Ankunft in Nordkarelien

Kopfreise nach Nordkarelien, Teil 2.

Die Reisen mit meinem fliegenden Teppich sind schnell und langsam zugleich. Das heißt,finland-2002993_1920 (2)RemoPuls eigentlich sind beide Begriffe unpassend, denn mein Teppich gleitet wie ein Bus der Lüfte auf seiner eigenen Spur, und diese Spur windet sich außerhalb der Zeit dahin. So fand ich mich einfach plötzlich am Zielort meiner Reise wieder, ohne dass ich hätte sagen können, wie lange ich unterwegs gewesen war.
Das Erste, was ich sah, als ich auf die Landschaft herunterblickte, war etwas, das von oben wie ein Spiegel wirkte, auf dem ein Jugendstilkünstler Hunderte von grünen Glasperlen verteilt hatte. Deren smaragdenes Glitzern wurde von dem Spiegel aufgenommen und zu Figuren verwoben, die ineinander verschwammen und so immer wieder neue Gestalten formten.
Bei näherem Hinsehen erkannte ich, dass ich mich über einem See befand, in den Kerttu sunset-1367090_1920unzählige Inseln getupft waren. An manchen Stellen wirkte das Gewässer dadurch eher wie ein gewaltiges Flussdelta, das die Wälder an seinen Ufern ebenso umarmte, wie es von ihnen umarmt wurde. Wald und Wasser verschmolzen zu einer einzigen unabsehbaren Fläche, die sich als grün-blaues Meer in den Horizont ergoss.
Ich parkte meinen Teppich mit der Luftankerfunktion über dem Wasser und ließ mich in das kühle Nass gleiten. Das war ein Bad ganz nach meinem Geschmack! Die Chlorpfützen der städtischen Freibäder, in denen man im Sommer Abkühlung sucht, haben mir noch nie gefallen. Der Reiz des Schwimmens hat für mich schon immer darin bestanden, dass ich dabei ganz konkret in die Natur „eintauchen“ kann; dass ich mich in ihr verlieren, mich von ihr tragen, von ihr wiegen lassen kann, wie ein Säugling, der ganz auf die Kräfte der großen Muttergöttin vertraut.
Klar, diese Empfindung kann man auch in einem deutschen See haben. Wie oft hat sie Flycatcher_(49558624)Stefanie Leukermich früher, zu Studentenzeiten, am Bodensee erfüllt, wenn ich mich abends im Wasser habe treiben lassen, den Blick auf die Berge am gegenüberliegenden Ufer gerichtet.
Noch nie allerdings bin ich so vollständig in der Natur versunken wie hier, in diesem smaragdbetupften See, den die Einheimischen Pielinen oder Pielisjärvi nennen. Wenn ich mich auf den Rücken legte, sah ich nichts als Himmel und Baumwipfel, kein Laut drang an mein Ohr außer dem vereinzelten Fiepen des Grauschnäppers, eines kleinen Vogels, der so unscheinbar wie nützlich ist – wie sein volkstümlicher Name „Mückenfänger“ andeutet.
Dass mich eine derart vollkommene Stille umfing, war allerdings auch kein Wunder.sea-3255634_1920 (2)Breathless design Denn nicht nur ist der Pielinen mehr als anderthalb Mal so groß wie der Bodensee. Nordkarelien ist dazu auch noch ausgesprochen dünn besiedelt. Auf einer Fläche, die noch etwas größer ist als die von Rheinland-Pfalz – das mit rund 4 Millionen Einwohnern ja selbst nicht die am dichtesten besiedelte Region Deutschlands ist – leben nur ca. 165.000 Menschen – davon allein die Hälfte in der Provinzhauptstadt Joensuu.
Nachdem ich wieder auf den Teppich hinaufgeklettert war, wurde es mir doch etwas unheimlich, so ganz allein auf dem großen See. „Wie wär’s denn mit etwas Musik?“ wandte ich mich daher an meinen Teppichgeist.
Nicht lange, und ich wurde von sphärischen Klängen umhüllt, die in dem Spiegel des Sees noch den Widerschein einer anderen, unsichtbaren Welt aufleuchten ließen …

Paavoharju: Valo tihkuu kaiken läpi

aus: Yhä hämärää (2005)

 

Liedtext mit englischer und französischer Übersetzung

 

Freie Übertragung:

Das alles durchdringende Licht

Wie der Atem der alles umfließenden Luft,
so weht über dem weiten Wasser der Geist
und erweckt in mir eine Sehnsucht
nach einer Sehnsucht.

Zweige, die sich neigen,
die über das Wasser streichen
und mein Spiegelbild verwischen,
hinter dem dein Bild erscheint.

Wellen, die sich wölben
über den Spiegel meiner Seele
und sie reinigen von ihren Bildern,
hinter denen ein klareres Bild aufleuchtet.

 

Tipp:

Bebilderte Impressionen vom Pielinen-See bietet ein Post vom 19. September 2013 auf Tarjas Blog: Pielinen und Koli.

Teil 3 am kommenden Mittwoch: Gespräch am Ufer des Pielinen-Sees

 

Bildnachweise: Titelbild: Irmeli Kosnaja. Pielinen (Pixabay); Remo Puls. Landschaft in Finnland (Pixabay); Kerttu: See in Finnland (Pixabay); Stefanie Leuker: Fliegenschnäpper (Wikimedia); Breathless Design: Unter Wasser (Pixabay)

Eine Antwort auf „Ankunft in Nordkarelien

  1. Eva Morgenstern

    Was für eine bezaubernde Idee!- Vielen Dank dafür! Originell, das Ganze mit einem fliegenden Teppich zu verbinden. Nach diesem Lied bin ich schon richtig süchtig. Die Sprache klingt exotisch und fremd- die Musik auch. Die Texte sind sehr schön!!!

    Gefällt 1 Person

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