Aus Anlass von Stéphane Mallarmés bevorstehendem Geburtstag am 18. März gibt es heute einen kleinen „Nachschlag“ zu dem Mallarmé-Special von Anfang des Jahres. Dabei geht es um eine spezielle Art von Gedichten, mit denen Mallarmé sich vor allem bei seinen weiblichen Fans beliebt gemacht haben dürfte.
Frauen aus seinem Bekanntenkreis und weiblichen Familienmitgliedern schenkte der Dichter zu besonderen Anlässen Fächer, die er mit selbst verfassten Versen schmückte. Dies ist auch der Grund, warum das hier aufgeführte Gedicht nicht einfach „Der Fächer“, sondern „Ein anderer Fächer“ heißt. Geschrieben hat es Mallarmé für seine zu dem Zeitpunkt 19-jährige Tochter Geneviève. Es ist deutlich länger als die anderen, meist nur vierzeiligen Gedichte dieser Art.
Eine weitere Besonderheit des Gedichts ist, dass es auf die Bewegung des Fächers Bezug nimmt und diese zu der erwachenden Weiblichkeit der Adressatin in Beziehung setzt. Mallarmé überträgt dabei die Eigenart des Fächers, das Gesicht dahinter in rascher Folge zu zeigen und zu verbergen, auf den Schwebezustand zwischen Kindheit und Erwachsenenwelt.
Dies gilt sowohl für die schwankende Identität der jungen Frau, die den Fächer in der Hand hält, ihr offenbarendes Sich-Entziehen, als auch für die von ihr wahrgenommene Welt. Deren Verheißungen und Verlockungen blitzen hinter der Zitterbewegung des Fächers sekundenweise auf, verharren jedoch in einer traumartigen Unbestimmtheit. So kommt die „Träumerin“ einstweilen auch nicht in die Versuchung, den Traum verwirklichen zu wollen – und sich damit dem Verfall preiszugeben, der mit jedem Eintauchen ins Leben untrennbar verbunden ist.
Das Gedicht gehört zu den „Trois poèmes de Stéphane Mallarmè“, die von Claude Debussy vertont worden sind (hier schlicht als „Éventail“/Fächer)
Ein ausführliches Essay zu Mallarmé mit weiteren Nachdichtungen findet sich ab 18. März auf rotherbaron.com: Aufstand gegen das Leben. Stéphane Mallarmés hermetischer Symbolismus.
Originaltext
Nachdichtung:
Ein anderer Fächer
von Mademoiselle Mallarmé
Der Flügel meiner Träume ruht,
o Träumerin! in deiner Hand,
die traumbewegt mein Träumen taucht
in ihr erzitterndes Entzücken.
Erfrischend haucht des Abends Atem
aus deiner Hand dich an, die doch,
umfangen von den eig’nen Fängen,
dem Schlund des Abends sich entzieht.
Geküsst vom Flügel deiner Hand,
erfasst ein Taumel jäh den Raum,
ein Sehnen, das dich, ungeboren,
als unerfüllter Tanz umbebt.
Und scheu erblüht ein Paradies
in deinen weichen Lippennischen,
das, kaum erwacht zum Duft des Lächelns,
sich wieder in sich selbst verschließt.
So schwebt im schimmernden Kokon,
den deine Rosenflügel, bestickt
vom Sternenprunk des Himmels, weben,
der Traum des aufblühenden Abends.
(Autre éventail, SG 98; Erstveröffentlichung 1884)
Vertonung von Claude Debussy. Sopran: Lore Binon; Piano: Inge Spinette