Der Fado und die Diktatur / Fado and Dictatership

David Mourão-Ferreira: Abandono (Verlassenheit)

Obwohl die meisten Fado-Texte unpolitisch sind, traf unter der Salazar-Diktatur auch manche Fados der Bannstrahl der Zensur. Das vielleicht bekannteste Beispiel dafür ist der Fado de Peniche (nach dem Gedicht Abandono von David Mourão-Ferreira).

English Version

Verlassenheit

// Dein Denken ohne Mauern
hat hinter hohe Mauern dich gebracht. //

Unbezwingbar sind für meine Klagen
deine Mauern. Nichts hörst du
als das gleichgültige Rauschen
des Windes und des Meeres.

// Finsternis umfängt mein Herz
wie in der Nacht, als sie dich holten. //

Finster war es, finster bleibt es,
nie war finsterer die Nacht.
Seit der Nacht, als sie dich holten,
ist es nie mehr Tag geworden.

// Ach, noch immer lähmt das Gift
der Finsternis mein klammes Herz. //

Nur Stille ist von dir geblieben,
nur dein Schweigen kündet noch von dir.
// Wenigstens hören wir denselben Wind
und dieselben Wellen rauschen. //

David Mourão-Ferreira: Abandono (1959)

Musik: Alain Oulman

Cristina Madeira: Abandono (Fado Peniche):

Erstaufnahme: Amália Rodrigues: Abandono (Fado de Peniche); aus: Asas Fechadas (1962):

Sozialkritische Fado-Töne

Unabhängig von der Entstehungsgeschichte des Fados ist unbestritten, dass dieser in Portugal anfangs vor allem ein Ausdrucksmittel sozial unterprivilegierter Schichten war. So war im Fado stets auch ein gesellschaftskritisches Element präsent.

Die Sozialkritik wurde im Fado jedoch meist nicht direkt ausgedrückt, als konkrete Kritik an sozialer Ungleichheit. Stattdessen kamen in den Liedern eher die Resultate der gesellschaftlichen Missstände zur Sprache, also die Ausweglosigkeit der eigenen Lage, die fehlenden Perspektiven für ein Leben in Würde, das nicht von dem täglichen Kampf ums Überleben geprägt ist.

Kritik unter dem Radar der Zensur

Gerade diese Unbestimmtheit der Kritik machte den Fado zu einem geeigneten Ausdrucksmittel unter den Bedingungen der Diktatur. In dem von António de Oliveira Salazar ausgerufenen „Estado Novo“ („Neuen Staates“), der die Politik in Portugal von Anfang der 1930er Jahre bis zur Nelkenrevolution des Jahres 1974 bestimmte, war offene Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen kaum möglich.

Die Fado-Texte boten hier mit ihren feinen Nuancierungen, den unterschwelligen An- und Umdeutungen, eine Alternative. Freilich bestand dabei die Gefahr, dass das von ihnen eröffnete Ventil den Staat am Ende stützen konnte. Der Fado konnte auch zu einem Beruhigungsmittel werden, einem Fatalismus schürenden Tranquilizer, der die Menschen von den Barrikaden fernhielt.

Ein politischer Fado

In welcher Weise sich ein Fado konkret auswirken würde, war allerdings nie im Voraus zu entscheiden. Dies hing vielmehr stets von der konkreten Rezeptionssituation ab.

So ist das Gedicht Abandono (Verlassenheit) eben deshalb als Fado de Peniche bekannt geworden, weil die Menschen den Text automatisch auf die politischen Gefängnisse der Salazar-Diktatur bezogen – von denen eines sich in Peniche befand.

Der Text benennt unzweideutig das Streben nach freiem Denken und Reden als Grund für die Verhaftung. Auch die schweren Haftbedingungen – die Isolation der Gefangenen, ihr Abgeschnittensein von der Umwelt und ihren Angehörigen – werden angedeutet, auch wenn die körperliche Folter, die in Peniche ebenfalls an der Tagesordnung war, unerwähnt bleibt.

Die verbotene Klage

Der Text beschränkt sich allerdings ganz auf die Perspektive der Zurückgebliebenen. Im Vordergrund steht die Klage über den Verlust des Internierten. Die Frage, wie und ob das Leid beendet werden kann, wird dagegen nicht angeschnitten.

Auch der Schluss des Gedichts ist eher resignativ. Hoffnung kann nur aus einem erträumten Zusammensein gesogen werden. Perspektiven für eine Beendigung des gegenwärtigen Zustands werden nicht aufgezeigt.

Trotz dieses resignativen Tenors stufte das Regime den Fado als bedrohlich ein und unterwarf ihn der Zensur. Implizit lässt sich daraus das Eingeständnis ablesen, dass schon die Thematisierung des Leids der Betroffenen ein Funke für die Entzündung des Widerstandsfeuers sein konnte – umso mehr, als dies der Selbstinszenierung des Regimes als Heilsbringer der portugiesischen Nation widersprach.

Zu Alain Oulman und Amália Rodrigues vgl. Teil 2 der Reihe zum Fado: Der Fado und das Meer; zu David Mourão-Ferreira vgl. Teil 3: Eine Brücke über das Tal der Trauer

English Version

Fado and Dictatorship

David Mourão-Ferreira: Abandono (Forlornness)

Although most fado texts are non-political, some fados were banned by the censors under the Salazar dictatorship. Perhaps the best known example of this is the Fado de Peniche (based on the poem Abandono by David Mourão-Ferreira).

Forlornness

// Your thinking without walls
has brought you behind high walls. //

Unconquerable are for my laments
your walls. You hear nothing
but the indifferent murmur
of the wind and the sea.

// Darkness surrounds my heart
as in the night when they came for you. //

Dark it was, dark it remains,
never the night was darker.
Since the night when they came for you,
it has never been day again.

// Alas, the poison of darkness
still paralyses my gloomy heart. //

David Mourão-Ferreira: Abandono (1959)

Composer: Alain Oulman

Cristina Madeira: Abandono (Fado Peniche)

First recording: Amália Rodrigues: Abandono (Fado de Peniche); from: Asas Fechadas (1962)

Socially Critical Fado Sound

Regardless of the genesis of fado, it is undisputed that it was initially a means of expression for socially underprivileged classes in Portugal. Thus, an element of social criticism was always present in it.

However, social criticism was usually not expressed directly in fado, as concrete criticism of social inequality. Instead, the songs were more concerned with the results of social grievances, i.e. the hopelessness of one’s own situation, the lack of prospects for a life in dignity that is not characterised by the daily struggle for survival.

Criticism Below the Radar of Censorship

It was precisely this indeterminacy of criticism that made fado a suitable means of expression under the conditions of dictatorship. In the „Estado Novo“ („New State“) proclaimed by António de Oliveira Salazar, which determined politics in Portugal from the early 1930s until the Carnation Revolution of 1974, open criticism of social conditions was hardly possible.

In this context, the fado texts – with their subtle nuances, their subliminal insinuations and ambiguities – offered an alternative. Admittedly, this implied the danger that the outlet they opened could ultimately support the state. Fado could also become a sedative, a tranquilliser that stoked fatalism and kept people away from the barricades.

A Political Fado

However, the concrete effect of a fado could never be determined in advance. Rather, its impact always depended on the concrete reception situation.

For example, the poem Abandono (Forlornness / Abandonment) became known as Fado de Peniche precisely because people automatically related the text to the political prisons of the Salazar dictatorship – one of which was located in Peniche.

The text unequivocally mentions the pursuit of free thought and speech as the reason for the arrest. The severe conditions of imprisonment – the isolation of the prisoners, their being cut off from the environment and their relatives – are also alluded to, even if the physical torture, which was also a daily occurrence in the prison of Peniche, remains unmentioned.

The Forbidden Lament

However, the text is entirely limited to the perspective of those left behind. The focus is on lamenting the loss of the internee. The question of how and whether the suffering can be stopped is not addressed.

The end of the poem is also rather resigned. Hope can only be sucked out of a dreamed-of togetherness. Prospects for overcoming the present state of affairs are not indicated.

Despite this tenor of resignation, the regime classified the fado as threatening and subjected it to censorship. Implicit in this is the admission that even addressing the suffering of political prisoners could be a spark for igniting the fire of resistance – all the more so because this contradicted the regime’s self-presentation as the salvation of the Portuguese nation.

For biographical information about Alain Oulman and Amália Rodrigues, see Part 2 of the series on fado: The Fado and the Sea; for David Mourão-Ferreira, see Part 3: A Bridge over the Valley of Mourning.

Bilder:Telemaco Signorini (1835 – 1901): Strafkolonie in Portoferraio; Florenz, Galleria d’arte moderna (Wikimedia commons); Osvaldo Gago: Die Festung von Peniche, in der während der Salazar-Diktatur politische Gefangene inhaftiert waren (Wikimedia commons)

Pictures:Telemaco Signorini (1835 – 1901): Penal colony in Portoferraio; Florence, Galleria d’arte moderna (Wikimedia Commons).Osvaldo Gago: The fortress of Peniche, where political prisoners were detained during the Salazar Dictatorship (Wikimedia commons)

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