Der Fado: ein musikalisches Monument der Vergangenheit? / The Fado: a Musical Monument of the Past?

Maria Rainho / Mariza: Recusa (Verweigerung / Refusal)

Der teilweise Missbrauch des Fados unter der Salazar-Diktatur führte nach deren Ende zunehmend zu Versuchen, ihn aus seinem starren Korsett zu befreien. – Zu dem Fado Recusa (Verweigerung) von Maria Rainho, gesungen von Mariza.

English Version

Verweigerung

Wenn Fadista zu sein bedeutet, der Mond zu sein
und sich der Sonne zu verschließen,
eine Statue zu sein, die auf sich selbst verweist,
dann bin ich keine Fadista.

Wenn Fadista zu sein bedeutet, Weltschmerz zu sein,
der Klang einer vorhersehbaren Träne,
ein Leid, das um sein eig’nes Leiden kreist,
dann bin ich keine Fadista.

Wenn „Fadista“ im Grunde nichts ist
als die abgenagte Hülle eines Wortes,
das spöttisch aus den Mündern tropft,
dann bin ich keine Fadista.

Wenn „Fadista“ nichts als eine müde Welle ist,
die sich der Flussmündung entgegengähnt,
wird meine Stimme nicht ihr Echo sein –
dann bin ich keine Fadista.

Aber wenn es bedeutet, sich auf den Weg
zu all den unbekannten Versen zu begeben,
dann bin ich keine Fadista –
dann bin ich der Fado selbst.

Mario Rainho: Recusa,

zu einer Melodie von Raúl Portela (1889 – 1942)

Interpretin (unter Auslassung der vierten Strophe): Mariza

Album: Transparente (2005)

Live-Aufnahme (Live recording):

Fußball, Fado, Fátima

Fußball, Fado, Fátima – das ist der Dreiklang, der immer wieder als Fundament der portugiesischen Diktatur unter António de Oliveira Salazar angeführt wird.

Dass der Fußball eine systemstabilisierende Funktion haben kann, leuchtet unmittelbar ein. Dabei muss man gar nicht unbedingt an das Herrschaftsprinzip „Brot und Spiele“ im alten Rom denken. Auch in jüngerer Zeit sind große Sportereignisse immer wieder für eine Stärkung des Patriotismus und die damit verbundenen höheren Zustimmungswerte für die Herrschenden genutzt worden.

Der Katholizismus – repräsentiert durch den berühmten Wallfahrtsort Fátima – wirkt gleichfalls nicht unbedingt als Fremdkörper in dem Begriffstrio. Schließlich war es bis in die Neuzeit hinein gängige Praxis, die Königs- und erst recht die Kaiserwürde unmittelbar von Gott abzuleiten, was jedwede Opposition gegen das Herrscherhaus zu einem Akt der Ketzerei stempelte.

Der Fado als Stütze der Diktatur – ein Widerspruch in sich?

Aber der Fado? Wie soll der denn als Stütze eines autoritären Regimes dienen? Eines Regimes, das sich noch dazu die Wiederanknüpfung an die lusitanische Glorie, den Glanz des ehemaligen portugiesischen Weltreichs, auf die Fahne geschrieben hatte? Ist es nicht ein Kennzeichen des Fados, den unwiederbringlichen Verlust vergangenen Glücks zu beklagen?

Und steht nicht auch die dem Fado inhärente Klage über die Unerreichbarkeit der Utopie eines vollkommenen Lebens im Widerspruch zu einem Regime, das sich selbst als vollkommen inszeniert? Ist nicht die latente Klage des Fados über das unerfüllte Alltagsleben ein Stachel im Fleisch einer Diktatur, die jeden Protest gegen soziale Ungerechtigkeit und politische Unterdrückung im Keim ersticken möchte?

All das trifft fraglos zu. Allerdings darf man nie vergessen, dass der Fado in seiner Klage über das unvollkommene Leben zumeist im Ungefähren verbleibt. Selbst wenn es in den Liedern nicht um einstiges Glück, verlorene Liebe, zerbrochene Träume oder ein fernes, utopisches Irgendwo geht, sondern die Klage über das Ungenügen an der Gegenwart im Vordergrund steht, werden die Texte doch fast nie konkret in ihrer Anklage. Nicht das, was die Wehmut verursacht, sondern diese selbst steht im Mittelpunkt des Fados.

Ventilfunktion des Fados unter der Diktatur

Auf diese Weise erfüllte der Fado unter der Salazar-Diktatur sowohl für das Volk als auch für die Herrschenden eine wichtige Funktion. Für die Menschen, die keine Möglichkeit sahen, sich gegen die einengenden Verhältnisse wirksam zur Wehr zu setzen, bot der Fado ein Ventil für ihre Unzufriedenheit. Das  Regime wiederum konnte die zunehmende Popularität des Fados nutzen, um von den wahren Ursachen der Misere abzulenken.

Der Fado wurde von dem Regime demnach gerade deshalb zu einem nationalen Symbol erhöht, weil sich mit ihm eine eskapistische Reaktion auf das konkrete Elend fördern ließ. Durch die Flucht in Traumwelten und allgemeine Klagen über das schicksalhafte Dasein konnte von einer kritischen Auseinandersetzung mit der Diktatur und ihrer Politik abgelenkt werden.

Erneuerung des Fados nach dem Ende der Diktatur

So wurde der Fado unter der Diktatur gleichermaßen gepflegt wie beschädigt. Einerseits hatte er für viele Menschen eine tröstende Funktion, was ihm auch nach der Nelkenrevolution des Jahres 1974 seine Bedeutung sicherte. Wer die Diktatur erlebt hatte, verband mit ihm die Möglichkeit, in einer Situation äußerer Bedrohung eine geistige Zuflucht zu haben, einen imaginären Raum, in dem das Leid, in die Form eines harmonischen Liedes gegossen, seinen Stachel verliert.

Die jüngere Generation dagegen störte sich nach dem Ende der Diktatur zunehmend an der Überhöhung des Fados zu einem staatstragenden Symbol, die seine Vereinnahmung durch die Salazar-Diktatur bewirkt hatte. Das Ergebnis war ein Prozess der Erneuerung des Fados, der diesen aus seinen engen musikalischen, kompositorischen und textuellen Fesseln befreien sollte.

Auf programmatische Weise bringt dies Mário Rainho in Recusa („Verweigerung“) zum Ausdruck. Der Text, zur Musik von Raúl Portela gesungen von der berühmten Fadista Mariza, wendet sich ausdrücklich gegen einen im Gestus der Trauer erstarrten Fado, der nur um sich selbst kreist und so zu seinem eigenen Denkmal wird. Stattdessen verbindet sich der Fado hier mit dem Anspruch, das „Unbekannte“ zu entdecken und neue Sichtweisen zu ermöglichen, die den Ausdruck des Fado-Schmerzes mit der Hoffnung auf eine Beseitigung seiner Ursachen verknüpfen.

Über Mario Rainho

Der 1951 geborene Mario Rainho hat für zahlreiche neuere Fados die Texte geschrieben. Viele berühmte Fadistas haben von ihm gedichtete Fados gesungen. Rainho war daneben auch als Drehbuchautor für Fernsehsendungen sowie als Theaterregisseur erfolgreich. Außerdem hat er bei mehreren Zeitschriften redaktionell und als Autor mitgewirkt.

Über Mariza

Mariza (eigentlich Marisa dos Reis Nunes) wurde 1973 als Tochter einer mosambikanischen Mutter und eines portugiesischen Vaters in der ehemaligen portugiesischen Kolonie Mosambik geboren. Nach der Übersiedlung der Familie nach Portugal wuchs sie dort auf, wo viele die Wiege des portugiesischen Fados vermuten: im Lissabonner „Maurenviertel“ Mouraria.

Im dort gelegenen Restaurant ihrer Eltern kam die Sängerin früh mit dem Fado in Berührung, wandelte in ihrer Gesangskarriere allerdings zunächst auf den Spuren von Jazz und Soul. Dies ist teilweise auch ihren Fado-Interpretationen anzumerken.

Seit Anfang des Jahrtausends hat Mariza sich verstärkt dem Fado zugewandt. Heute ist sie eine der erfolgreichsten, auch im Ausland bekannten Fadistas.

English Version

The Fado: a Musical Monument of the Past?

Maria Rainho / Mariza: Recusa (Refusal)

After the end of the Salazar dictatorship, the partial abuse of fado under that regime increasingly led to attempts to free the fado from its rigid corset. – To the fado Recusa (Refusal) by Maria Rainho, sung by Mariza.

Refusal

If being a fadista means being the moon
and to turn away from the sun,
to be a statue that refers to itself,
then I am not a fadista.

If being a fadista means being world-weariness,
the sound of a predictable tear,
a sorrow that revolves around itself,
then I am not a fadista.

If „fadista“ is basically nothing
but the worn-out husk of a word
that mockingly drips from the mouths,
then I am not a fadista.

If „fadista“ is nothing but a tired wave,
creeping towards the mouth of the river,
then my voice won’t be its echo –
then I am not a fadista.

But if it means setting out on the path
to all the unknown verses,
then I am not a fadista –
then I am the fado itself.

Mario Rainho: Recusa,

to a melody by Raúl Portela (1889 – 1942)

Snger (with omission of the fourth strophe): Mariza

Album: Transparente (2005)

Live recording

Football, Fado, Fátima

Football, Fado, Fátima – this is the triad that is repeatedly mentioned as the foundation of the Portuguese dictatorship under António de Oliveira Salazar.

That football can have a system-stabilising function is immediately obvious. To realise this, it is not even necessary to think of the ruling principle of „bread and circuses“ in ancient Rome. In more recent times, too, major sporting events have repeatedly been used to strengthen patriotism and thus also to boost approval ratings for the ruling regime.

Likewise, Catholicism – represented by the famous pilgrimage site of Fátima – does not necessarily appear as a foreign body in the trio of concepts. After all, it was common practice until modern times to derive the kingship and even more so the emperorship directly from God, which stigmatised any opposition to the ruling house as an act of heresy.

Fado as a Pillar of Dictatorship – a Contradiction in Terms?

But the fado? How could this aspect of Portuguese culture serve as a support for an authoritarian regime – a regime that had made it its mission to return to the Lusitanian glory, to the splendour of the former Portuguese empire? Is it not a characteristic of fado to lament the irretrievable loss of past happiness?

And isn’t the lament inherent in fado about the unattainability of the utopia of a perfect life at odds with a regime that presents itself as perfect? Is the latent fado lament about the unfulfilled everyday life not a thorn in the flesh of a dictatorship that wants to nip any protest against social injustice and political oppression in the bud?

All this is undoubtedly true. However, it should never be forgotten that fado, in its lamentation of the imperfect life, usually remains vague. Even if the songs are not about former happiness, lost love, broken dreams or a distant, utopian somewhere, but lament the inadequacy of the present, the lyrics are almost never concrete in their complaint. It is not what causes the melancholy but the melancholy itself that is the focus of the fado.

The Function of Fado as an Outlet under the Portuguese Dictatorship

In this way, the fado fulfilled an important function under the Salazar dictatorship, both for the people and for the rulers. For the people, who saw no possibility of effectively resisting the constricting conditions, the fado offered an outlet for their discontent. The regime, in turn, could use the increasing popularity of fado singing to divert attention from the real causes of poverty and oppression.

Accordingly, the regime elevated the fado to a national symbol precisely because it could be used to promote an escapist reaction to concrete misery. By escaping into dream worlds and general lamentations about the fateful existence, a critical confrontation with the dictatorship and its policies could be prevented.

Renewal of Fado after the End of the Dictatorship

Thus, fado was both cultivated and damaged under the dictatorship. On the one hand, it had a comforting function for many people, which ensured its importance even after the Carnation Revolution of 1974. Those who had experienced the dictatorship associated it with the possibility of having a spiritual refuge in a situation of external threat, an imaginary space in which the suffering, sublimated by a harmonious song, loses its sting.

The younger generation, on the other hand, was increasingly disturbed after the end of the dictatorship by the elevation of the fado to a state-supporting symbol, which its appropriation by the Salazar dictatorship had brought about. This resulted in a process of renewal of fado singing, intended to free it from its tight musical, compositional and textual fetters.

Mário Rainho expresses this programmatically in Recusa („Refusal“). The text, sung by the famous fadista Mariza to a tune by Raúl Portela, explicitly rejects a fado frozen in the gesture of mourning, which only revolves around itself and thus becomes its own monument. Instead, the fado is associated here with the claim to discover the „unknown“ and to enable new perspectives that link the expression of the fado pain with the hope of eliminating its causes.

About Mario Rainho

Mario Rainho, born in 1951, has written the lyrics for many recent fados. Many famous fadistas have sung fados written by him. Rainho has also been successful as a scriptwriter for television productions and as a theatre director. Furthermore, he has contributed editorially and as an author to several magazines.

About Mariza

Mariza (actually Marisa dos Reis Nunes) was born in 1973 to a Mozambican mother and a Portuguese father in the former Portuguese colony of Mozambique. After the family moved to Portugal, she grew up where many see the cradle of Portuguese fado: in Lisbon’s „Moorish quarter“ Mouraria.

In her parents‘ restaurant located there, the singer came into contact with fado at an early age. However, she initially followed in the footsteps of jazz and soul in her singing career. This is also partly noticeable in her fado performances.

Since the turn of the millennium, Mariza has increasingly devoted herself to fado. Today she is one of the most successful fadistas, also known abroad.

Bilder:Pedro Ribeiro Simões: „Guitarra na Proa“; eine Skulptur von Domingos de Oliveira als Hommage an den Fado und Amália Rodrigues in Lissabon (Wikimedia commons)José Goulão: Mariza bei einem Auftritt in Lissabon (2007); Wikimedia commons

Pictures: „Guitarra na Proa“; a sculpture by Domingos de Oliveira as a tribute to Fado and Amália Rodrigues in Lisbon (Wikimedia Commons) José Goulão: Mariza at a performance in Lisbon (2007); Wikimedia Commons

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