Pedro Homem de Melo: Povo que lavas no rio (Volk, das im Fluss wäscht)
Die ahistorische Mystifizierung des Fados birgt die Gefahr seiner Instrumentalisierung in sich. Durch seine Wurzeln in der Volkskultur ist ihm aber auch die Kraft zum Widerstand gegen diese Tendenzen inhärent. – Zu einem Gedicht von Pedro Homem de Melo.
[Katharsis]
Deine Seele reinigst du, mein Volk,
im Fluss. Du schlägst mit deiner Axt
die Bretter meines Sarges.
Wenn auch mancher, als Tribun verkleidet,
dich von deinem Grund entfremdet:
Deine Seele kann dir niemand nehmen.
Aus einem unscheinbaren Becher
hat dein Kuss mich angehaucht
und ist von Mund zu Mund gewandert.
Dein Wein umarmt mich wie die Frucht
auf deinen Feldern und dein reines Wasser.
Deine Seele aber wirst du nie vergeben.
Dein Geruch nach Erika und Erde
hat schon oft mich in den Schlaf gesungen,
in jeder Nacht kehre ich heim zu dir.
Volk, mein Volk, ich bin ein Teil von dir!
Alles, alles schenkt dein Füllhorn mir –
alles, nur nicht deine Seele.
Pedro Homem de Melo: Povo que lavas no rio;
Musik: Joaquim Campos Silva (ursprünglich komponiert für den Fado Vitória)
Verschiedene Fassungen des Liedes:
Malafalda Arnauth: Povo que lavas no rio:
Modernere Fassung:
Dulce Pontes: Povo que lavas no rio:
Erstaufnahme: Amália Rodrigues: Povo que lavas no rio (aus: Encontro, 1974)
Live: https://www.youtube.com/watch?v=p4I87Cnbr2w
Studioaufnahme: https://www.youtube.com/watch?v=D-gf71TK5PY
Mystifizierung und Instrumentalisierung des Fados
Immer wieder ist der Fado als eine Art Mysterium, ein quasi-göttlicher Gesang, der sich plötzlich Bahn gebrochen hat, verklärt worden. Gerade diese ahistorische Betrachtungsweise hat den Boden bereitet für die Vereinnahmung des Fados durch die Propaganda der Salazar-Diktatur oder die Kulturindustrie.
Ein Fado, der sich als eine Art Einspruch gegen eine solche Vereinnahmung der Volkskultur verstehen lässt, ist Povo que lavas no rio (Volk, das im Fluss wäscht) von Pedro Homem de Melo.
Der Text verweist einerseits auf die Fülle der Volkskultur, aus der sich das kulturelle Leben der Gegenwart speist und von der auch diejenigen, die in und mit dieser Kultur aufwachsen, auf spezifische Weise geprägt werden.
Andererseits macht das Gedicht aber auch deutlich, dass die Unabhängigkeit der Volkskultur immer wieder bedroht ist. Gerade diejenigen, die sich als Ihre Beschützer ausgeben, könnten ihr gefährlich werden. Dies lässt an die faschistischen Verführer der Vergangenheit, aber auch an die populistischen Rattenfänger heutiger Tage denken.
Innere Widerstandskraft des Fados
Zugleich betont das Gedicht jedoch, dass der Kern der Volkskultur von diesen Vereinnahmungstendenzen unberührt bleibt. Ihre Entstellung und ihr Missbrauch wären damit stets nur eine oberflächliche Erscheinung, die dem eigentlichen Wesen des Volkslebens nichts anhaben kann.
Übertragen auf den Fado, bedeutet dies: Es mag zwar sein, dass nationale Führer – wie in der Salazar-Diktatur geschehen – oder die Kulturindustrie den Fado für ihre Zwecke vereinnahmen. Die ursprüngliche Funktion des Fados, eine Art Blues der einfachen Leute zu sein, eine einzigartige Mischung aus Trost- und Klagelied, bleibt aber dennoch erhalten. Sie ist – als eigentliches Wesen des Fados – unzerstörbar.
Über Pedro Homem de Mello und Joaquim Campos Silva
Pedro Homem de Melo (1904 – 1984) war nach seinem Jura-Studium zunächst als Rechtsanwalt, später auch als Lehrer und Schulleiter tätig. Außer mit den Rechtswissenschaften und der Pädagogik hat er sich intensiv mit Volkstänzen beschäftigt und dazu auch einige Schriften publiziert. Seine Lyrik ist ebenfalls von volkstümlichen Themen und Stilelementen durchsetzt.
Joaquim Campos Silva (1901 – 1981), meist nur „Joaquim Campos“ genannt, arbeitete zunächst als Sekretär bei der Portugiesischen Eisenbahngesellschaft. Hiervon waren auch seine ersten Auftritte als Fadista beeinflusst, die von dem entbehrungsreichen Leben vieler Eisenbahner handelten. Campos verband seine Leidenschaft für den Fado auch später, als er zu einem bekannten Fadista aufgestiegen war, mit sozialem Engagement, indem er etwa in Gefängnissen und Krankenhäusern oder bei Wohltätigkeitsveranstaltungen auftrat.
Über Malafalda Arnauth und Dulce Pontes
Mit Sängerinnen wie Ana Moura, Mariza oder Mísia zählen Dulce Pontes und Malafalda Arnauth zu der neuen Generation von Fadistas, die seit den 1990er Jahren zunehmend die Fado-Szene prägen. Ihr Repertoire beschränkt sich oft nicht auf den Fado, und ihre Fado-Einspielungen zeichnen sich durch kreative Grenzüberschreitungen aus, wie etwa ein Abweichen von der traditionellen Instrumentierung aus klassischer, portugiesischer und Bass-Gitarre.
Die 1969 geborene Dulce Pontes singt neben Fados u.a. auch keltische Lieder. Sie hat ein Duett mit Andrea Bocelli gesungen und ein Album zur Musik des berühmten Filmkomponisten Ennio Morricone aufgenommen. In späteren Jahren hat sie auch zunehmend eigene Songs eingespielt.
Mafalda Arnauth, Jahrgang 1974, ist ausgebildete Tiermedizinerin und hat sich zunächst nur nebenberuflich als Fadista betätigt. Anfangs noch ganz dem klassischen Fado verpflichtet, gaben ihr gerade ihre Erfolge als traditionelle Fado-Sängerin die Freiheit, musikalisch neue Wege zu gehen. Dies bezieht sich zum einen auf einen freieren Umgang mit dem Fado, zum anderen aber auch auf das Ausprobieren anderer Musikstile. So hat sie etwa mit dem baskischen Musiker Kepa Junkera Lieder aus dessen Heimat eingespielt und auch mit der galicischen Folkband Milladoiro ein gemeinsames Musikprojekt realisiert.

English Version
The Indestructible Core of Fado
Pedro Homem de Melo: Povo que lavas no rio
The ahistorical mystification of fado entails the danger of its instrumentalisation. Through its roots in folk culture, however, the power to resist these tendencies is also inherent in it. – On a poem by Pedro Homem de Melo.
[Catharsis]
You purify your soul, my people,
in the river. You cut with your axe
the boards of my coffin.
Though some, disguised as tribunes,
alienate you from your ground:
No one can rob you of your soul.
From an inconspicuous cup
your kiss has breathed on me
and passed from mouth to mouth.
Your wine embraces me like the fruit
of your fields and your crystal-clear water.
But you will never give your soul away.
How often has your smell of earth and heather
sung me tenderly to sleep.
Every night I return home to you.
People, my people, I am a part of you!
Your cornucopia bestows everything on me –
everything but your soul.
Pedro Homem de Melo: Povo que lavas no rio;
Music: Joaquim Campos Silva (originally composed for Fado Vitória)
Different versions of the song:
Malafalda Arnauth: Povo que lavas no rio
Modern version:
Dulce Pontes: Povo que lavas no rio
First recording: Amália Rodrigues: Povo que lavas no rio (from: Encontro, 1974)
Mystification and Instrumentalisation of the Fado
Time and again, the fado has been idealised as a kind of mystery, a quasi-divine song that spontaneously appeared on earth. It is precisely this ahistorical approach that prepared the ground for the appropriation of fado by the propaganda of the Salazar dictatorship or the culture industry.
A fado that can be understood as a kind of objection against such appropriation of popular culture is Povo que lavas no rio (People washing in the river) by Pedro Homem de Melo.
On the one hand, the text refers to the abundance of folk culture on which the cultural life of the present is based and by which those growing up in it are shaped in a specific way.
On the other hand, the poem also makes clear that the independence of folk culture is constantly threatened. It might be precisely those who claim to be its protectors who pose a threat to it. This brings to mind the fascist seducers of the past, but also the populist pied pipers of today.
Inner Resilience of the Fado
At the same time, however, the poem emphasises that the core of folk culture remains unaffected by these tendencies towards appropriation. Its distortion and misuse would thus always be only a superficial phenomenon that cannot harm the actual essence of folk life.
Applied to fado, this means: It may well be that national leaders – as happened in the Salazar dictatorship – or the culture industry appropriate fado for their own purposes. But the original function of fado – to be a kind of blues of the common people, a unique mixture of consolation and lament – will nevertheless be preserved. It is – as the very essence of fado – indestructible.
About Pedro Homem de Mello and Joaquim Campos Silva
After studying law, Pedro Homem de Melo (1904 – 1984) first worked as a lawyer and later as a teacher and headmaster. Apart from law and pedagogics, he was intensively involved with folk dances and published several writings on the subject. His poetry is also interspersed with stylistic elements and themes from folk culture.
Joaquim Campos Silva (1901 – 1981), usually just called „Joaquim Campos“, initially worked as a secretary for the Portuguese Railway Company. This also influenced his first performances as a fadista, which dealt with the deprived lives of many railway workers. Later, when he had become a well-known fadista, Campos continued to combine his passion for fado with social commitment, for example by performing in prisons and hospitals or at charity events.
About Malafalda Arnauth and Dulce Pontes
With singers like Ana Moura, Mariza or Mísia, Dulce Pontes and Malafalda Arnauth belong to the new generation of fadistas who have been increasingly shaping the fado scene since the 1990s. Their repertoire is often not limited to fado, and their fado recordings are characterised by creative border crossings, such as a departure from the traditional instrumentation of classical, Portuguese and bass guitar.
Born in 1969, Dulce Pontes sings fados as well as Celtic songs, among others. She recorded a duet with Andrea Bocelli as well as an album to the music of the famous film composer Ennio Morricone. In later years, she has increasingly recorded her own songs.
Mafalda Arnauth, born in 1974, is veterinarian by profession and initially only worked as a fadista on the side. In the beginning, she was still completely committed to classical fado. However, it was precisely her success as a traditional fado singer that gave her the freedom to go new directions musically. This refers on the one hand to a freer approach to fado, but on the other hand also to trying out other musical styles. With the Basque musician Kepa Junkera, for example, she recorded songs from his homeland. Moreover, she realised a joint music project with the Galician folk band Milladoiro.
Bilder / Images: Charles-François Daubigny (1817 – 1878): An einem Flussufer Kleider waschende Frauen / Women washing clothes at the edge of a river; Boston, Museum of Fine Arts (Wikimedia Commons); Locuic: Ribeira Sacra („Heiliges Uferland“) am spanisch-portugiesischen Grenzfluss Minho in Galicien / („Sacred Riparian Land“) on the Spanish-Portuguese border river Minho in Galicia (Pixabay)