phantasms.
What a paradisiacal outlook!
Conspiratorial Meeting
On the unpeaceful earth, by contrast, where everyone sensed an enemy behind the next bush, someone like Lutz was completely in his element. On the other hand, wasn’t it her own fault that his fantasies had become so rampant? At least she would have been better off not telling him about her last experiences in the Reichstag!
Unfortunately he had called her up immediately after the end of her shift, at a time when she had just left the building and had not yet told anyone about her misfortune. In this situation, the need to talk to someone had simply been too strong.
Lutz’s reaction, however, seemed completely exaggerated to her. He had suggested – or rather ordered – that all those concerned should come together the next day for a conspiratorial meeting. Apart from Lidia Afanasyevna’s daughter Julia, this also included Leona, who had been released from hospital in the meantime.
In vain, Lidia Afanasyevna had tried to dissuade Lutz from inviting Leona. She could hardly imagine that her down-to-earth Igor would find a common basis for conversation with the eccentric Leona. Moreover, she felt embarrassed that Lutz had misrepresented her to Leona as the sister of the dead politician. Lutz assured her, however, that he had already confessed this to Leona – and that she, in turn, had assured him she hadn’t believed the story anyway.
„It’s for your own sake!“ he had urged her. „Believe me, the noose around your neck will soon tighten if we don’t intensify our efforts immediately!“
But what, Lidia Afanasyevna asked herself, would it be good for to stand for hours in the kitchen and bake a big cake for the illustrious guests? Because that was what Lutz’s plan actually meant for her.
Apricot Cake and Osama
In the afternoon of the following day, they actually all gathered at the flat of Lidia Afanasyevna and Igor – including Leona, who had happily accepted the invitation.
Lutz didn’t dwell on formalities for long. As soon as everyone had a large piece of Lidia Afanasyevna’s apricot sour cream cake on their plate and the samovar, an heirloom from her old homeland, had filled the tea in the cups with steaming water, he initiated the meeting.
„I think,“ he began, „it’s clear to all of us that there are some extremely strange things going on here: a dead politician whose body disappears and reappears somewhere else, stimulants that trigger seizures – and now this inexplicable power failure and the mysterious signs Lidia discovered under a toilet seat. It’s as plain as the nose on your face that there’s something fishy about it!“
„Yes, exactly!“ Leona agreed with him, stabbing her cake fork in the air. „I’m sure that those fundamentalists are behind it, those fanatics who want to throw a veil over everything beautiful and spoil all our fun! – By the way, Lidia,“ she turned to the landlady, „your cake tastes simply heavenly! I’ve tried to make something like that myself, but I’m just not very good at it. Maybe you could …“
Lutz cleared his throat. „I think we should put off exchanging recipes until later. The situation is just too serious for that.“
„Never mind,“ Leona relented with a coquettish pout. „I’m just a passionate sweet tooth.“
„Would you like another piece?“ asked Lidia Afanasyevna, reaching for the cake server.
Leona made a dismissive gesture with her hand. „No thank you! I haven’t even finished my first piece yet. Besides, I have to watch my figure. Unfortunately, what tastes good usually clings to your waistline.“
As if you had any problems with that, Lidia Afanasyevna thought. She would have been happy if she, too, could have worn pop art leggings like the ones Leona was wearing that day, along with a glittery shirt that wasn’t distorted by any folds of flab.
„To get back to the signs Lidia discovered in the Bundestag toilet,“ Lutz picked up the thread of the conversation again. „I think the best thing to do is to start by giving our guesses one by one. So: ‚O‘ and ‚S‘ – what comes to your mind spontaneously when you hear the two letters?“
Again it was Leona who responded first. „Well – Osama!“ she decided without further ado. „The whole thing is an Islamist conspiracy for sure! I’m telling you, those medieval muftis are capable of anything, I’m sure they’ve also killed my poor Richie.“
Tears came to her eyes. Lidia Afanasyevna glanced furtively at her husband, who in his slippers and baggy tracksuit looked like a toad next to this bird of paradise. To her surprise, she didn’t detect any disapproval, not even amusement in his eyes.
It was similar to Lutz, who had allowed himself to be ensnared by Leona just as unresistingly in the hospital. Leona seemed to have an appealing effect on men in general. Perhaps she made the homoerotic chord in them vibrate, which they otherwise forcibly suppressed when dealing with other men.
Perhaps, Lidia Afanasyevna thought, this was the key to Leona’s effect on men: she was a man without wanting to be masculine, she demonstrated a femininity on the ground of which her male counterpart fell into the well of his own sex. So she was a kind of bridge into the realm of homoerotic sensations precisely for those men who would otherwise never have admitted to being capable of same-sex love.
A Date in the Men’s Room
Lutz nodded politely to Leona’s suggested interpretation, but could not quite hide his impatience. Quickly he passed the question to Lidia Afanasyevna’s daughter: „And you, Julia? What do you associate with the two letters?“
Julia looked at him sceptically. „I don’t know … Maybe we shouldn’t read too much into it either. Couldn’t the letters just stand for two ordinary names – for example of two interns who met in the Bundestag and fell in love with each other? Maybe some Otto and a Simone – or an Otto and a Simon – had their first date there once and left their initials as a sign of their love.“
„In the toilet?“ exclaimed Igor.
Julia blushed. „Well,“ she quickly added. „It’s not very romantic, of course. But such things are supposed to exist.“
She looked over at her mother, who gave her an encouraging wink. If she hadn’t met the „other“ Julia a few days ago, she probably would have reacted similarly to Igor. Then she could not have imagined that Julia knew about such things, let alone talked about them.
Nevertheless, she found it difficult to reconcile the two faces of her daughter. After all, today she was once again the good girl she usually appeared to be to her parents: her hair neatly pinned back, clean blouse, inconspicuous trousers.
Meanwhile, Igor also joined in the guessing game. „Tell me,“ he asked his wife, „how many cubicles are there in this men’s room?“
„Five,“ Lidia Afanasyevna replied. „Why?“
„Because there could be a very banal explanation for these signs,“ Igor speculated. „Instead of letters, they could also mean numbers, in other words ‚zero‘ and ‚five‘. They would then be nothing more than numberings, an orientation aid for the plumbers who installed the toilets. This would also explain why the signs are placed on the underside of the toilet seat and are invisible in normal light: They should not be seen by others at all.“
Vigorously spearing the last piece of cake, Leona exclaimed: „Another new theory – how exciting!“ Turning to Lutz, she added: „Now I’m really curious to see how our master spy sees the matter!“
Lidia Afanasyevna was glad to escape the riddle challenge in this way. Her spontaneous association, which had added the letters to „SOS“, now seemed completely ridiculous to her. So she too turned her attention to Lutz.
The Master Spy’s View
With a slightly disdainful look – obviously he found the term „master spy“ a little disrespectful – Lutz expounded: „For me, these are clearly intelligence abbreviations – ‚O‘ stands for ‚operation‘, ‚S‘ refers to the name of the operation.“
Julia looked at him in amazement. „And why would the secret service immortalise its operation on a toilet seat?“
„Those are internal references,“ Lutz replied without batting an eyelid, „they are only for official use. That’s why their meaning is not immediately obvious to outsiders like us.“
Julia frowned. „Well, I can’t help it,“ she grumbled. „It all seems far too contrived to me. I think we are rather dealing with an ordinary accident here.“
At Leona’s indignant look, she added: „Sorry, Leona – no offence. But the fact that someone wants to hide drug use and the death of a deputy in the toilet of our parliament doesn’t necessarily point to a national conspiracy!“
„I couldn’t agree more,“ her father confirmed. „Without wanting to offend you, Lutz, but don’t you think your assumptions are based too much on your former working environment in the German Democratic Republic?“
Lutz leaned forward and lowered his voice. „Have you read anything about the blackout anywhere?“ he asked the others.
Igor laughed mockingly. „The newspapers would have a lot to do if they reported on every power cut.“
„But it wasn’t just any power blackout,“ Lutz clarified. „It was a power failure in the German parliament. And if nothing is reported about it, this clearly shows that something is to be swept under the carpet.“
Julia raised an eyebrow. „And what is that supposed to be?“
Lutz shrugged his shoulders. „That is something we don’t know yet – that’s the whole point of the cover-up. Maybe someone tried to get secret information about this Richard Gross and his death, maybe someone wanted to make an attempt on your mum’s life.“
„That’s really pure scaremongering now!“ complained Julia. „Look at the big revelation scoops of the last few years, Wikileaks, Panama Papers and so on – the really earth-shattering scandals can’t be kept under wraps forever nowadays!“
Lutz took a sip of his tea, then replied: „For me, this is a typical Western interpretation of the scandals. If something like that had come to light in our GDR back then, everyone would have seen it as proof of the depravity of our society. But in the Western world, which honours itself with the attribute ‚free‘, people consider the forced publicity of the scandals as proof of their own freedom and the supposedly functioning democracy.“
Julia looked at him challengingly. „And you don’t agree with that view?“
Can Freedom Promote Surveillance?
Lutz poured himself some more hot water from the samovar and stirred it into the cooled tea. „Due to its sheer quantity, the material posted on the net gives you the impression that all scandals are uncovered,“ he pointed out. „Yet it is probably only the tip of the iceberg. And even that tip is so big that no one can keep track of it.“
„That’s why the material is meticulously analysed by specialists and prepared for the public,“ Julia objected.
Lutz nodded. „That’s right – but then you are also dependent on a certain interpretation of the material. It’s like everywhere else on the internet: The tree of freedom bears rich fruit, but you can’t reach it alone. You need others to show you the way and take you on their shoulders. But that means: you have to hand over your freedom like a coat at the entrance before you can enter the realm of freedom.“
„And what about social media?“ insisted Julia. „Surely you won’t deny that they have contributed to greater freedom and social networking in numerous countries, thus making it possible to overcome totalitarian regimes!“
„It may be that social media facilitate revolutionary processes from a purely technical point of view,“ Lutz conceded. „But when I look at what people reveal about themselves … We could only dream of such a self-service shop for information when I was in the secret service!“
For a moment he stirred his tea lost in thought, then he added: „I think we made a crucial mistake back then: We gave people the feeling of being unfree because we constantly and, above all, far too openly monitored and controlled them. As a result, they tried to defend their freedom against us by secretly gathering the very intellectual content that we had put on the index. Moreover, they did everything they could to hide their interests, preferences and opinions from us. This, in turn, led to more surveillance, whereupon people only distrusted us more and closed themselves off even more against the state.
Today, by contrast, it is exactly the other way round: people feel free and they basically trust the state, in which they see a guarantor of their freedom. Consequently, they disclose their innermost feelings on social media, and the state only needs the necessary algorithms to filter the desired information from the net. In other words, it is precisely the feeling of the greatest possible freedom that opens the floodgates to total surveillance. In addition, people are thus more willing to rely on the interpretations that the state and its self-appointed experts put in front of them instead of making up their own minds about world events.“
„Well, one thing is for sure,“ Julia teased him. „You won’t get my vote if you ever run for the Bundestag!“
Quick-witted, Lutz replied: „I’ll make a note of that … But just to be clear: once I’m Chancellor, cheeky girls like you will be put in their place anyway!“
On the Raft of the Night
Everyone laughed, only Leona made a grumpy face. „And what about this toilet inscription? I thought it would somehow help us solve this cowardly murder. To be honest, your laughter seems rather impious to me. My poor Richie isn’t even buried yet, and you are making fun of his work here!“
While Julia only laughed all the more hysterically as she tried to stifle her laughter, her father quickly regained his composure. „Maybe we should ask Mr. Google what he thinks about our mysterious signs,“ he suggested. „He usually knows everything.“
„All right – let’s just give it a try,“ Lidia Afanasyevna consented.
She booted up the computer, opened the search engine and typed „OS“ into the search box. But it was hopeless. There were so many entries for „OS“ that they couldn’t possibly check them all – and the ones they did check didn’t help them. There was an EU regulation on „online settlement of disputes“ and an „operating system“ for computers, the „Os sacrum“, the holy sacrum, a Japanese car brand and an Austrian airline company. What should all this have to do with their „case“?
Finally, Lutz took the initiative again. „Tell me, Leona,“ he inquired. „Do you actually know the address of the guy from whom you get these blue globules?“
Leona shook her head. „No – I’ve never been to his house. It’s just a street vendor. But I’d be happy to bring you some the next time I drop by his place. I’ll pass on my discount to you then, my big boy!“
„Thank you,“ murmured Lutz, half in thought, „but I actually had something completely different in mind …“
„Would anyone like some more cake?“ asked Lidia Afanasyevna. She was tired and wanted to leave the room before the next round of the detective game.
As everyone replied in the negative, Lidia Afanasyevna cleared the table and carried the dishes into the kitchen. Habitually, she glanced towards the opposite house, searching for Alyosha’s flat. But it was all dark at his place.
In fact, it was completely black outside the window, night had long since fallen. The cosmic darkness seeped inexorably into the earth’s atmosphere, penetrated the cities, flooded the streets, got caught in the narrow backyards. Lidia Afanasyevna had the feeling that she only had to open the window to be carried away into the vastness of the universe on the raft of the night.
Bilder / Images: Johannes Plenio: Hintergrundbild / Background picture (Pixabay); Gerd Altmann: Weihnachtssterne / Christmas stars (Pixabay)