Der Sadismus hinter der Maske der Toleranz / Sadism Behind the Mask of Tolerance

Über Peter Hammerschlags Krüppel-Fox (Krüppellied) / About Peter Hammerschlag’s Cripple Song

Political correctness dient zuweilen nur der Kaschierung diskriminierender Handlungsweisen im Alltag. Diesen reißt der österreichische Dichter Peter Hammerschlag mit seinem Krüppel-Fox (Krüppellied) aus den 1930er Jahren die Maske vom Gesicht.

English Version

Der Blitzdichter und das freche Dromedar

Peter Hammerschlag war in den 1930er Jahren Hausautor beim Wiener Kabarett Der liebe Augustin. Später schrieb er auch Texte für andere bedeutende Kabarettbühnen Wiens. 

Viele der Gedichte und Lieder dieses Autors versprühen einen geistreichen Wortwitz, ohne jedoch politisch brisant zu sein. Ein Beispiel dafür ist sein bekanntes Gedicht Franz, das freche Dromedar. Darin moniert die „schöne Frau Kamel“ eines Tages, dass ihr Sohn Franz von seiner schlechten Haltung schon einen Buckel habe. Daraufhin schreit „der Franz ganz frech: Juchhei! Du hast doch selbst der Buckel zwei!“ [1]

Solche Unsinnsverse, die Hammerschlag auch als „Blitzdichter“ aus dem Stegreif kreieren konnte, machten ihn zu einem der populärsten Kabarettkünstler der österreichischen Zwischenkriegszeit. Es gibt von ihm jedoch auch hintergründigere Lieder, die vom Publikum mit weniger Begeisterung aufgenommen worden sein dürften.

Hammerschlag kombiniert seine kritischen Verse dabei auch mit den heimeligen Klängen des Wienerliedes und des Wiener Dialekts. Die sich daraus ergebende Dissonanz macht die Kritik einerseits umso wirkungsvoller. Andererseits wird so auch die Inhumanität entlarvt, die sich hinter der selbstgefällig-selbstverliebten Sentimentalität des heimischen Liedguts verbirgt.

Sadismus mit Wiener Gemütlichkeit

Das bekannteste Lied aus dieser Kategorie ist wohl der Krüppel-Fox, den Helmut Qualtinger und André Heller 1979 für ihr Album Heurige und gestrige Lieder aufgenommen haben (unter dem Titel Krüppellied). Ganz ungeniert berichtet das Ich in dem Lied davon, wie es behinderte Menschen systematisch ausbeutet, verhöhnt und diskriminiert.

Blinde werden in dem Gedicht ausgelacht, ihre Armbinde zweckentfremdet, um selbst einen Platz in der überfüllten Straßenbahn zu finden. Menschen mit Prothesen werden gezielt Situationen ausgesetzt, die sie nicht bewältigen können, behinderte Frauen sexuell missbraucht.

Die Selbstverständlichkeit, mit der behinderte Menschen hier marginalisiert und gequält werden, ist umso bedrückender, als dies vor dem Hintergrund der damaligen Zeit natürlich an die nationalsozialistischen Euthanasie-Programme denken lässt. Allerdings hat der Text auch eine zeitübergreifende Komponente. Dies zeigte sich nicht zuletzt an dem Skandal, den die Neueinspielung des Liedes durch Qualtinger und Heller auslöste.

Ein skandalträchtiges Lied

Die Verbindung einer sadistischen Haltung gegenüber hilflosen Menschen mit der Weinseligkeit des Wienerliedes traf offenbar auch Ende der 1970er Jahre noch einen Nerv. Instinktiv fühlten viele sich anscheinend durchschaut – und zeigten dementsprechend heftige Abwehrreaktionen.

Dies war auch 2016 der Fall, als ein SPÖ-Mitarbeiter die wiederkehrenden Forderungen der rechtspopulistischen FPÖ, man solle „das Wiener Liedgut in den Schulen auch wieder den Kindern näherbringen“ [2], mit dem Verweis auf Hammerschlags Lied kommentierte. Auch hier sorgte die subtile Kritik an den Schattenseiten eines Lokalpatriotismus, der zur Ausgrenzung des Andersartigen tendiert, für empörte Reaktionen.

Paradoxerweise warf der damalige FPÖ-Nationalratspräsident und spätere Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer der SPÖ damals sogar vor, sie mache sich mit dem Verweis auf das Lied „über behinderte Menschen lustig“ [3]. Die Aussage des Textes wird damit auf den Kopf gestellt: Die Demaskierung von Behindertenfeindlichkeit wird selbst als behindertenfeindlich diskreditiert.

Wenn sich die Toleranz auf die Sprache beschränkt

Hofers Reaktion auf das Lied macht dieses auch für den aktuellen Diskurs über eine sprachlich vermittelte political correctness interessant. Denn sie zeigt, welche Gefahren in einer Reduktion von Toleranz auf ihren sprachlichen Ausdruck liegen: Das Wort „Krüppel“ darf man nicht mehr in den Mund nehmen. Behinderten Menschen die Teilhabe an der Gesellschaft zu erschweren, ist dagegen – wie die schleppende Umsetzung der UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen zeigt – dagegen kein Problem.

Es war exakt diese Verlogenheit, die Menschen mit Handicaps schon in den 1970er Jahren dazu veranlasst hatte, ihre Selbsthilfegruppen trotzig als „Krüppelgruppen“ zu bezeichnen und ihr Recht auf soziale Teilhabe in einer „Krüppelbewegung“ einzufordern.

Die selbstbewusste Aneignung des diskriminierend gemeinten Begriffs sollte dazu dienen, besser wahrgenommen zu werden und die eigenen Anliegen offensiver zu vertreten. Anstatt die Realität von Behinderung hinter politisch korrekten Begriffen zu verstecken, sollte diese Realität offen angesprochen werden, um adäquat angegangen werden zu können.

Nachweise

[1]  Vollständiges Gedicht auf mumag.de: Peter Hammerschlag: Franz, das freche Dromedar.

[2]  Vgl. Rauscher, Hans: Wienerlied für Strache. In: Der Standard, 30. September 2010.

[3]  Vgl. ORF.at: Kontroverse über SPÖ-Tweet mit „Krüppellied“; 23. Januar 2016.

Peter Hammerschlag: Krüppel-Fox (Krüppellied)

Wenn ich mal trüber Laune bin,
dann geh‘ ich zu den Blinden
und lache mir den Buckel krumm,
wenn sie die Tür nicht finden.
Dann geh‘ ich zu den Lahmen auch,
wohl in ein dunkles Gangerl,
schnall‘ ihnen die Prothesen ab
und spiel‘ mit ihnen Fangerl.

Krüppel ha’m so was Rührendes.
Krüppel ha’m was Verführendes.
Wenn ich so einen Krüppel seh‘,
wird mir ums goldne Wienerherz
recht warm und weh.

Ich sprach zu einem Mägdelein:
„Du hast nur einen Haxen!
mach Dir nichts draus, sei trotzdem mein!
Er wird Dir eh nicht wachsen.“
Da bracht‘ sich mir das Mägdlein dar,
im weißen Bettgehege.
Der abgeschnitt’ne Haxen war
durchaus mir nicht im Wege.

Krüppel ha’m so was Rührendes …

Ich leg stets die Binde an,
wenn ich die Stadt durchfahre,
denn Plätze in der Straßenbahn
sind meistens Mangelware.
Drei punkte schwarz auf goldnem Grund,
euch weiß ich sehr zu schätzen.
Bin ich auch stark und kerngesund,
ein jeder lässt mich setzen.

Krüppel ha’m so was Rührendes …

Ein Mädel war bedient, o Graus,
ihr Name, der war Stasi*.
Da beutle ich mein Staubtuch aus,
gleich unter ihrem Nasi.
Und fängt sie dann zu husten an,
speit schleim sie und spuckt blut sie,
sag‘ als perfekter Gentleman
ich höflich: „Kutzi, kutzi!“

Krüppel ha’m so was Rührendes …

*Stasi: Kurzform von „Anastasia“

Aufnahme von Helmut Qualtinger zur Musik von Hans Kann:

Beitrag über das österreichische Kabarett der Zwischenkriegszeit auf rotherbaron:

Jüdischer Humor als Waffe gegen den Antisemitismus

Über Peter Hammerschlag

Peter Hammerschlag wurde 1902 in Wien geboren. Sein Vater lehrte als Ohrenarzt auch an der Universität. Die Familie war jüdisch, doch wechselte die Mutter mit ihrem Sohn bei dessen Schuleintritt aus Furcht vor dem schon damals grassierenden Antisemitismus zur katholischen Kirche über.

Nach seinem Jura- und Philosophiestudium begann Hammerschlag auf Vermittlung seines Freundes Friedrich Torberg, eines österreichisch-tschechischen jüdischen Autors, Gedichte im Prager Tagblatt zu veröffentlichen. Torberg war es auch, der 1972 eine Anthologie mit Werken Hammerschlags zusammenstellte und den damals fast vergessenen Autor so wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rückte.

Nachdem Hammerschlag anfangs vor allem Kindergedichte veröffentlicht hatte, kamen später auch andere Gedicht- und Prosatexte hinzu. Deren Publikationen in Zeitschriften versah er oft mit eigenen Illustrationen.

Seine größten Erfolge feierte Hammerschlag als Autor für das Kabarett, wobei er seine Texte häufig selbst vortrug. Seine Popularität verdankte sich vor allem seiner Improvisationskunst und seinen Parodien bekannter Dichter. Alle bedeutenden österreichischen Kabarettbühnen der 1930er Jahre hatten Werke von Hammerschlag im Repertoire.

Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Österreich floh Hammerschlag nach Belgrad, wurde jedoch Ende 1939 wieder nach Wien abgeschoben. Dort konnte er zunächst in der Wohnung eines Freundes untertauchen, ehe er verhaftet und nach Auschwitz deportiert wurde. Wie er selbst starben auch seine Eltern im Konzentrationslager. Lediglich sein Bruder konnte nach Buenos Aires fliehen. Er nahm sich jedoch nach seiner Rückkehr aus dem Exil 1975 das Leben. 

English Version

Sadism Behind the Mask of Tolerance

About Peter Hammerschlag’s Cripple Song

Political correctness sometimes only serves to conceal discriminatory behaviour in everyday life. With his Cripple Song from the 1930s, the Austrian poet Peter Hammerschlag tears the mask off this hypocrisy.

The Impromptu Poet and the Cheeky Dromedary

Peter Hammerschlag was an in-house writer for the Viennese cabaret Der liebe Augustin in the 1930s. Later he also wrote texts for other important cabarets in Vienna. 

Many of this author’s poems and songs exude a witty sense of wordplay without, however, being politically explosive. A good example of this is his well-known poem Franz, das freche Dromedar (Franz, the Cheeky Dromedary). In it, the „beautiful Mrs. Camel“ complains one day that her son Franz already has a hump from his incorrect posture. Thereupon „Franz shouts cheekily: Yay! You already have two humps yourself!“ [1]

Such nonsense verses, which Hammerschlag could also create impromptu, made him one of the most popular cabaret artists of the Austrian interwar period. However, there are also more sophisticated poems and songs by him that were probably received with less enthusiasm by the audience.

Hammerschlag combines his critical verses with the traditional tunes of the „Wienerlied“ (Viennese song) and the Viennese dialect. The resulting dissonance makes the criticism all the more effective. Thus, Hammerschlag exposes the inhumanity that hides behind the self-satisfied sentimentality of the local song tradition.

Sadism with Viennese Cosiness

The most famous song from this category is probably the Krüppel-Fox (Cripple Foxtrot), which the Austrian artists Helmut Qualtinger and André Heller – under the title Krüppellied (Cripple Song) – recorded in 1979 for their album Heurige und gestrige Lieder (Today’s and Yesterday’s Songs). Quite unabashedly, the „I“ in the song reports how it systematically exploits, ridicules and discriminates against disabled people.

Blind people are laughed at in the poem, their armbands are misused to find a seat for oneself in the crowded tram. People with prostheses are deliberately exposed to situations they cannot cope with, disabled women are sexually abused.

The matter-of-factness with which handicapped people are marginalised and tormented here is all the more disturbing because, against the background of the time, this of course makes us think of the National Socialist euthanasia programmes. However, the criticism expressed in the text is not bound to a specific era – as was demonstrated by the scandal caused by the new recording of the song in the late 1970s.

A Song That Caused Scandal

The combination of a sadistic attitude towards helpless people with the cosy mood of the traditional Wienerlied obviously still struck a nerve at the end of the 1970s. Instinctively, many apparently recognised themselves in the mirror of the song – and showed correspondingly fierce defensive reactions.

This was also the case in 2016, when a staff member of the Austrian Social Democratic Party (SPÖ) commented on the recurring demands of the populist Austrian Freedom Party (FPÖ) that traditional „Viennese songs should be introduced to children at school again“ [2] by referring to Hammerschlag’s song. Here, too, the subtle criticism of a local patriotism tending to exclude the divergent caused outraged reactions.

Paradoxically, the then FPÖ parliamentary president and later presidential candidate Norbert Hofer even blamed the SPÖ for „making fun of disabled people“ by referring to the song [3]. Such a view turns the message of the text upside down: The unmasking of hostility towards disabled people is itself discredited as hostile towards disabled people.

When Tolerance is Limited to Language

Hofer’s reaction to the song also makes the text interesting for the current discourse on linguistically mediated political correctness. It shows the dangers inherent in reducing tolerance to its linguistic expression: The word „cripple“ is on the prohibited list because of its discriminatory connotations. However, making it more difficult for disabled people to participate in society is accepted without complaint – as the slow implementation of the UN Convention on the Rights of Persons with Disabilities in many countries shows.

It was precisely this mendacity that had prompted people with disabilities in Germany in the 1970s to defiantly refer to their self-help groups as „cripple groups“ and thus demand their right to social participation.

The aim of the self-confident appropriation of the discriminatory term was to be better perceived and to advocate handicapped people’s concerns more offensively. Instead of hiding the reality of disability behind politically correct terms, this reality should be addressed openly in order to be dealt with adequately.

References

[1]  Complete poem on mumag.de: Peter Hammerschlag: Franz, das freche Dromedar.

[2]  Cf. Rauscher, Hans: Wienerlied für Strache. In: Der Standard, September 30, 2010.[3]      Cf. ORF.at: Kontroverse über SPÖ-Tweet mit „Krüppellied“; January 23, 2016

Peter Hammerschlag: The Cripple Song

When I’m in a bad mood
I go to see blind people
and laugh my ass off
when they can’t find the door.
Then I go to see the lame.
In a little gloomy alley,
I take off their prostheses
and play tag with them.

There’s something touching about cripples.
There’s something seductive about cripples.
When I see one of those cripples,
I feel quite warm and sore
in my golden Viennese heart.

I said to a maiden:
„You only have one hoof!
But don’t worry, be mine anyhow!
It won’t grow on you anyway.“
So the maiden offered herself to me
in a white bed’s box.
The cut-off hoof
was by no means in my way.

There’s something touching about cripples …

I always put on the armband
when I’m driving through town,
because seats on the tram
are usually in short supply.
Three black dots on a golden background,
I appreciate you very much.
Although I’m strong and healthy as a horse,
everyone allows me to sit down.

There’s something touching about cripples …

A girl was served, what a horror,
her name was Stasi.
That’s when I shook out my duster,
right under her noodle nose.
And when she started coughing,
spitting up blood and mucus,
I acted as a perfect gentleman
and politely called her „Cutie“.

*Stasi: short form of „Anastasia“

Recording by Helmut Qualtinger to music by Hans Kann

About Peter Hammerschlag

Peter Hammerschlag was born in Vienna in 1902. His father worked as an otologist and also taught at the university. The family was Jewish, but the mother converted to Catholicism with her son when he started school, fearing the anti-Semitism that was already rampant at the time.

After studying law and philosophy, Hammerschlag began publishing poems in the Prager Tagblatt (Prague Daily Newspaper) with the help of his friend Friedrich Torberg, an Austrian-Czech Jewish writer. It was also Torberg who compiled an anthology of Hammerschlag’s works in 1972, thus bringing the then almost forgotten author back to the attention of the public.

After Hammerschlag had initially published mainly children’s poems, he later also created other poetry and prose texts. When publishing these in magazines, he often added his own illustrations.

Hammerschlag enjoyed his greatest successes as an author for cabaret, often performing his texts himself. His popularity was largely due to his improvisational skills and his parodies of well-known poets. All the major Austrian cabarets of the 1930s had works by Hammerschlag in their repertoire.

When the German Wehrmacht invaded Austria, Hammerschlag fled to Belgrade, but was deported back to Vienna at the end of 1939. There he initially managed to hide in a friend’s flat before he was arrested and taken to the Auschwitz concentration camp. Like him, his parents died in concentration camps. Only his brother was able to escape to Buenos Aires. However, he took his own life after returning from exile in 1975.

Bilder / Images: Peter Hammerschlag (Österreichisches Kabarettarchiv / Österreichische Nationalbibliothek); Peter Hammerschlag, 1932 (Wikimedia commons)

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