Mikael Wiehe: Flickan och kråkan (Das Mädchen und die Krähe)

Im Sommer geht es auf dem Literaturplaneten wieder musikalisch zu. In loser Folge gibt es ein paar literarische Lieder zu hören. In diesem Jahr kommen sie alle aus dem hohen Norden.

Den Anfang macht Mikael Wiehe, einer der bedeutendsten schwedischen Singer-Songwriter. Der 1946 geborene Musiker hat mit zahlreichen Songs sein politisches Engagement zum Ausdruck gebracht. So hat er sich 1985 mit dem Lied Soweto an dem Protest schwedischer Künstler gegen das südafrikanische Apartheid-Regime (Svensk Rock mot Apartheid) beteiligt. Er ist außerdem öffentlich gegen das amerikanische Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba aufgetreten und engagiert sich in der Stiftung Artister mot nazister (Künstler gegen Nazis), die er seit 2001 leitet.

Daneben hat Wiehe jedoch auch einige eher philosophische Lieder geschrieben, die allgemein um grundlegende Fragen der menschlichen Existenz kreisen. Das vielleicht bekannteste Beispiel dafür ist das Lied Flickan och kråkan („Das Mädchen und die Krähe“, 1981), zu dem Wiehe durch ein Bild des schwedischen Künstlers Oscar Cleve inspiriert wurde. Im Bild eines Mädchens, das einer schwer verwundeten Krähe das Leben zu retten versucht, thematisiert Wiehe hier die grundsätzliche Vergeblichkeit des menschlichen Strebens nach letztgültigen Antworten und nach einer Hoffnung, die das Leben überdauert – und unterstreicht zugleich die Alternativlosigkeit dieses Strebens.

Lust auf mehr Musik aus Schweden? Dann nächsten Sonntag auf rotherbaron gehen!

Mehr zu diesem Lied: Besuch bei Onkel Tod / A visit to uncle Death

Mikael Wiehe: Flickan och kråkan

aus: Kråksånger (1981)

Liedtext mit Übersetzungen in mehrere Sprachen

Freie Übertragung:

Das Mädchen und die Krähe

An einem Tag wie so vielen anderen zuvor
saß ich da und las in der Zeitung.
Und ich träumte von all den vergangenen Träumen,
die einer nach dem anderen zerplatzt waren.

Da fiel mein Blick auf das Foto eines Mädchens,
eines Mädchens mit einer verwundeten Krähe im Arm.
Sie lief, so schnell sie konnte,
mitten durch das Dickicht eines Waldes.

Sie läuft mit ihren flatternden Locken,
sie läuft auf ihren dürren Beinchen.
Und sie fleht und sie bittet, sie hofft und sie glaubt,
dass es nicht schon zu spät ist für alles.

So klein ist das Mädchen, so blond ist sein Haar,
und eine flackernde Glut überzieht seine Wangen.
Schwer ist die Krähe und schwarz wie ein versteinertes Skelett.
Gleich wird der Tod seinen Mantel über sie breiten.

Das Mädchen aber rennt um sein Leben,
rennt für das Leben des sterbenden Vogels,
dorthin, wo es Schutz gibt und Wärme,
Gerechtigkeit und Wahrheit.

Und sie läuft, ein Funkeln in den Augen,
sie läuft auf ihren dürren Beinchen.
Denn sie weiß: Es ist wahr, was ihr Vater gesagt hat:
Solange es Leben gibt, ist es nicht zu spät.

Ein jäher Schreck durchzuckte meine Adern,
ich zitterte vor Angst und Schmerz.
Klar und deutlich stand es mir vor Augen:
Ich war’s, der auf dem Bild zu sehen war.

Meine Hoffnung ist eine verletzte Krähe,
und ich selbst bin ein rennendes Kind.
Ein Kind, das glaubt, dass jemand existiert,
der Hilfe bringt und Antwort weiß.

Und ich laufe mit pochendem Herzen,
ich laufe auf meinen dürren Beinchen.
Und ich bitte und ich flehe, auch wenn ich weiß,
im tiefsten Innern weiß: Es ist schon längst zu spät.

Live-Aufnahme aus dem Jahr 1981:

Bildnachweis: Stanislav: Mädchen mit Rabenvogel (fotolia)

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