Ilona Lay: Nachtfalter / Nocturnal Butterflies

Ein Gedicht aus dem Frühwerk der Autorin / A Poem from the Author’s Early Work

In ihrem Gedicht Nachtfalter entwirft Ilona Lay die Vision einer von Reflexion und Empathie bestimmten Welt. Das erscheint gerade heute als schönes Gegenbild zu unserer von Krieg und Zerstörung geprägten Realität.

English Version

Ilona Lay ist mal wieder mit einem überarbeiteten Gedicht aus der Frühzeit ihres Schaffens in unserer Redaktion aufgetaucht. Im Bild der Nachtfalter entwirft sie darin die Vision einer Welt, in der menschliche Gemeinschaft auf Reflexion und Empathie beruht;

einer Welt, in der alle darin lebenden Wesen den tieferen Verbindungen mit ihren Mitwesen nachspüren und ihre Begegnungen mit anderen darauf gründen;

einer Welt, in der alle genug Zeit haben, Irritationen zu überdenken und sie im Vertrauen auf eine grundlegende Übereinstimmung aus der Welt zu räumen;

einer Welt, in der dem Nachdenken über die grundlegenden Dinge des Lebens mehr Bedeutung eingeräumt wird als der zerstreuenden Flucht davor.

Angesichts einer Realität, in der Machtstreben, Habgier und Seinsvergessenheit die zwischenmenschlichen Beziehungen bis zur physischen Zerstörung anderer bestimmen, schien uns das Gedicht gerade in der heutigen Zeit einen Nerv zu treffen. Deshalb lassen wir Ilonas Nachtfalter heute ins Netz entschweben.

Nachtfalter

Vom Abend behaucht, entsteigen sie leise
den Klausen aus Schilf, wo am Tage sie kreisen
um ewige Fragen, das Brot der Weisen,
und gleiten ins Nichts, um auf sinnender Reise
zu lauschen des Alls versöhnender Weise.

Wohl dunkelt dann oft ein Gewölk aus Fragen
noch unüberwunden im Glanz ihrer Flüge.
Doch wenn dann die Flügel des Mondes sie tragen,
so können sie lächelnd den Fragen entsagen
und lösen sich leicht von des Wissens Lüge.

Weit öffnen sie dann das Gemach ihrer Seelen
und gaukeln im Traum um die Träume der Andern,
ob sie auch einsam am Tage durchwandern
die inneren Wüsten, dass niemals sich stehlen
die eignen Gespenster ins Leben der Andern.

Sie spüren die Wurzeln der Andern umschwingen
das eigene Wachsen in tieferen Schichten,
so dass sie einander im Fluge umsingen
wie Harfe und Wind in gemeinsamem Dichten
und aneinander wie Zwillinge klingen.

English Version

Ilona Lay: Nocturnal Butterflies

A Poem from the Author’s Early Work

In her poem Nachtfalter („Nocturnal Butterflies“), Ilona Lay creates the vision of a world determined by reflection and empathy. Especially today, this seems to be a fitting counter-image to our reality, which is marked by war and destruction.

Ilona Lay has once again appeared in our editorial office with a revised poem from her early work. In the image of nocturnal butterflies, she creates the vision of a world in which human togetherness is based on reflection and empathy;

a world in which all beings sense the deeper connections with their fellow beings and base their encounters with others on these common roots;

a world in which everyone has enough time to think through disagreements with others and resolve them on the basis of confidence in a  common understanding;

a world in which reflection on the basic matters of life is given more importance than the distracting escape from them.

In view of a reality in which the striving for power, avarice and alienation from the fundamental aspects of existence determine interpersonal relationships to the point of physical destruction of others, the poem seemed to strike a nerve for us. That is why we are letting Ilona’s nocturnal butterflies float off into the net today.

Nocturnal Butterflies

Breathed by the evening, they quietly rise
from the reed beds, where they circle by day
around eternal questions, the bread of the wise,
and glide into the void, listening on a pensive journey
to the conciliatory whisper of the universe.

Often a dark cloud of questions drifts
unconquered through the splendour of their flights.
But caressed by the wings of the moon,
they can smilingly renounce the questions
and detach themselves from the deceit of knowledge.

With the chamber of their souls wide open,
they glide dreamily around the dreams of others,
though by day they wander lonely
through the inner deserts, keeping their chimeras
from stealing into the lives of others.

They sense the roots of others circling
around their own unfoldment in deeper layers,
so that they touch each other in flight
like harp and wind in common singing
and resound in each other like twins.

Bilder / Images: Larisa Koshkina: Nachtfalter / Butterflies (Pix­abay);mmadilkvp: Schimmernde Schmetterlinge / Shimmering Butterflies (Pixabay)

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