Georges Brassens: L’Auvergnat

Ein Chanson über die alltägliche Solidarität

Der 1923 im südfranzösischen Sète geborene Georges Brassens wurde im März 1943 von den Nationalsozialisten zur Zwangsarbeit in Deutschland herangezogen. Der Chansonnier musste in Basdorf bei den Brandenburgischen Motorenwerken, die 1939 von BMW übernommen worden waren, Flugzeugmotoren montieren.
Als er ein Jahr später Heimaturlaub erhielt, kehrte er von diesem nicht nach Deutschland zurück. Stattdessen tauchte er in Paris unter. Unterschlupf fand er bei einem in der Hauptstadt lebenden Paar: Marcel Planche und Jeanne Le Bonniec.
Beide dürften für verschiedene Personen in den Chansons von Brassens Pate gestanden haben (vgl. etwa das Kinderlied La cane de Jeanne: „Jeannes Ente“). So ist auch die Vermutung, mit dem „Auvergnat“ könnte auf Marcel Planche angespielt werden, sicher nicht aus der Luft gegriffen. Denn dieser hatte ebenso auvergnatische Wurzeln wie der aus der Auvergne stammende Besitzer eines Pariser Cafés, mit dem Brassens befreundet war. Vorbild für die „Gastwirtin“, die in dem Chanson besungen wird, wäre dann Jeanne Le Bonniec.
Allerdings ist die 1954 veröffentlichte Hymne an den Auvergnat weit mehr als nur eine Hommage an einzelne Freunde oder Wohltäter des Chansonniers. Es geht in dem Lied auch nicht darum, ein verklärendes Bild von Menschen aus der Auvergne oder, davon abgeleitet, von in der Stadt lebenden oder Handel treibenden Menschen mit ländlichen Wurzeln zu zeichnen.
Im Zentrum des Chansons steht vielmehr die Beobachtung, dass diejenigen, die selbst wenig besitzen, eher mit anderen teilen als die „wohlmeinenden„, aber eben nicht wohltätigen Arrivierten. Das solidarische Handeln entspricht dabei einem ebensolchen Denken. Dieses folgt eher einem inneren, an allgemeinen Humanitätsmaßstäben ausgerichteten Kompass als bei den „rechtschaffenen Bürger[n]“, die sich auch dann an die vorgegebene Ordnung halten, wenn diese anderen Leid und Tod bringt.
So thematisiert das Lied zum einen die Kleinigkeiten, mit denen man in bestimmten Situationen Großes bewirken kann: ein paar Scheiben Brot für den Hungernden, ein wenig Wärme für den Frierenden, die Demonstration von Solidarität für diejenigen, denen Unrecht widerfährt. Zum anderen wird aber auch die Selbstverständlichkeit dieser Hilfe betont, die „sans façon“ erfolgt, also ohne viel Aufhebens darum zu machen.
Indem Brassens sein Chanson ohne jedes Pathos, im Stil eines Lagerfeuergitarristen, vorträgt, unterstreicht er die Unaufgeregtheit der Hilfsbereitschaft, die sich quasi nebenbei äußert, wie ein beiläufiger Gruß. In anderen Fällen dient derselbe nonchalante Gesangsvortrag allerdings auch als Kontrast zu der mitunter radikalen Gesellschaftskritik, die aus seinen Texten spricht.
Ein Beispiel hierfür ist das antinationalistische Chanson La mausaive réputation („Schlechter Ruf“), in dem der Sänger am Französischen Nationalfeiertag ostentativ in seinem „weichen Bett“ liegen bleibt. Eine noch größere politische Brisanz weist das Chanson Le Gorille auf. Darin besingt Brassens einen Staatsanwalt, der von einem entlaufenen Gorilla vergewaltigt wird – wobei der Staatsdiener denselben Entsetzensschrei ausstößt wie der Mann, den er am Morgen hat hinrichten lassen.
Es überrascht kaum, dass diese und andere Lieder von Brassens zeitweilig nicht im Radio gespielt werden durften. Mittlerweile gehört der Sänger allerdings zu den unbestrittenen Größen des französischen Chansons. Lieder wie L’Auvergnat werden in Frankreich heute wie Volkslieder gesungen.

Georges Brassens: Chanson pour l’Auvergnat, live 1964:

Übersetzung:

Lied für den Auvergnat

Dieses Lied ist für dich,
Auvergnat, der du mir ohne weiteres
vier Holzscheite überlassen hast,
als in meinem Leben die Kälte herrschte.

Du, der du mir etwas von deinem Feuer abgegeben hast,
als die rechtschaffenen Bürger,
all die wohlmeinenden Leute,
mir die Tür vor der Nase zugeschlagen haben.

Es war nichts als ein kleines Feuer,
aber es hat meinen Körper erwärmt,
und in meiner Seele brennt es noch immer
wie ein großes Freudenfeuer.

Wenn du einmal stirbst, Auvergnat,
wenn der Totengräber dich abholt,
dann soll er dich quer durch den Himmel tragen,
direkt zum Ewigen Vater.

Dieses Lied ist für dich,
Gastwirtin, die du mir ohne weiteres
vier Scheiben Brot überlassen hast,
als in meinem Leben der Hunger herrschte.

Du, die du mir deinen Brotkasten geöffnet hast,
als die rechtschaffenen Bürger,
all die wohlmeinenden Leute,
es lustig fanden, mich fasten zu sehen.

Es war nichts als ein bisschen Brot,
aber es hat meinen Körper erwärmt,
und in meiner Seele brennt es noch immer
wie ein großes Festmahl.

Wenn du einmal stirbst, Gastwirtin,
wenn der Totengräber dich abholt,
dann soll er dich quer durch den Himmel tragen,
direkt zum Ewigen Vater.

Dieses Lied ist für dich,
Fremder, der du mir ohne weiteres
ein trauriges Lächeln geschenkt hast,
als die Gendarmen mich gefasst haben.

Du, der du nicht applaudiert hast,
als die rechtschaffenen Bürger,
all die wohlmeinenden Leute,
über meine Festnahme gelacht haben.

Es war nichts als ein bisschen Honig,
aber es hat meinen Körper erwärmt,
und in meiner Seele brennt es noch immer
wie eine große Sonne.

Wenn du einmal stirbst, Fremder,
wenn der Totengräber dich abholt,
dann soll er dich quer durch den Himmel tragen,
direkt zum Ewigen Vater.

 

Bild: Robert Doisneau (1953): Georges Brassens mit Clochard

 

 

 

 

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