Über Georges Moustakis Chanson En Méditerranée / About Georges Moustaki’s Chanson En Méditerranée
Das Mittelmeer könnte für seine 21 Anrainerstaaten ein völkerverbindendes Element sein. Die Realität sieht aber anders aus.
The Mediterranean Sea could be a unifying element for its 21 littoral states. But the reality looks quite different.
Am Mittelmeer
Kinder mit schwarzen Augen spielen hier,
drei Kontinente treffen sich und uralte Geschichten,
Propheten, Götter, der Messias selbst
genießen einen schönen Sommer,
der den Herbst nicht fürchtet
am Mittelmeer.
Am Ufer zittert der Geruch von Blut
aus so vielen off’nen Wunden. Darbende Länder,
Stacheldrahtinseln und Gefängnismauern
umschatten einen schönen Sommer,
der den Herbst nicht fürchtet,
am Mittelmeer.
Olivenbäume krümmen sich im Bombenhagel
hier, wo die erste Taube in den Himmel stieg.
Vergessene Völker, vom Krieg geschunden,
verlieren einen schönen Sommer,
der den Herbst nicht fürchtet,
am Mittelmeer.
Hier habe ich als Kind gespielt,
die Füße im Wasser, den Wind in der Nase.
Meine Spielgefährten, meine Brüder,
von der Welt verlassen,
sind lang schon zu Männern gereift
am Mittelmeer.
Trauer färbt den Himmel über der Akropolis,
und „Freiheit“ ist ein fremdes Wort in Spanien.
Doch kann man träumen von Athen und Barcelona
und einem schönen Sommer,
der den Herbst nicht fürchtet,
am Mittelmeer.
Georges Moustaki: En Méditerranée
aus: Il y avait un jardin (Es war einmal ein Garten, 1971)
Die zwei Gesichter des Mittelmeers
Das Mittelmeer – am Strand spielende Kinder, sanfter Wellenschlag, mildes Klima bis in den Herbst, das Glitzern der Sonne auf den Wellen, in der Ferne ein Schiff, das mit dem Horizont verschwimmt …
Das Mittelmeer – Menschen, die auf der Flucht vor Hunger, Krieg und Verfolgung in den Fluten ertrinken, das Freiluftgefängnis des Gaza-Streifens, ägyptische Foltergefängnisse, das geteilte Zypern, die Dauerkrise im Libanon durch die gegenseitige Blockade der einzelnen Religionsgruppen …
Am Mittelmeer treffen Bilderbuchlandschaft und Postkartenidyll auf eine soziale Realität, die das genaue Gegenteil des äußeren Anscheins ist. Der Weite des Meeres steht die Enge der Herzen gegenüber, die Misstrauen und Angst, Gewalt und Tod hervorbringen.
Dabei ist das Mittelmeer von seiner Lage her eigentlich prädestiniert dazu, als völkerverbindendes Element zu wirken. Nicht weniger als 21 Länder grenzen an dieses Meer. Handel und kultureller Austausch könnten hier eine Oase des Friedens entstehen lassen. Stattdessen dominieren Streitereien um Hoheitsrechte und die damit zusammenhängenden Verfügungsrechte über Fischgründe und Rohstoffe.
Das janusköpfige Mittelmeer in Moustakis Chanson
Diesen traurigen Gegensatz zwischen äußerem Anschein und sozialer Realität, Möglichkeit und Wirklichkeit, thematisiert auch Georges Moustaki in seinem Chanson. 1971 entstanden, spielt das Lied auf die politische Lage der damaligen Zeit an – auf die Franco-Diktatur in Spanien und auf die Militärjunta in Griechenland, die seit 1967 an der Macht war (und die Geschicke des Landes noch bis 1974 bestimmen sollte).
Daneben scheint Moustaki in der vierten Strophe des Liedes auch auf seine eigene Herkunft aus einer griechisch-jüdischen Familie im ägyptischen Alexandria anzuspielen. Der nostalgische Unterton des Rückblicks mag dabei auch damit zusammenhängen, dass das einst blühende Leben der jüdischen Minderheit in Ägypten infolge der Kriege mit Israel nach 1948 sukzessive ausgetrocknet ist und die jüdische Bevölkerung des Landes in die Emigration getrieben wurde.
Mit dem Verweis auf die unzerstörbare Schönheit des Mittelmeers am Ende jeder Strophe (mit Ausnahme der vierten) macht das Chanson jedoch auch deutlich, dass Frieden und ein harmonisches Miteinander der Menschen als Möglichkeit stets bestehen bleiben. Der Traum von einer besseren, friedlicheren Zukunft kann jederzeit wahr werden – wenn die Menschen es nur wirklich wollen und sich ernsthaft darum bemühen.
Über Georges Moustaki

Georges Moustaki (1934 – 2013) entstammt einer jüdisch-griechischen Buchhändlerfamilie aus dem ägyptischen Alexandria. Seine Familie gehörte allerdings eher zur Gruppe der assimilierten Juden. Im Elternhaus wurde nicht der jüdische-griechische Dialekt Romaniotisch, sondern Italienisch gesprochen. Zusätzlich wuchs Moustaki mit der französischen Sprache auf, die ihm im französischen Gymnasium Alexandrias zur zweiten Muttersprache wurde.
In Paris lernte Moustaki 1951 den Chansonnier Georges Brassens kennen, der ihn in eigenen Ambitionen als Sänger und Songschreiber ermutigte. Aus Dankbarkeit änderte Moustaki daraufhin später seinen ursprünglichen Vornamen Giuseppe in Georges um.
Bevor er Ende der 1960er Jahre seine Solo-Karriere startete, schrieb Moustaki vor allem Lieder für andere Größen der Chanson-Szene, darunter Yves Montand, Juliette Gréco, Edith Piaf und Barbara. Zu den beiden Letztgenannten hatte er ein besonders enges Verhältnis. Mit Barbara ist er auch gemeinsam auf Tournee gegangen.
Seine jüdischen Wurzeln hat Moustaki u.a. in dem Buch Fils du Brouillard (Sohn des Nebels) reflektiert, das er 1999 zusammen mit Siegfried Meir veröffentlicht hat. Der aus Frankfurt am Main stammende Meir war als Kind von den Nationalsozialisten ins Konzentrationslager Auschwitz verschleppt worden.
Nachdem Moustaki sich 2009 wegen eines Lungenemphysems von der Bühne zurückziehen musste, starb er vier Jahre darauf in Nizza.
Weiterer Beitrag zu Moustaki:
Die Fremdheit der Welt. Paul Verlaine / Georges Moustaki: Gaspard (Kaspar Hauser)
English Version
The Mediterranean Sea: Peaceful Appearance, Deadly Reality
About Georges Moustaki’s Chanson En Méditerranée

Latyip: Flucht über das wogende Meer; Zeichnung mit Bildunterschrift: Für drei Mahlzeiten und die Freiheit habe ich meine Familie und Freunden Tausende von Meilen hinter mir gelassen und bin schließlich in Malaysia gelandet. Alles in der Hoffnung auf Freiheit (Wikimedia commons, August 2004)
On the Mediterranean Shores
Black-eyed children play and laugh here,
three continents meet and ancient stories,
prophets, gods, the Messiah himself
enjoy a beautiful summer
that does not fear autumn
on the Mediterranean shores.
On the shores hovers the smell of blood
from so many open wounds. Starving countries,
barbed wire islands and prison walls
shade a beautiful summer
that does not fear autumn
on the Mediterranean shores.
Olive trees bend in the hail of bombs
here, where the first dove rose into the sky.
Forgotten peoples, maltreated by war,
lose a beautiful summer
that does not fear autumn
on the Mediterranean shores.
Here is where I used to play as a child,
feet in the water, the wind in my nose.
My playmates, my brothers,
abandoned by the world,
have long since grown into men
on the Mediterranean shores.
Mourning dyes the sky above the Acropolis,
and „freedom“ is a foreign word in Spain.
Yet one can dream of Barcelona and of Athens
and a beautiful summer
that does not fear autumn
on the Mediterranean shores.
Georges Moustaki: En Méditerranée
from: Il y avait un jardin (Once there was a garden, 1971)
The Two Faces of the Mediterranean Sea
The Mediterranean Sea – children playing on the beach, gently splashing waves, mild climate well into autumn, the glitter of the sun on the ripples, in the distance a ship blurring into the horizon …
The Mediterranean Sea – people drowning in the floods as they flee from hunger, war and persecution, the open-air prison of the Gaza Strip, Egyptian torture prisons, the divided Cyprus, the permanent crisis in Lebanon due to the mutual blockade of the individual religious groups …
On the Mediterranean shores, picture-book landscapes and postcard idylls meet a social reality that is the exact opposite of outward appearances. The vastness of the sea is contrasted by the narrowness of the hearts, giving rise to mistrust and fear, violence and death.
Yet the Mediterranean is actually predestined by its location to act as a unifying element for peoples. No fewer than 21 countries border on this sea. Trade and cultural exchange could create an oasis of peace here. Instead, disputes over sovereign rights and the associated rights of disposal over fishing grounds and raw materials prevail.
The Janus-faced Mediterranean in Moustaki’s Chanson
This sad contrast between external appearance and social reality, theoretical possibility and factual reality, is also addressed by Georges Moustaki in his chanson. Written in 1971, the song alludes to the political situation of the time – the Franco dictatorship in Spain and the military junta in Greece, which had been in power since 1967 (and was to determine the country’s fate until 1974).
Apart from that, Moustaki also seems to allude to his own origins from a Greek-Jewish family in Alexandria, Egypt, in the fourth verse of the song. The nostalgic undertone of the look back may also be related to the fact that the once flourishing life of the Jewish minority in Egypt gradually dried up after 1948 as a result of the wars with Israel, which drove the country’s Jewish population into emigration.
However, with the reference to the indestructible beauty of the Mediterranean Sea at the end of each verse (with the exception of the fourth), the chanson also highlights that peace and a harmonious coexistence of people remain a concrete option. The dream of a better, more peaceful future can come true at any time – if only people really want it and make a serious effort.
About Georges Moustaki

Georges Moustaki (1934 – 2013) was born to a Jewish-Greek family of booksellers in Alexandria, Egypt. His family, however, belonged more to the group of assimilated Jews. In the parental home, Italian rather than the Jewish-Greek dialect Romaniotic was spoken. In addition, Moustaki grew up speaking French, which became his second mother tongue at the French grammar school in Alexandria.
In Paris, Moustaki met the chansonnier Georges Brassens in 1951, who encouraged him in his own ambitions as a singer and songwriter. Out of gratitude, Moustaki later changed his original first name Giuseppe to Georges.
Before launching his solo career in the late 1960s, Moustaki mainly wrote songs for other celebrities of the chanson scene, including Yves Montand, Juliette Gréco, Edith Piaf and Barbara. With Piaf and Barbara he had a particularly close relationship; with Barbara he also went on tour.
Moustaki reflected on his Jewish roots, among other things, in the book Fils du Brouillard (Son of the Fog), which he published together with Siegfried Meir in 1999. Meir, who was born in Frankfurt/Main, had been deported to the Auschwitz concentration camp by the National Socialists as a child.
After Moustaki had to retire from the stage in 2009 due to pulmonary emphysema, he died four years later in Nice in the south of France.
Another Post on Moustaki:
The Strangeness of the World. Paul Verlaine / Georges Moustaki: Gaspard (Kaspar Hauser)
Bild /Image: John (Nature_Photos): Leuchtturm an der griechischen Küste / Lighthouse on the Greek coast (Pixabay)
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