Die schwierige Kultivierung des dichterischen Gartens / The difficult cultivation of the poetic garden
Charles Baudelaires Leben ist von zahlreichen Wechselfällen geprägt, die teilweise schon in seiner schwierigen Jugend angelegt sind. Dies zeigt sich auch in seinem Gedicht L’ennemi (Der Feind).
Der am 9. April 1821 geborene Charles Baudelaire gilt durch die neuartigen Sujets und Darstellungsmittel, die er in die Dichtung eingebracht hat, als einer der Wegbereiter der modernen Lyrik. Daneben erscheint er aufgrund seines Hangs zu Weltuntergangsstimmungen und der Einbeziehung der dunklen Seiten des menschlichen Lebens in seine Dichtung auch als Vorläufer der späteren Décadence-Literatur. Dem entspricht auch sein Leben, das bilderbuchartig die Klischees des verkannten, verarmten, früh verstorbenen Genies bestätigt.
Baudelaire war noch keine sechs Jahre alt, als er seinen Vater verlor. Als seine Mutter anderthalb Jahre später erneut heiratete, erhielt Baudelaire einen Stiefvater, der auf der militärischen Karriereleiter bis zum Brigadegeneral aufstieg und es zusätzlich zu Botschafter- und Senatorenehren brachte. Bei der Erziehung seines Stiefsohns setzte er demzufolge auf eben jene Disziplin, der er selbst seine Erfolge verdankte.
Baudelaire aber hatte andere Interessen. Schon als knapp 15-Jähriger gewinnt er einen Dichterwettbewerb (für Werke in lateinischer Sprache), mit 18 wird er wegen Verhaltensauffälligkeiten von der Schule geworfen und muss sich extern auf die Reifeprüfung vorbereiten (die er allerdings trotzdem besteht). Das 100.000 Goldfranken starke väterliche Erbe, das er sich mit Erreichen der Volljährigkeit auszahlen lässt, verprasst er in kurzer Zeit. Die Familie lässt ihn daraufhin zwei Jahre später unter Vormundschaft stellen und ihm nur noch monatliche Unterhaltszahlungen zukommen. In der Folge leidet Baudelaire unter chronischer Geldnot. Schon 1845 denkt er, bedrängt von den Gläubigern, kurzzeitig an Selbstmord. 1862 erwirkt ein Gläubiger einen Haftbefehl gegen ihn, dem Baudelaire sich nur knapp durch eine Flucht nach Belgien entziehen kann.
Seit 1842 pflegt Baudelaire eine überaus „dynamische“ Beziehung zu der in Haiti geborenen Schauspielerin und Tänzerin Jeanne Duval. Mehrfach trennt sich das Paar, mehrfach kommt es zu tränenreichen Versöhnungen. Daneben hat Baudelaire jedoch auch einige andere Liebschaften. Hieraus resultiert mutmaßlich seine Erkrankung an der Syphilis, an deren Folgen er 1867 im Alter von nur 46 Jahren stirbt.
Die melancholische Grundierung von Baudelaires Dichtung wurzelt zweifellos auch in diesen biographischen Fakten. In den meisten seiner Gedichte erscheint der eigene seelische Schmerz freilich in einer sublimierten Form, der das Persönliche in den Hintergrund rückt.
Auch das Gedicht Der Feind kann zunächst allgemein auf die widrigen – inneren wie äußeren – Umstände bezogen werden, gegen die sich die Dichtung behaupten muss. Mehr als in anderen Werken Baudelaires lassen die Verse hier jedoch auch seine ganz persönlichen Schwierigkeiten erahnen, mit denen er auf seinem Weg als Dichter konfrontiert war. Das Gedicht ist so ein Beleg dafür, dass ihm die „Blumen“ der Dichtung nicht wie von selbst in den Schoß gefallen sind. Vielmehr erscheinen sie als Resultat einer langwierigen, oft mühevollen „Kultivierung“ des dichterischen Gartens.
Ausführliches Essay mit Nachdichtungen zu Charles Baudelaires Fleurs du Mal
Der Feind
(L’ennemi; FM 10, S. 101)
Meine Jugend war nichts als ein dunkel leuchtendes Gewitter,
hier und da gestreift von einem Sonnenstrahl.
Verwüstet von Donner und Regen, sind zu roter Reife
nur wenige Früchte in meinem Garten gelangt.
So hat der Herbst meinen Geist gefärbt,
und ich musste zu Schaufel und Rechen greifen,
damit die Erde, ausgehöhlt von grabesgroßen Löchern
durch die Flut, sich neu in meinem Garten sammle.
Allein wer weiß es, ob die neuen Blumen, die ich mir erträume,
je aus dem strandgleich ausgeschwemmten Boden
geheime Kraft zum Wachsen saugen werden?
O Schmerz! O Schmerz! Die Zeit frisst alles Leben auf,
und der finstere Feind, der an unserem Herzen nagt,
wächst und gedeiht von dem Blut, das wir verlieren.
Vertonungen / Musical settings
Fred
Léo Ferré
English Version:
Charles Baudelaire’s poem L’Ennemi (The Enemy)
The difficult cultivation of the poetic garden
Charles Baudelaire’s life was marked by numerous vicissitudes, some of which were already inherent in his difficult youth. This is also evident in his poem L’ennemi (The Enemy).
Charles Baudelaire, born on April 9, 1821, is considered one of the pioneers of modern poetry due to the new subjects and means of representation he introduced into poetry. In addition, his penchant for doomsday moods and the inclusion of the darker sides of human life in his poetry prove him to be a forerunner of later Décadence literature. His life corresponds to this as well, confirming the clichés of the misunderstood, impoverished genius who died at an early age.
Baudelaire was not yet six years old when he lost his father. When his mother remarried a year and a half later, Baudelaire was given a stepfather who rose up the military ladder to the rank of a brigadier general and also achieved ambassadorial and senatorial honours. Consequently, he demanded the same discipline in his stepson’s education to which he himself owed his successes.
Baudelaire, however, had other interests. At the age of 15, he won a poetry competition (for works in Latin). At 18, he was expelled from school for behavioural problems and had to prepare externally for his school-leaving exams (which he nevertheless passed). He quickly squandered his father’s inheritance of 100,000 Gold Francs, which he had received on reaching the age of majority. Two years later, the family put him under guardianship and only paid him monthly alimony. As a result, Baudelaire suffered from a chronic lack of money. In 1845, under pressure from his creditors, he even thought of committing suicide. In 1862, a creditor brought about a warrant for his arrest, which Baudelaire was only able to avoid by fleeing to Belgium.
Since 1842, Baudelaire had an extremely „dynamic“ relationship with the Haitian-born actress and dancer Jeanne Duval. The couple separated several times, just as often resulting in tearful reconciliations. At the same time, Baudelaire also had several other love affairs. This is presumably the cause of his illness with syphilis, from which he died in 1867 at the age of only 46.
The melancholy mood of Baudelaire’s poetry is undoubtedly rooted in these biographical facts to some extent. In most of his poems, however, his own emotional pain appears in a sublimated form that relegates the personal to the background.
Similarly, the poem The Enemy can be generally related to the adverse circumstances – both internal and external – against which poetry must stand its ground. More than in other works by Baudelaire, though, the verses here also hint at the very personal difficulties he faced on his path as a poet. The poem thus provides evidence that the „flowers“ of poetry did not just fall into his lap. Rather, they appear as the result of a lengthy, often laborious „cultivation“ of the poetic garden.
Free translation
The Enemy
(L’ennemi; FM 10, p. 101)
My youth was nothing but a darkly shining thunderstorm,
with a ray of sunlight passing now and then.
Devastated by thunder and rain, only a few fruits
have reached red ripeness in my garden.
Thus autumn tinted my mind,
and I had to reach for shovel and rake,
so that the earth, hollowed out by grave-sized holes
from the flood, might gather anew in my garden.
But who knows if the flowers I dream of
will ever draw from the sandy soil
the secret strength to grow?
Oh pain! Oh pain! Time eats up all life,
and the sinister enemy that gnaws at our hearts
grows and prospers from the blood we lose.
Bilder / Pictures: Edvard Munch: Verzweiflung / Despair (1894), Munch Museum Oslo (Wikimedia); Émile Deroy (1820-1846): Charles Baudelaire, 1844. Versailles (Wikimedia)
Eva
Vielen Dank für diesen schönen Beitrag. Ein beeindruckendes und trauriges Gedicht. Durch die Einführung wird den Leser*innen die Dichtung Baudelaires gut näher gebracht. Ich freue mich schon auf die nächsten Beiträge.
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