Jules Breton: Beau soir d’hiver (Schöner Winterabend / Nice Winter Evening)

Jules Breton (1827 – 1906) hat uns auf dem Literaturplaneten gewissermaßen durch das Jahr begleitet. Im Sommer stand er am Anfang des neuen Poetry Days, später hat er den Herbst eingeläutet. So soll er nun auch die Wintersaison eröffnen.

English Version

Schöner Winterabend

Ein wüstenweißes Meer, so breitet der Schnee
sein jungfräuliches Laken über das Land.
Aus seinen Wirbeln aber erhebt sich,
von grünem Gold und zartem Blau umzittert,
der Vollmond am verwaisten Horizont.

Schläfrig schickt der Sonnengott
ein letztes Lächeln in die Welt,
ein purpurnes Gewand aus Dunst,
das sich mit wolkenweichen Armen
um die errötende Mondgöttin legt.

Die Lilienblässe des funkelnden Schnees
leuchtet im schimmernden Traum des Lichtes.
Sein blütenweißer Faltenwurf bestickt
das Land mit dem glitzernden Staub der Sterne
über der rosa blühenden Weite.

Jules Breton: Beau soir d’hiver; aus: Les champs et la mer (1883)

Auch in Bretons Wintergedicht kommt den Farben wieder eine zentrale Bedeutung zu – in diesem Fall den besonderen Spiegelungen und Farbkombinationen, die sich durch einen Sonnenuntergang über einer verschneiten Winterlandschaft ergeben.
Natürlich manifestiert sich hierin wieder der besondere Blick des Malers auf die Welt. Darüber hinaus vermittelt Breton uns mit seiner eindringlichen Beschreibung der Farbspiele jedoch auch allgemein ein Gefühl für das Künstlerische. Er zeigt uns den Unterschied zwischen einer realistischen Abbildung der Wirklichkeit und einer Darstellung, die sich aus einem künstlerischen Anschauen der Welt ergibt.
In Bretons Gedicht scheinen die Farben gleichsam losgelöst zu sein von den Dingen. Sie wirken wie Elemente auf der Farbpalette des Malers, aus der dieser das Gesehene neu entwirft.
Eben dies ist ein entscheidendes Merkmal künstlerischer Darstellung: Sie löst die Elemente der Wirklichkeit aus ihren vorgegebenen Strukturen und setzt sie im Imaginationsraum der Kunst neu zusammen. Auf diese Weise entsteht etwas Neues. Etwas, das zwar an die allgemein als Wirklichkeit anerkannten Strukturen anknüpft, diese aber um die subjektive Wirklichkeit des künstlerischen Blicks ergänzt.
So erhalten wir in Bretons Gedicht – und in entsprechenden Gemälden – eben nicht nur einfach ein Bild des Winters, sondern den Entwurf einer Winterstimmung, der weit über das bloße Abbild der Wirklichkeit hinausgeht.

Jules Breton: poetischer Maler und malender Poet: Mit einer Nachdichtung des Gedichts Aurore (Aurora) / Jules Breton: Poetic Painter and Painting Poet. With an English Adaptation of the Poem Aurore (Aurora)

Jules Breton: Automne (Herbst/Autumn)

Иван Федорович Шульце: Закат зимой. Iwan Fjodorowitsch Schultze (Ivan Fedorovich Choultsé, 1874 – 1939): Winterlicher Sonnenuntergang (Winter sunset; 1920s); wikimedia commons

English Version

Jules Breton: Beau soir d’hiver (Nice Winter Evening)

How a Poetic Painter sees a Winter Landscape

In a way, Jules Breton (1827 – 1906) has accompanied us through the year on Planet Literature. In the summer, he stood at the beginning of our new Poetry Day, later he heralded the autumn. So it is only logical that he should now also open the winter season.

Beautiful Winter Evening

The snow spreads its virgin sheet
as a desert-white ocean over the land.
But rising from its swirls,
floating in green gold and delicate blue,
the full moon twinkles on the deserted horizon.

Sleepily the sun god breathes
a last majestic smile into the world,
a crimson robe of vapour,
that wraps itself with wooly arms
around the blushing moon goddess.

The lily pallor of the sparkling snow
glows in the shimmering dream of light.
Its flowery white drapery embroiders
the land with the glittering dust of stars
over the pink blossoming vastness.

Jules Breton: Beau soir d’hiver; from: Les champs et la mer (1883)

In Breton’s winter poem, colours again play a central role – in this case, the special reflections and colour combinations created by a sunset over a snowy winter landscape.

Of course, this again reveals the painter’s particular view of the world. But beyond that, Breton’s vivid description of the play of colour also helps us to get a general idea of the artistic. He shows us the difference between a realistic depiction of reality and a depiction that results from an artistic look at the world.
In Breton’s poem, the colours seem to be detached from things, as it were. They appear like elements on the painter’s colour palette, which he uses to redesign what he sees.
In fact, this is a decisive characteristic of artistic expression: The artist detaches the elements of reality from their predefined structures and reassembles them in the imaginative space of art. In this way, something new is created. Something that admittedly takes up the structures commonly recognised as reality, but adds to them the subjective reality of the artistic gaze.
Thus, in Breton’s poem – and in the corresponding paintings – we do not simply get an image of winter, but the draft of a winter mood that goes far beyond the mere image of reality.

Links to the other poems by Jules Breton on LiteraturPlanet:

Jules Breton: Poetic Painter and Painting Poet. With an English Adaptation of the Poem Aurore (Aurora)

Jules Breton: Automne (Herbst/Autumn)

Titelbild /title image: Adolf Kaufmann (1848 – 1916): Sonnenuntergang in Winterlandschaft (Sunset in winter landscape); wikimedia commons

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