Stéphane Mallarmé: Apparition („Erscheinung“)

Der französische Dichter Stéphane Mallarmé (1842 – 1898) war in späteren Jahren eine Art Dichterfürst. Von den Besuchern seines literarischen Salons in Paris wurde er ehrerbietig als „Maître“ tituliert.
Aber: Mallarmé war auch einmal jung. Jung und verliebt. Seine Beziehung zu der sieben Jahre älteren Christine Marie Gerhard trägt alle Züge romantischer Leidenschaft. Als Mallarmé die aus Camberg bei Wiesbaden stammende Lehrertochter, die als Gesellschafterin bei einer adligen Familie in Sens tätig war, kennenlernte, war er noch nicht volljährig. So wichen die beiden zunächst nach London aus, wo sie sich als verheiratet ausgaben, in Wirklichkeit aber ohne Trauschein zusammenlebten.
Zum Leidwesen des Dichters hat die Angebetete die wilde Ehe jedoch nach ein paar Wochen beendet und ist zurück nach Frankreich gezogen. Nachdem beide die Trennung nicht verkraftet und kurzzeitig wieder zusammengezogen waren, gab die Geliebte schließlich jedoch dem Druck der Familie nach und zog nach Brüssel. Mallarmé musste erst noch einige Monate des Trennungsschmerzes durchleben und durchleiden, ehe er die Liebe seines Lebens auch offiziell in die Arme schließen und vor den Traualtar führen durfte.
Eine Ahnung davon, was für einen Eindruck die erste Begegnung mit Christine Marie Gerhard auf Mallarmé gemacht haben muss, vermittelt das Gedicht Apparition („Erscheinung“). Es wurde erst 1883 veröffentlicht, ist vermutlich aber bereits 1862 oder 1863, kurz nach Mallarmés Bekanntschaft mit seiner späteren Frau, entstanden.
Das heutige Gedicht eröffnet ein kleines Mallarmé-Special auf LiteraturPlanet. An den kommenden drei Sonntagen folgen hier zunächst weitere Nachdichtungen von Werken Mallarmés, ehe es dann am 18. März, zum Geburtstag des Dichters, ein längeres Mallarmé-Essay auf rotherbaron gibt.

Die Vertonungen zu Gedichten Mallarmés sind bei weitem nicht so zahlreich, wie dies bei anderen französischen Dichtern der Fall ist. Während es etwa zu den Werken Baudelaires ganze Sammlungen mit Verweisen auf Vertonungen dieses Dichters gibt, existieren für Mallarmé nur ein paar wenige Liedfassungen. Diese sind zudem in den meisten Fällen auch nicht neueren Datums. Der Grund dafür mag sein, dass Mallarmés Image als „Maître“ seine Texte weniger geeignet erscheinen lässt für das „chanson de tous les jours“.
Die bekannteste  Vertonung zu „Apparition“ stammt wohl von Claude Debussy. Allerdings ist dessen Lied für Sopran geschrieben worden, was der Entstehungsgeschichte des Gedichts  ein wenig zuwiderläuft. Die einzige im Netz verfügbare Fassung, in der sich ein Tenor an das Lied heranwagt, stammt aus Hongkong. Diese wird daher an dieser Stelle, zusätzlich zu einer Sopranfassung, verlinkt.

Debussy: Apparition mit Tenor: Justin Li: Tenor; George Fong: Klavier

Sandrine Piau (Sopran) und Jos van Immerseel (Klavier):

Originaltext

Nachdichtung:

Erscheinung

Mondene Trauer. Träumende Seraphim
in der Stille des Blütenhauchs,
mit seufzenden Violinen, die Tränen ausgießen
über den azurnen Blumenkronen.

Der gesegnete Tag unseres ersten Kusses …

Der Rausch der Träume war zerstoben
im Duft der Traurigkeit, eingesogen
ohne Reue und Bedauern als Widerhall
des Traums im Herzen, das den Traum gepflückt.

Mein irrender Schritt, der Blick gefangen im faltigen Pflaster …

Und dann: das sonnenhelle Flackern deiner Haare,
dein Lachen, das die Nacht bezwingt,
dein Wesen einer Fee aus Kindertagen,
die in den Schlummer Zauberträume streut
und stets aus ihren freigiebigen Händen
duftende Sternensträuße schneien lässt.

(Apparition; entstanden vermutlich 1862/63; Erstveröffentlichung 1883)

 

Ausführliches Essay zur Poesie Mallarmés: Ausfstand gegen das Leben. Stéphane Mallarmés hermetischer Symbolismus

 

Bild: Pierre-Auguste Renoir: Le Printemps (der Frühling), 1876

Eine Antwort auf „Stéphane Mallarmé: Apparition („Erscheinung“)

  1. J.E. Münster

    Vielen Dank für die einfühlsame Übertragung und den interessanten Text. Auch das Musikstück ist sehr schön. Ich freue mich schon auf die weiteren „Nachdichtungen“.

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