Erträumtes Glück / Dreamed happiness

Zu dem Lied Le mariage insolite de Marie La Bretonne (Die ungewöhnliche Hochzeit von Marie La Bretonne) von Tri Yann und Luc Romann / On the Song Le Mariage Insolite de Marie La Bretonne (The Extraordinary Wedding of Marie La Bretonne) by Tri Yann and Luc Romann

Musikalischer Adventskalender, 13. Tür / Musical Advent Calendar, 13th Door

To the English Version

In dem heutigen Lied der bretonischen Band Tri Yann geht es um eine mystische Hochzeit. Aufgrund der besonderen Entstehungsgeschichte des Liedes bezeichnet die Band dieses allerdings auch als die „jüdischste“ aller keltischen Balladen.

Die ungewöhnliche Hochzeit von Marie La Bretonne

Sie hat ihre Schürze abgelegt
und ein Hochzeitskleid angezogen.
Dann hat sie Handschuhe übergestreift
und ist in weiße Lackschuhe geschlüpft.
Schließlich hat sie sich im Spiegel betrachtet:
Wie schön sie war!

Singend ist sie nach draußen gegangen
und hat den Frühling angelächelt,
die großen Bäume, die Blumen und die Vögel.
Am Ufer des Teichs hat sie sich niedergelassen
und ihr Ebenbild im Wasser betrachtet.

Sie wollte sich gerade wieder erheben,
da sah sie einen jungen Mann auf sich zukommen.
Ganz durchnässt, schien er
aus der Tiefe des Wassers aufzusteigen.
Wie schön er war!
Und als ihre Blicke sich trafen, erkannte sie:
Auch er fand sie schön.

So hat ihr Körper ganz von selbst
in die Sprache der Liebe eingestimmt.
Da aber läutete die Glocke im Schloss,
und auf einmal hat der Unbekannte
sich wieder im Wasser verflüchtigt.

So ist sie wieder auf den Dachboden gestiegen
und hat Handschuhe, Kleid und Lackschuhe
in den Weidenkorb zurückgelegt.
Dann hat sie ihre Schürze wieder angezogen,
um abzuwaschen
und das Abendbrot vorzubereiten.

Luc Romann / Tri Yann: Le mariage insolite de Marie La Bretonne

Lied mit Bildern von Aïdo Lia

INHALT

Ungewöhnliche Entstehungsgeschichte des Liedes

Spuren der bretonischen Kultur in dem Lied

Durchdringung von Traum und Wirklichkeit

Über Luc Romann

Über Tri Yann

Ungewöhnliche Entstehungsgeschichte des Liedes

Wahrlich: Diese Hochzeit ist in der Tat ungewöhnlich! Das Chanson der bretonischen Band Tri Yann wirkt ein wenig wie ein Traum. Man sieht die Bedienstete des Schlosses vor sich, vielleicht steht sie gerade in der Küche und wäscht das Geschirr ab, ihr Blick schweift ab, sie schaut aus dem Fenster und erträumt sich für ein paar Minuten ein anderes Leben …
So könnte es gewesen sein, damals, in jener schweren Zeit, in der das Lied entstanden ist. Denn auch seine Entstehung macht das Chanson zu etwas Besonderem.


Wie die Mitglieder von Tri Yann anlässlich des Todes des Autors, Luc Romann, 2014 berichtet haben, ist das Lied während der deutschen Besatzung Frankreichs entstanden. In Südfrankreich hatten einige Gutsherren jüdische Waisenkinder aufgenommen, deren Eltern von den Nationalsozialisten in Konzentrationslager verschleppt worden waren. Eines dieser Kinder war Luc Romann – was das Lied in den Worten von Tri Yann zu der „jüdischsten“ aller keltischen Balladen macht.
Romanns engste Bezugsperson war damals eine Bretonin namens Marie, die auf dem Gutshof angestellt war. Laut seinen Erzählungen hat sie sich aufopferungsvoll um die ihr anvertrauten Kinder gekümmert – so aufopferungsvoll, dass sie sich ihre eigenen Wünsche nur in ihren Träumen erfüllen konnte. Dieser Frau hat Romann mit dem Chanson ein Denkmal geschaffen.

Spuren der bretonischen Kultur in dem Lied

Dies erklärt allerdings noch nicht die ganz besondere Traumsprache, in der Romann sein Lied verfasst hat. Sie wurzelt ganz offensichtlich tief in der bretonischen Kultur, die bis heute von einem lebendigen Volksglauben geprägt ist.

Franzrycou (2020): Tal der Heiligen (Vallée des Saints, près Carnoët, Côtes-d'Armor, France) mit Skulpturen von 1000 Heiligen (Wikimedia)

Natürlich hat auch in der Bretagne längst die Säkularisierung Einzug gehalten. Eine Kulturgeschichte, in der es von Heiligen nur so wimmelt und in der es für jede Verrichtung spezielle Schutzpatrone gibt, bleibt aber dennoch nicht ohne Auswirkungen auf den Alltag der Menschen.
7777 christliche Märtyrer und Heilige zählt die Bretagne angeblich. Fast ebenso viele Megalithen und Dolmen, diese versteinerten Zeugnisse keltischen Glaubens, sind über die Region verteilt. Da bleibt es nicht aus, dass auch die bretonischen Märchen und Sagen oft einen besonders phantastischen Charakter aufweisen. Immer wieder durchdringen sich Traum und Wirklichkeit darin auf eigentümliche Weise.

Durchdringung von Traum und Wirklichkeit

Eben dies ist auch in dem Chanson von Luc Romann zu spüren. Das Besondere an ihm ist gerade die Selbstverständlichkeit, mit der die Protagonistin hier ihre Reise in die Traumwelt antritt und von dieser wieder in ihren grauen Alltag zurückkehrt.
Traum und Wirklichkeit existieren so nicht nebeneinander, sondern gehen nahtlos ineinander über. Auf diese Weise kann der Traum seine tröstende Wirkung viel unmittelbarer entfalten und auch eher, als innerer Kraftquell, in der tristen Wirklichkeit nachhallen.

Über Luc Romann

Der 1937 geborene Luc Romann betrat die französische Chanson-Szene Anfang der 1960er Jahre, als er im Vorprogramm von Georges Brassens oder Juliette Gréco auftrat und mit Georges Moustaki zusammenarbeitete. Ein paar Lieder sind auch als Gemeinschaftsprojekt der beiden Chansonniers entstanden.
Romann fremdelte jedoch mit dem offiziellen Kulturbetrieb und zog sich Anfang der 1970er Jahre aus dem überregionalen Veranstaltungskarussell zurück. In seiner südfranzösischen Heimat ist er allerdings auch danach noch als Sänger aufgetreten.

Über Tri Yann

Tri Yann – das sind, wörtlich übersetzt die „drei Jans“ (Jean-Louis Jossic, Jean Chocun und Jean-Paul Corbineau), die 1971 beschlossen, gemeinsam Musik zu machen. Später kamen weitere Bandmitglieder hinzu, die drei Namensgeber bildeten jedoch weiterhin den Stamm der Gruppe.
Tri Yann haben sich insbesondere der Pflege der bretonischen Musiktradition verschrieben. Dem dienen Neuinterpretationen traditioneller Lieder und Tänze, aber auch eigene Werke. Darin geht es immer wieder um Fragen der bretonischen Identität. Zwar trägt die Band ihre Lieder überwiegend in französischer Sprache vor, tritt aber dennoch für die Pflege der bretonischen Kultur und Sprache ein.

Programmatisch steht hierfür das Lied La découverte ou l’ignorance (Entdeckung oder Unwissenheit/Ignoranz) aus dem gleichnamigen, 1976 erschienenen Album. Darin wird die Frage thematisiert, was es bedeutet, die französische Identität durch schulische Sozialisation und bürgerliche Papiere selbstverständlich vermittelt zu bekommen, die bretonische Sprache und Kultur mit ihren ganz eigenen, keltischen Wurzeln aber für sich selbst entdecken zu müssen:

„Die Bretagne hat keine Papiere. / Sie existiert nur, wenn sich in jeder Generation / Menschen zu ihrer bretonischen Identität bekennen. / Werden die Kinder, die jetzt gerade geboren werden, bretonisch sein? / Niemand weiß es. / Wenn sie alt genug sind, heißt es für sie alle: Entdeckung oder Unwissenheit.“

Zitat von Tri Yann entnommen aus: Tri Yann INFOS: Tri Yann rend hommage à Luc Romann, auteur du Mariage insolite de Marie La Bretonne (7. Januar 2014)

Infos zu Glauben und keltischer Geschichte der Bretagne: Marx, Petra: Die umfriedeten Pfarreien der Bretagne. Vortrag anlässlich des Neujahrsempfangs des Fördervereins des Naturkundemuseums Dortmund am 15. Januar 2017.

Kleine Einführung in die Welt der bretonischen Sagen und Märchen: Aufmkolk, Tobias: Magische Bretagne – Märchen und Legenden. Planet Wissen, 22. April

2020.

English Version

Dreamed happiness

On the Song Le Mariage Insolite de Marie La Bretonne (The Extraordinary Wedding of Marie La Bretonne) by Tri Yann and Luc Romann

Today’s song by the French-Breton band Tri Yann is about a mystical wedding. However, due to the special genesis of the song, the band also calls it the „most Jewish“ of all Celtic ballads.

The Extraordinary Wedding of Marie La Bretonne

She took off her apron
and donned a wedding dress.
Then she put on gloves
and slipped into white patent shoes.
Finally, she looked at herself in the mirror:
How beautiful she was!

Singing she went outside
and smiled at the vernal sun,
the big trees, the flowers and the birds.
She sat down on the shore of the pond
and looked at her image in the water.

She was just about to stand up again,
when she saw a young man coming towards her.
Completely drenched, he seemed to emerge
from the depths of the water.
How beautiful he was!
And when their eyes met, she realised:
He found her beautiful, too.

So her body attuned itself
to the language of love all on its own.
But then the bell in the castle rang,
and suddenly the stranger
disappeared into the water again.
So she went back to the attic
and put gloves, dress and patent shoes
back into the wicker basket.
Then she put on her apron again,
to do the dishes
and prepare the evening meal.

Luc Romann / Tri Yann: Le mariage insolite de Marie La Bretonne

Song with pictures by Aïdo Lia:

https://www.youtube.com/watch?v=prGWBvIcy2g

CONTENT

Extraordinary Genesis of the Song

Traces of Breton Culture in the Song

Interpenetration of Dream and Reality

About Luc Romann

About Tri Yann

Extraordinary Genesis of the Song

This wedding is indeed extraordinary! The song by the French-Breton band Tri Yann seems a little like a dream. When we close our eyes, we see the maid of the castle in front of us, perhaps she is standing in the kitchen doing the dishes, her gaze wanders, she looks out of the window and dreams of another life for a few minutes …
That’s how it might have been back then, in those difficult times when the song was written. In fact, it is also its genesis that makes the chanson something special.

As the members of Tri Yann reported when the author, Luc Romann, died in 2014, the song was written during the German occupation of France. In the south of France, some landowners had sheltered Jewish orphans whose parents had been deported to concentration camps by the Nazis. One of these children was Luc Romann – which makes the song, in Tri Yann’s words, the „most Jewish“ of all Celtic ballads.
Romann’s closest attachment figure at the time was a Breton woman named Marie, who was employed on the estate. According to his accounts, she sacrificially took care of the children entrusted to her – so sacrificially that she could only fulfil her own wishes in her dreams. With his song, Romann has created a monument to this woman.

Traces of Breton Culture in the Song

However, this does not explain the special dream language in which Romann wrote his song. It is obviously deeply rooted in Breton culture, which is still characterised by a vibrant folk faith.
Of course, secularisation has long since reached Brittany as well. However, a culture that is teeming with saints and that has special patron saints for every activity still has an impact on people’s everyday lives.
Brittany is said to have 7777 Christian martyrs and saints. Almost as many megaliths and dolmens, these fossilised testimonies of Celtic faith, are spread across the region. So it is not surprising that Breton fairy tales and legends often have a particularly fantastic character. Time and again, dream and reality interpenetrate in a peculiar way.

Interpenetration of Dream and Reality

This can also be felt in the chanson by Luc Romann. What is special about it is precisely the matter-of-factness with which the protagonist begins her journey into the dream world and returns from it to her grey everyday life.
Thus, dream and reality do not exist separately, but merge imperceptibly into one another. In this way, the dream can unfold its comforting effect much more directly and also resonate better, as an inner source of strength, in the dreary reality.

About Luc Romann

Luc Romann, born in 1937, entered the French chanson scene at the beginning of the 1960s when he performed in the opening act for Georges Brassens or Juliette Gréco and collaborated with Georges Moustaki. A few songs were also created as a joint project of the two chansonniers.
But Romann felt at odds with the official cultural establishment and withdrew from the supra-regional event carousel at the beginning of the 1970s. However, he continued to perform as a singer in his southern French homeland.

About Tri Yann

Tri Yann – these are, literally translated, the „three Jans“ (Jean-Louis Jossic, Jean Chocun and Jean-Paul Corbineau) who decided to make music together in 1971. Later, other band members joined, but the three namesakes continued to form the core of the group.
Tri Yann have dedicated themselves in particular to the cultivation of the Breton musical tradition. They do this with new interpretations of traditional songs and dances, but also with self-written works. These often deal with questions of Breton identity. Although the band performs most of its songs in French, its members still advocate the cultivation of Breton culture and language.

Programmatically, this is illustrated by the song La découverte ou l’ignorance (Discovery or Ignorance) from the album of the same name, released in 1976. It addresses the question of what it means to be imparted French identity as a matter of course through school socialisation and official papers, but to have to discover the Breton language and culture with its specific Celtic roots for oneself:

Brittany has no papers. / It only exists when, in every generation, / people profess their Breton identity. / Will the children who are being born right now be Breton? / No one knows. / When they come of age, the choice for all of them will be: discovery or ignorance.“

Quotation by Tri Yann taken form: Tri Yann INFOS: Tri Yann rend hommage à Luc Romann, auteur du Mariage insolite de Marie La Bretonne (January 7, 2014)

More about the Celtic history of Brittany: Francetoday.com: Neolithic Brittany: The Mystery of the Megaliths.

Short introduction into the world of Breton sagas and fairy tales: Azorin, Lisa: The 5-minute essential guide to Brittany’s legends; France.fr, May 11, 2021.

Bilder /Picture Credits: Willgard Krause: Magische Bootsfahrt / Magic boat trip (Pixabay); ID 10649618: Burganlage an der bretonischen Atlantikküste / Castle complex on the Breton Atlantic coast (Pixabay); Franzrycou (2020): Tal der Heiligen /Valey of the Saints (Vallée des Saints,) Carnoët, Côtes-d’Armor, France (Wikimedia); Mikael Bodlore Penlaez (Geobreizh.bzh): Cover zu  dem Album Suite Gallaise (1974) von Tri Yann / Cover for the album Suite Gallaise (1974) by Tri Yann (Wikimedia commons); Deborah Bates: Die Megalithen (Steinreihen) von Carnac / The megaliths of Carnac (Carnac stones); Pixabay;

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