aus dem Textzyklus Gesichter des Todes / from the Text Cycle Faces of Death

Fünfter Text aus Ilona Lays dichterischem Zyklus Gesichter des Todes. Heute ist der Tod eine Spielerin, die an unserem Körper ihre kindliche Experimentierlust auslebt.

Der Tod ist eine Spielerin

Der Tod ist eine Spielerin, und du bist ihre Puppe. Immer wieder greift sie nach dir, um an dir ihre kindliche Experimentierfreude auszuleben.

Kunstfertig drapiert sie ihren Schal um deinen Hals, fest zieht sie die Enden zu einer Schleife zusammen und verschnürt dich zu einem Geschenk, das sie am Ende selbst auspacken wird. Interessiert beobachtet sie die anschwellende Röte in deinem Gesicht, während sie ihren Schal enger und enger um deinen Hals windet, deine sich immer schneller hebende und senkende Brust, deinen Mund, der sich staunend öffnet, deine Augen, die starrend nach einem Halt suchen und ihn in niemand anderem finden als in ihr, der großen Spielerin.

Akkurat führt sie eine Nadel in deinen Kopf ein und registriert dann belustigt die verständnislosen Laute, die du auf einmal von dir gibst. Amüsiert schaut sie auf den Hampelmann, zu dem du von einer Sekunde zur anderen geworden bist, und auf deine Gliedmaßen, die urplötzlich ein Eigenleben führen, als hätte jemand einer Marionette die Fäden abgeschnitten oder sie zu Eis erstarren lassen.

Sorgsam bohrt sie ein Messer in deinen Leib und verfolgt dann mit wohligem Schaudern das Schauspiel, das sich ihr bietet. Gebannt sieht sie zu, wie das Gewürm in deinem Bauch sich ineinander verschlingt und verknotet, wie es, anstatt dir zu dienen, auf einmal dich selbst zu seiner Beute macht und dich von innen heraus verzehrt.

Mit geübtem Griff fasst sie in deine Brust, wie eine gefangene Kröte fügt sich dein Herz in den Käfig ihrer Hand. Jede noch so kleine Bewegung ihres Opfers überträgt sich auf ihre Finger, empfindsam registriert sie seine Gegenwehr, und sie spürt, wie jede Regung des Widerstands es nur noch fester an sie bindet.

Sie gibt dir Wasser zum Atmen und tränkt dich mit Feuer, sie vergiftet dich mit ihren Küssen und lässt dich in deinem eigenen Blut ertrinken. Grenzenlos ist ihr Erfindungsreichtum, wenn es darum geht, neue Versuchsanordnungen und Regeln zu ersinnen für ihre Spiele mit dir.

Nur leider: Was du davon hältst, interessiert sie nicht. Meistens ergibst du dich klaglos in dein Schicksal, aber manchmal möchtest du doch aufbegehren und dich beschweren über ihren rücksichtslosen, würdelosen Umgang mit dir. Dann aber fällt dir wieder ein, dass du ja nur ein Spielzeug bist, und die Worte gefrieren in deinem Mund, ehe du den Gedanken zu Ende gedacht hast.

English Version

Ilona Lay: Death is an Inventive Girl

Fifth text from the poetic cycle Faces of Death by Ilona Lay. Today, death is an inventive girl who uses our bodies to indulge in her childish joy of experimentation.

Death is an Inventive Girl

Death is an inventive girl, and you are her doll. Again and again she reaches for you to indulge in her childish joy of experimentation.

Artfully she drapes her scarf around your neck, tightly pulling the ends together into a bow and tying you up into a gift that she herself will unwrap in the end. Curiously, she watches the swelling blush on your face as she winds her scarf tighter and tighter around your neck, your chest fluttering in ever faster tremors, your mouth opening in amazement, your eyes staring, searching for a hold and finding it in her, of all people, the great mistress of experimentation.

Meticulously, she inserts a needle into your head and then registers with amusement the bewildered sounds you suddenly make. Amused, she looks at the puppet you have become from one second to the next and at your limbs, which suddenly take on a life of their own, as if someone had cut the strings of a puppet or caused it to freeze.

Carefully she plunges a knife into your body and then watches with a pleasant shudder the spectacle offered to her. Spellbound, she observes how the squirming worms in your belly intertwine and knot themselves together, how they, instead of serving you, suddenly make you their prey and consume you from the inside out.

With a practised grip she grasps into your chest, like a trapped toad your heart fits into the cage of her hand. Every tiny movement of her victim is transferred to her fingers, she sensitively registers its defence, and she feels how every movement of resistance only binds it tighter to her.

She gives you water to breathe and drenches you with fire, she poisons you with her kisses and makes you drown in your own blood. Her inventiveness is boundless when it comes to devising new experimental arrangements and rules for her games with you.

Unfortunately, she is not at all interested in what you think of all this. Most of the time you resign yourself to your fate without complaint, but sometimes you want to resist and complain about the ruthless, humiliating way you are treated. But then you remember that you are nothing but a toy, and the words freeze in your mouth before you have even finished the thought.

Bilder / Images: Alfred Roller: Posterskizze /Poster sketch ; aus: Anno 11/1898; Wikimedia commons (modifiziert); Rafael Barradas (1890 – 1929): Muñeca (Handgelenk / Wrist; zwischen 1918 und 1923); Museo Nacional de Artes Visuales de Uruguay (Wikimedia commons)