Am heißesten Tag des Jahres hast du dich im klebrigen Netz der Asphaltspinne verfangen. Während du hilflos mit den Armen ruderst, beträufelt sie dich mit salzigen Sekreten. Deine Beine werden weich, das Blut läuft dir aus den Adern, und am Ende bist du nur noch ein breiiges Häppchen, das die Räuberin mit geschäftsmäßiger Routine in sich hineinschlingt.
Haltlos stürzt du durch den Spinnenschlund, dein Atem setzt aus, du fällst und fällst, tief dringst du ein in das Schattenmeer – bis du auf einem Floß landest, das sich gemächlich mit dir unter den Wurzeln der Welt entlangschlängelt. Obwohl es ganz dunkel ist um dich her, kannst du doch sehen, was dort oben, auf der anderen Seite, geschieht. Wie durch einen Trichter blickst du auf die wuchernden Städte, stolz ragen sie aus der Ebene empor, aber sie können sich nicht halten auf dem schwankenden Untergrund und zerfallen zu Staub, aus dem gleich wieder neue Behausungen herauswachsen. Immer schneller dreht sich das mächtige Häuserkarussell, dir wird ganz schwindlig davon.
Dann wird es auf einmal wieder heller, Lichterfontänen fluten vor dir auf, das Feuer frisst sich unter deine Augenlider, unruhig flackern die Flammen fort in deiner Brust. Das muss der Mittelpunkt der Erde sein! Oder bist du nur am anderen Ende des Planeten angelangt? Klar ist: Was du für Flammenberge gehalten hast, erweist sich bei näherem Hinsehen als eine Kette von Hochhäusern. Nur können sie der Hitze nicht standhalten, sie zerschmelzen zu einer zähflüssigen Masse, die andere Hochhausketten mit sich reißt, mit denen sie sich vereinen zu einer gewaltigen Welle aus flüssigem Gestein. Gelangweilt wälzt die dunkle Welle sich dem Meer entgegen, wo sie mit einem seufzenden Zischen in den Fluten versinkt.
Das ist also das Ende der Welt, denkst du. Aber als du jetzt die Augen aufschlägst, blinzelst du nur in das träumerische Gesicht der Abendsonne. Schläfrig schlingt sie ihre Arme um deinen Kopf und fächelt dir ein Wiegenlied zu.
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