Zu Stéphane Mallarmés Gedicht Apparition (Erscheinung) / On Stéphane Mallarmé’s poem Apparition
Die Jugend des französischen Dichter Stéphane Mallarmé (1842 – 1898) war geprägt von der Liebe zu der sieben Jahre älteren Christine Marie Gerhard. Ihr ist auch eines seiner schönsten Gedichte gewidmet. – Auftakt zu einer mehrteiligen Reihe zum 180. Geburtstag des Dichters.
The youth of the French poet Stéphane Mallarmé (1842 – 1898) was marked by his love for Christine Marie Gerhard, a German woman seven years his senior. One of his most beautiful poems is dedicated to her. – Prelude to a multi-part series on the occasion of the poet’s 180th birthday.
Erscheinung
Mondene Trauer. Träumende Seraphim
in der Stille des Blütenhauchs,
mit seufzenden Violinen, die Tränen ausgießen
über den azurnen Blumenkronen.
Der gesegnete Tag unseres ersten Kusses …
Der Rausch der Träume war zerstoben
im Duft der Traurigkeit, aufgesogen
ohne Reue und Bedauern als Widerhall
des Traums im Herzen, das den Traum gepflückt.
Mein irrender Schritt, der Blick gefangen im faltigen Pflaster …
Und dann: das sonnenhelle Flackern deiner Haare,
dein Lachen, das die Nacht bezwingt,
dein Wesen einer Fee aus Kindertagen,
die in den Schlummer Zauberträume streut
und stets aus ihren freigiebigen Händen
duftende Sternensträuße schneien lässt.
Stéphane Mallarmé: Apparition (entstanden vermutlich 1862/63; Erstveröffentlichung 1883)
Der französische Dichter Stéphane Mallarmé (1842 – 1898) war in späteren Jahren eine Art Dichterfürst. Von den Besuchern seines literarischen Salons in Paris wurde er ehrerbietig als „Maître“ (Meister) tituliert.
Aber: Mallarmé war auch einmal jung. Jung und verliebt. Seine Beziehung zu der sieben Jahre älteren Christine Marie Gerhard trägt alle Züge romantischer Leidenschaft.
Als Mallarmé die aus Camberg bei Wiesbaden stammende Lehrertochter, die als Gesellschafterin bei einer adligen Familie in Sens tätig war, kennenlernte, war er noch nicht volljährig. So wichen die beiden zunächst nach London aus, wo sie sich als verheiratet ausgaben, in Wirklichkeit aber ohne Trauschein zusammenlebten.
Zum Leidwesen des Dichters hat die Angebetete die wilde Ehe jedoch nach ein paar Wochen beendet und ist zurück nach Frankreich gezogen. Nachdem beide die Trennung nicht verkraftet und kurzzeitig wieder zusammengezogen waren, gab die Geliebte schließlich dem Druck der Familie nach und zog nach Brüssel. Mallarmé musste erst noch einige Monate des Trennungsschmerzes durchleben und durchleiden, ehe er die Liebe seines Lebens auch offiziell in die Arme schließen und vor den Traualtar führen durfte.
Eine Ahnung davon, was für einen Eindruck die erste Begegnung mit Christine Marie Gerhard auf Mallarmé gemacht haben muss, vermittelt das Gedicht Apparition („Erscheinung“). Es wurde erst 1883 veröffentlicht, ist vermutlich aber bereits 1862 oder 1863, kurz nach Mallarmés Bekanntschaft mit seiner späteren Frau, entstanden.
Das Gedicht ist von Claude Debussy im Rahmen seiner vier Chansons de Jeunesse vertont worden.
Sopran: Álfheiður Erla Guðmundsdóttir; Pianist: Kunal Lahiry:
English Version
A Stormy Love
Apparition
Lunar mourning. Dreaming seraphim
in the silence of the blossom breath,
with sighing violins, pouring out tears
on the azure corollas.
The blessed day of our first kiss …
The frenzy of dreams dissipated
in the fragrance of sadness, absorbed
without remorse and regret as an echo
of the dream in the heart that plucked the dream.
My straying step, my gaze caught in the wrinkled pavement ….
And then: the sunlit flickering of your hair,
your laughter that conquers the night,
your magic of a childhood fairy
who scatters wondrous dreams into slumber
and from whose generous hands
fragrant bouquets of stars snow on the earth.
Stéphane Mallarmé: Apparition (probably written in 1862/63; first published in 1883)
The French poet Stéphane Mallarmé (1842 – 1898) was a kind of poet prince in his later years. Visitors to his literary salon in Paris reverently addressed him as „Maître“ (Master).
However, Mallarmé was also young once. Young and in love. His relationship with Christine Marie Gerhard, seven years his senior, is clearly marked by romantic passion.
When Mallarmé met his later wife, a German teacher’s daughter who worked for a noble family in Sens, he was not yet of age. So the two of them fled to London, where they pretended to be married, but in reality lived together without a marriage certificate.
To the poet’s chagrin, however, his beloved ended the concubinage after a few weeks and moved back to France. Both could not cope with the separation and briefly moved back in together, but then the young woman finally gave in to her family’s demands and moved to Brussels. Mallarmé had to go through several more months of painful separation before he could officially embrace and marry the love of his life.
The poem Apparition gives an idea of the great impact that the first encounter with Christine Marie Gerhard must have had on Mallarmé. It was not published until 1883, but was probably written as early as 1862 or 1863, shortly after Mallarmé’s acquaintance with his future wife.
The poem was set to music by Claude Debussy as part of his four Chansons de Jeunesse.
Debussy: Apparition mit Tenor: Justin Li: Tenor; George Fong: Piano
Bild / Image: Pierre-Auguste Renoir: Le Printemps (der Frühling), 1876