Bettina Wegner und ihr Lied Von Deutschland nach Deutschland / Bettina Wegner and Her Song From Germany to Germany
In ihrem Lied Von Deutschland nach Deutschland singt Bettina Wegner über ihr Gefühl einer geistigen Heimatlosigkeit, mit dem sie nach ihrer Ausweisung aus der DDR im Jahr 1983 zu kämpfen hatte.
Im Visier der Sicherheitsbehörden
Bettina Wegner wurde im Westen geboren, verbrachte ihre Kindheit jedoch in der DDR, weil ihre Eltern unmittelbar nach der Geburt der Tochter (1947) in die DDR übersiedelten. Wegner durchlief dort nach der Schulzeit eine Ausbildung zur Bibliothekarin, ehe sie sich 1966 an der Berliner Schauspielschule einschrieb.
In Berlin gründete Wegner nach amerikanischem Vorbild einen Hootenanny-Klub für das freie Singen und Vortragen eigener Lieder. Als die Parteiführung durchsetzte, dass der Klub in die Singebewegung der FDJ eingegliedert werden und sich in „Oktoberklub“ umbenennen musste, kehrte Wegner dem Projekt jedoch den Rücken.
Vollends in Ungnade fiel die Künstlerin, als sie zwei Jahre später nach dem Einmarsch von Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei auf Flugblättern zu einer Unterstützung des „Prager Frühlings“ aufrief. Sie wurde daraufhin nicht nur zwangsexmatrikuliert, sondern auch zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten auf Bewährung verurteilt.
Die Strafe klingt weniger hart, als sie in Wahrheit war. Schon der inquisitorische Gerichtsprozess, der als Tonaufnahme dokumentiert ist [1], war für Wegner, wie sie später selbst erklärte [2], eine sehr belastende Erfahrung. Noch schwerer wog jedoch die Tatsache, dass sie zunächst in Untersuchungshaft genommen und dabei von ihrem gerade erst zur Welt gebrachten Kind getrennt wurde.
„Bewährung“ bedeutete zudem in der DDR nicht einfach, dass die Verurteilte sich nichts zuschulden kommen lassen durfte. Wegner musste sich vielmehr aktiv durch Arbeit „in der Produktion“ bewähren [3].
Underground-Werbung für Auftritte der Sängerin
Obwohl Wegner die Strafe ohne Beanstandungen ableistete, wurden ihre Bemühungen, sich anschließend als Künstlerin eine Existenz aufzubauen, von der Partei unterbunden. So scheiterten ihre Versuche, gemeinsam mit ihrem damaligen Ehemann, dem Schriftsteller und Journalisten Klaus Schlesinger, ein eigenes Programm auf die Bühne zu bringen.
Noch stärker wurden die Repressionen gegen Wegner, als sie sich 1976 an den Protesten gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns beteiligte. Allerdings hatte Wegner sich zu dem Zeitpunkt schon eine gewisse Popularität in Underground-Kreisen erarbeitet. So konnte sie sich auch die dort üblichen Camouflage-Techniken von Konzertankündigungen zunutze machen.
Hilfreich war dabei die Zusammenarbeit mit der auf kabarettistische Chansons spezialisierten Band MTS (benannt nach den Nachnamen der Bandgründer). Wenn auf deren Konzertankündigungen „MTS und Sängerin“ stand, war der Zusatz für Eingeweihte ein unmissverständlicher Hinweis auf eine Beteiligung Wegners. Ebenso war der Zusatz „und Lieder von heute“ bei einer Ankündigung zu einer Veranstaltung mit Werken von Kurt Tucholsky ein versteckter Hinweis auf einen Auftritt Bettina Wegners [4].
Heimatlos in der neuen Heimat
Angesichts der schwierigen Arbeitsbedingungen in der DDR wich Wegner ab Ende der 1970er Jahre immer häufiger in den Westen aus. Dass die Staatsführung ihr das gestattete, hatte zwei Gründe: Zum einen ließen sich mit der mittlerweile populären Sängerin Devisen ins Land holen. Zum anderen waren die Auslandsreisen aber auch eine Möglichkeit, die Regimekritikerin daheim zu diskreditieren.
Dies mündete 1983 in konstruierte Vorwürfe, Wegner habe Devisen- und Zollbestimmungen missachtet. Mit der Aussicht konfrontiert, erneut inhaftiert zu werden, entschloss sich die Sängerin zur Ausreise in den Westen.
Für Wegner war dies der Auftakt zu einer erfolgreichen internationalen Karriere. In der Bundesrepublik half ihr Konstantin Wecker bei der Akklimatisierung an den westdeutschen Kulturbetrieb, der populäre italienische Cantautore Angelo Branduardi sang mit ihr zusammen, Joan Baez coverte ihr berühmtestes Lied Kinder (Sind so kleine Hände).
Dennoch blieben die jahrelange Verfolgung und das Ausgestoßenwerden aus der Gemeinschaft für die Künstlerin eine schmerzhafte Wunde. Schließlich war ihre oppositionelle Haltung ja keineswegs ein grundsätzliches Bekenntnis gegen das Ideal einer sozialistischen Gesellschaft gewesen. Eher speiste sich ihre Regimekritik aus der Enttäuschung darüber, dass die Parteiführung dieses Ideal immer wieder mit Füßen trat.
So fühlte Wegner sich auch in der kapitalistischen Wertewelt nicht zu Hause. Ihre geistige Heimat lag in einer Zwischenwelt – zwischen der sozialistischen Utopie und dem materiell geprägten westlichen Freiheitsversprechen. Von dem Riss, der deshalb durch ihre Seele ging, handelt ihr Lied Von Deutschland nach Deutschland.
Bettina Wegner: Von Deutschland nach Deutschland
(aus dem gleichnamigen, 1987 erschienenen Album):
Live (in der Sendung Karussell des Schweizer Fernsehens, 1988)
Nachweise
[1] Vgl. Jaedicke, Thomas: Prozesse gegen Bettina Wegner im Jahr 1968: „Nieder mit den Mördern von Prag!“ Deutschlandfunk Kultur, 24. Oktober 2018. Auszüge aus dem Prozess werden auch in dem unten erwähnten Feature über Wegner wiedergegeben (ab 7:37).
[2] Vgl. die Erinnerungen Wegners in dem Feature über die Künstlerin von Daniel Guthmann und Christian Buckard: Die Liedermacherin Bettina Wegner: Ziemlich unkontrollierbar (2016); ab 10:35. Deutschlandfunk, 31. Dezember 2021.
[3] Vgl. Jugendopposition in der DDR: Bewährung in der Produktion. jugendopposition.de.
[4] Vgl. Guthmann/Buckard, Die Liedermacherin Bettina Wegner (28:40; s. 2).
Beitrag über die Besonderheiten des Kabaretts in der DDR auf rotherbaron: Kabarettistische Balanceakte

English Version
At Home in Homelessness
Bettina Wegner and Her Song From Germany to Germany
In her song Von Deutschland nach Deutschland (From Germany to Germany), Bettina Wegner sings about her feeling of a spiritual homelessness, which she experienced after her expulsion from the GDR in 1983.
Bettina Wegner: From Germany to Germany
Two names for what was once one country,
the border goes right through the soul!
Different flags, only related in colour,
the patterns get entangled.
From Germany to Germany, just a stone’s throw!
How good that the language almost matches!
From rage you lie your way to temperance
and hope you’ll swim again!
In the evening, over a beer, you tell your life story,
the longing is drowned in conversation.
When you stumble, you bravely get up again
and don’t notice that something is missing!
What remains is the homeland as a no man’s land
in which you can get lost,
loved by no one, recognised by no one,
and sometimes you die from it!
/ Maybe home is just a piece of skin,
a caress, a song, a tree,
a garden where you pilfer flowers
and your childhood shrinking to a dream! /
Bettina Wegner: Von Deutschland nach Deutschland (from the album of the same name, released in 1987); Live on Swiss television (1988)
In the Sights of the Security Authorities
Bettina Wegner was born in the West, but spent her youth in Eastern Germany, as her parents were convinced communists and moved to the GDR immediately after the birth of their daughter (1947). After finishing school, Wegner completed an apprenticeship as a librarian before enrolling at the Berlin Drama School in 1966.
In Berlin, Wegner founded a „Hootenanny Club“ based on the American model for the free singing and performance of self-penned songs. However, when the authorities enforced the club’s incorporation into the singing movement of the Communist Party’s youth organisation (FDJ) and its renaming as „Oktoberklub“ (October Club), Wegner turned her back on the project.
The artist fell completely into disgrace when two years later, after the invasion of Czechoslovakia by Warsaw Pact troops, she called for support for the „Prague Spring“ on leaflets. As a result, she was not only exmatriculated, but also given a suspended prison sentence of one year and seven months.
The punishment sounds less severe than it actually was. Already the inquisitorial trial, which is documented as an audio recording [1], was a very stressful experience for Wegner, as she herself later explained [2]. Even more serious, however, was the fact that she was initially taken into pre-trial detention and separated from her child, who had just been born.
Moreover, „suspended sentence“ in the GDR did not simply mean that the convict had to behave impeccably. Rather, Wegner had to actively prove her blameless conduct by working in a factory [3].
Underground Promotion for the Singer’s Performances
Although Wegner complied with the punishment demands without objection, her efforts to build up an existence as an artist were subsequently prevented by the party. Thus her attempts to stage her own programme together with her then husband, the writer and journalist Klaus Schlesinger, failed.
The repression against Wegner became even stronger when she took part in the protests against the expatriation of singer-songwriter Wolf Biermann in 1976. However, Wegner had already gained a certain popularity in underground circles by then. So she could make use of the camouflage techniques of concert announcements that were common in the GDR.
In this context, Wegner’s collaboration with the band MTS (named after the surnames of the band’s founders), famous for their cabaret chansons, was helpful. When their concert announcements said „MTS and singer“, the addition was an unmistakable indication for insiders that Wegner was involved. Likewise, the addition „and songs of today“ to an announcement of an event with works by Kurt Tucholsky was a hidden reference to a performance by Bettina Wegner [4].
Homeless in the New Homeland
In view of the difficult working conditions in the GDR, Wegner increasingly escaped to the West for her appearances from the end of the 1970s. There were two reasons why the state leadership allowed her to do so: On the one hand, the singer, who by then had become popular, could bring western currency into the country. On the other hand, the trips abroad were also a way to discredit the dissident at home.
In 1983, this led to unfounded allegations that Wegner had disregarded foreign currency and customs regulations. Faced with the prospect of being imprisoned again, the singer decided to leave for the West.
For Wegner, this was the prelude to a successful international career. In West Germany, Konstantin Wecker helped her acclimatise to the West German cultural scene, the popular Italian cantautore Angelo Branduardi sang with her, and Joan Baez covered her most famous song Kinder (Children).
Nevertheless, the years of persecution and being expelled from the community remained a painful wound for the artist. After all, her oppositional stance was by no means a fundamental commitment against the ideal of a socialist society. Rather, her criticism of the regime was fed by the disappointment that the party leadership kept trampling on this ideal.
Thus, Wegner did not feel at home in the capitalist world either. Her spiritual home lay in an intermediate world – between the socialist utopia and the materially influenced western promise of freedom. Her song Von Deutschland nach Deutschland is about the rift in her soul caused by this.
References
[1] Cf. Jaedicke, Thomas: Prozesse gegen Bettina Wegner im Jahr 1968: „Nieder mit den Mördern von Prag!“ [Trials against Bettina Wegner in 1968: „Down with the Murderers of Prague!“] Deutschlandfunk Kultur, October 24, 2018. Excerpts from the trial are also reproduced in the feature on Wegner mentioned below (from 7:37).
[2] Cf. Wegner’s recollections in the feature on the artist by Daniel Guthmann and Christian Buckard: Die Liedermacherin Bettina Wegner: Ziemlich unkontrollierbar [The singer-songwriter Bettina Wegner: Pretty uncontrollable] (2016); from 10:35. Deutschlandfunk, December 31, 2021.
[3] Cf. Youth Opposition in the GDR: Bewährung in der Produktion [Probation in Production]; jugendopposition.de.
[4] Cf. Guthmann/Buckard, Die Liedermacherin Bettina Wegner (28:40; see 2).
Bilder / Images: Michael Apitz: 9 November [the day the Berlin Wall opened]; photo by Niko Apitz (Wikimedia commons);Bettina Wegner, 1974 (Saltzmann / Wikimedia commons);