Melancholischer Fatalismus / Melancholic Fatalism

Zu Erich Kästners Gedicht Vorstadtstraßen / On Erich Kästner’s Poem Vorstadtstraßen (Suburban Streets)

In seinem Gedicht Vorstadtstraßen entwirft Erich Kästner ein düsteres Bild der sozialen Verhältnisse in der Spätphase der Weimarer Republik. Der fatalistische Grundton der Verse lässt dabei wenig Hoffnung auf Veränderung aufkommen.

English Version

INHALT

Ein Dichter in der inneren Emigration

Innerer Rückzug schon vor 1933

„Linke Melancholie“: Dünger für den Aufstieg der Nationalsozialisten

Erich Kästner: Vorstadtstraßen

Ein Bild für das Leben am Rande der Gesellschaft

Dichterischer Fatalismus vs. sozialer Aktionismus

Resignative Stimmung – auch in Liebesgedichten

Dichterische Molltöne als Symptom einer Krise des Bürgertums

Eine Solidarität, die niemandem wehtut

Über Erich Kästner

Ein Dichter in der inneren Emigration

Die nationalsozialistische Machtergreifung brachte 1933 auch für die deutsche Kulturszene einen tiefen Einschnitt mit sich. Zahlreiche Intellektuelle verloren ihre Existenzgrundlage, etliche mussten ins Ausland fliehen. Wer nicht rechtzeitig die Koffer packte, wurde verhaftet. Einige – wie Erich Mühsam, der den Nationalsozialisten als anarchistischer Freigeist schon immer ein Dorn im Auge gewesen war – wurden auch ermordet.

Kritische Intellektuelle, die trotz der widrigen Umstände in Deutschland blieben, zogen sich größtenteils in die „innere Emigration“ zurück. Dabei bedeutete diese Art von innerem Rückzug allerdings nicht dieselbe Distanz zu dem neuen Regime wie das tatsächliche Exil. Von irgendetwas mussten die Daheimgebliebenen schließlich leben. Dies führte zwangsläufig dazu, dass gewisse Kompromisse mit den nationalsozialistischen Machthabern eingegangen wurden.

Ein Beispiel dafür ist Erich Kästner. Dessen Werke gingen zwar bei der nationalsozialistischen Bücherverbrennung – deklariert als „Aktion wider den undeutschen Geist“ – am 10. Mai 1933 mit in Flammen auf. Dessen ungeachtet konnte Kästner jedoch im „Dritten Reich“ – wenn auch unter Pseudonym – weiter publizieren. Verbotene Werke durfte er überdies im Ausland veröffentlichen.

Kästner war während der Zeit des Nationalsozialismus zudem in der Filmbranche tätig. So schrieb er etwa das Drehbuch für den Film Münchhausen, ein von Goebbels massiv vorangetriebenes Prestigeprojekt zum 25-jährigen Bestehen der Babelsberger Filmstudios der Ufa im Jahr 1943.

Innerer Rückzug schon vor 1933

Dass aus einem gesellschaftskritischen Autor wie Erich Kästner kein Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus geworden ist, mag auf den ersten Blick unverständlich erscheinen. Bei genauerem Hinsehen liegt es allerdings durchaus in der Logik seiner literarischen Entwicklung. So heißt es etwa 1930 in seinem Gedicht Kurzgefasster Lebenslauf:

„Ich gehe durch die Gärten der Gefühle,
die tot sind, und bepflanze sie mit Witzen.“

Die Verse beklagen eine gewisse seelische Austrocknung, die Unfähigkeit, auf das eigene, private Unglück wie auf das allgemeine soziale Elend dauerhaft mit starken Gefühlen zu reagieren. Statt aus einer entsprechenden emotionalen Reaktion die Kraft zum Kampf für fundamentale  Veränderungen zu ziehen, bleibt nur noch Galgenhumor.

So tritt an die Stelle der Revolution die Resignation, das gemeinsame, mal selbstironische, mal melancholische Sich-Bestätigen in der Unmöglichkeit eines radikalen gesellschaftlichen Neuanfangs. In der Logik einer solchen Haltung liegt es denn auch, auf die nationalsozialistische Machtergreifung nicht mit entschlossenem Widerstand, sondern mit gekränktem Rückzug in die Innerlichkeit zu reagieren.

„Linke Melancholie“: Dünger für den Aufstieg der Nationalsozialisten

Die resignative Grund­haltung von Autoren wie Erich Kästner beschrieb Walter Benjamin 1931 als „linke Melancholie“. Eine hierauf basierende Literatur diskreditiere, so Benjamin, alle Entwürfe zu einer revolutionären Veränderung der Gesellschaft, indem das Ankämpfen gegen die ent­fremdeten Lebensumstände von vornherein als sinnlos abgetan werde. Kästners Strophen folgten „ganz genau den Noten, nach denen die armen reichen Leute Trübsal blasen; sie sprechen zu der Traurigkeit des Saturierten, der sein Geld nicht restlos seinem Magen zuwenden kann“.

In der Kultivierung der eigenen Traurigkeit sah Benjamin damit eine Art revolutionäres Rückzugsgefecht. Von den großen Gefühlen des „Enthusiasmus“ und der „Menschlichkeit“ sei nur eine „Hohlform“ zurückgeblieben, die nun „geistesabwesend“ von den einstigen Revolutionären „liebkost“ werde.

Benjamins Kritik lässt sich auch auf das Kabarett seiner Zeit beziehen – zumal er die von ihm konstatierte „linke Melancholie“ eng mit einer „neunmalweise[n] Ironie“ verbunden sah. Beides begünstigte seiner Ansicht nach die „Umsetzung revolutionärer Reflexe (…) in Gegenstände der Zerstreuung, des Amüsements, die sich dem Konsum zuführen ließen“.

Daraus ergab sich für Benjamin, der als linksbürgerlicher Intellektueller selbst vor den Nationalsozialisten fliehen musste und sich 1940 auf der Flucht das Leben nahm, die Gefahr einer „grotesken Unterschätzung“ der aufstrebenden Nationalsozialisten. Indem es, um sich selbst kreisend, diese Gefahr ausblendete, betrieb das intellektuelle Bürgertum letztlich das Geschäft des politischen Gegners.

Zitatenachweis:

Kästner-Gedicht: Kurzgefasster Lebenslauf; aus: Ein Mann gibt Auskunft (1930).

Benjamin-Zitate: Linke Melancholie. Zu Erich Kästners neuem Gedichtbuch [Ein Mann gibt Auskunft]. In: Die Gesellschaft 8 (1931), Bd. 1, H. 2, S. 181 – 184; auch in: Benjamin, Walter: Gesammelte Schriften 3, herausgegeben von Hella Tiedemann-Bartels, S. 279 – 283. Frankfurt/Main 1972: Suhrkamp.      

Erich Kästner: Vorstadtstraßen

Mit solchen Straßen bin ich gut bekannt.
Sie fangen an, als wären sie zu Ende.
Trinkt Magermilch! steht groß an einer Wand,
als ob sich das hier nicht von selbst verstände.

Es riecht nach Fisch, Kartoffeln und Benzin.
In diesen Straßen dürfte niemand wohnen.
Ein Fenster schielt durch schräge Jalousien.
Und welke Blumen blühn auf den Balkonen.

Die Häuser bilden Tag und Nacht Spalier
und haben keine weitern Interessen.
Seit hundert Jahren warten sie nun hier.
Auf wen sie warten, haben sie vergessen.

Die Nacht fällt wie ein großes altes Tuch,
von Licht durchlöchert, auf die grauen Mauern.
Ein paar Laternen gehen zu Besuch,
und vor den Kellern sieht man Katzen kauern.

Die Häuser sind so traurig und so krank,
weil sie die Armut auf den Straßen trafen.
Aus einem Hof dringt ganz von ferne Zank.
Dann decken sich die Fenster zu und schlafen.

So sieht die Welt in tausend Städten aus!
Und keiner weiß, wohin die Straßen zielen.
An jeder zweiten Ecke steht ein Haus,
in dem sie Skat und Pianola spielen.

Ein Mann mit Sorgen geigt aus dritter Hand.
Ein Tisch fällt um. Die Wirtin holt den Besen.
Trinkt Magermilch! steht groß an einer Wand.
Doch in der Nacht kann das ja niemand lesen.

aus: Ein Mann gibt Auskunft (1930)

Ein Bild für das Leben am Rande der Gesellschaft

Vorstadtstraßen – in Erich Kästners Gedicht sind sie ein Synonym für ein Leben am Rande, draußen, vor den Toren der Gesellschaft.

Die Milch ist so mager wie das ganze Leben, das die Menschen hier führen. Jeder Anfang fühlt sich wie ein Ende an. Die Blumen sind verwelkt wie die Menschen, die hier leben. Die Musik, die hier ertönt, klingt ebenso dissonant, wie sich die Übelkeit erregende Geruchsmischung aus „Fisch, Kartoffeln und Benzin“ anfühlt.

Das Licht scheint sich in diese Gegend nur aus Versehen zu verirren und kann das dominierende Grau nicht verjagen. Streitworte wehen um das Einerlei der Häuser, die, einer fremden Ordnung folgend, aufgereiht am Straßenrand stehen.

Hoffnung auf eine Heilung der „kranken“ Verhältnisse gibt es kaum. Denn ein wesentliches Kennzeichen dieser Krankheit ist es ja gerade, dass sie „in tausend Städten“ die Welt im Griff hat und die Menschen niederdrückt. Die „Armut auf den Straßen“ erscheint damit fast wie ein unabänderliches Naturgesetz.

Dichterischer Fatalismus vs. sozialer Aktionismus

Aus heutiger Sicht kommt uns die resignative Stimmung in dem Gedicht nur allzu verständlich vor. 1930 erschienen, lassen die Verse an die damalige Weltwirtschaftskrise denken, die viele Menschen ihrer Lebensgrundlage beraubte. Wer vorher schon in einem Teufelskreis aus Gelegenheitsjobs, schlechten Wohnverhältnissen und mangelnden Bildungschancen gefangen war, hatte nun endgültig keine Chance mehr, daraus auszubrechen.

Aus damaliger Perspektive allerdings stellten sich die Dinge ein wenig anders dar. Die Weltwirtschaftskrise war zwar auch im psychologischen Sinn eine „Great Depression“. Sie verlieh andererseits aber auch Bewegungen Aufwind, die fundamentale gesellschaftliche Veränderungen einforderten.

Davon profitierten nicht nur die Nationalsozialisten – auch die Kommunistische Partei konnte ihren Stimmenanteil bei den Reichstagswahlen zwischen 1928 und 1932 deutlich erhöhen. Zudem gab es Massendemonstrationen, die alles andere als eine resignative Atmosphäre verbreiteten.

Die fatalistische Stimmung des Gedichts wurde also von denen, auf die es sich bezieht, keineswegs durchweg geteilt. So stellt sich die Frage, warum Kästner dennoch diese Gefühlslage als quasi zwangsläufiges Resultat bedrückender sozialer Verhältnisse hinstellt.

Resignative Stimmung – auch in Liebesgedichten

Auffallend ist, dass auch in vielen anderen Gedichten der damaligen Zeit eine resignative Stimmungslage vorherrscht – und zwar nicht nur, wenn es um soziale Benachteiligung geht. Auch um die bürgerliche Privatsphäre und insbesondere Liebesbeziehungen kreisende Gedichte enthalten oft einen Grundton der Ausweg- und Trostlosigkeit.

Das berühmteste Beispiel dafür ist wohl Kästners Sachliche Romanze, die durch die Vertonungen von Herman van Veen und Udo Lindenberg zusätzliche Popularität erlangt hat. In bewusster Abkehr von expressionistischem Pathos und romantischer Sentimentalität wird hier das plötzliche Versiegen der Gefühle in einer Liebesbeziehung beschrieben – was das Gedicht geradezu zu einem Lehrstück der damals vorherrschenden Neuen Sachlichkeit machte.

Auch in anderen Gedichten – wie etwa in Ein gutes Mädchen träumt – hat Kästner den Abnutzungsprozess von Emotionen thematisiert, wie er durch tägliche Routinen und einengende Beziehungsmuster ausgelöst werden kann. Gedichte mit ähnlichen Sujets und Tonlagen gibt es zudem auch von anderen Autoren der Zeit. Ein Beispiel dafür ist Kurt Tucholskys Gedicht Liebespaar am Fenster, in dem Alltagsroutinen ebenfalls als ebenso tödliches wie unvermeidliches Gift für die Liebe herausgestellt werden.

Dichterische Molltöne als Symptom einer Krise des Bürgertums

Bei den Alltagsroutinen und stereotypen Beziehungsmustern stellt sich allerdings, noch mehr als bei den allgemeinen sozialen Verhältnissen, die Frage: Wer sagt eigentlich, dass sie unveränderbar sind? Warum wehrt man sich nicht mit aller Macht gegen ihr tödliches Gift? Warum stellt man sein Leben nicht um und tut alles, um die Liebe zu retten?

Dass all dies nicht versucht wird und stattdessen von einer unentrinnbaren Abwärtsspirale in den persönlichen Beziehungen ausgegangen wird, deutet auf eine tiefe emotionale Krise im damaligen Bürgertum hin.

In der Tat hatte dieses ja in der Spätphase der Weimarer Republik auch allen Grund, pessimistisch in die Zukunft zu blicken. Nicht nur die politischen, auch die geistigen Erneuerungshoffnungen, die nach dem Ende des Ersten Weltkriegs aufgeblüht waren, hatten sich verflüchtigt. Nun setzte die Weltwirtschaftskrise auch der Hoffnung auf eine solidere finanzielle Basis der eigenen Lebensverhältnisse ein Ende.

Eine Solidarität, die niemandem wehtut

Die fatalistische Beschreibung des Lebens in den Vorstadtstraßen wirkt vor diesem Hintergrund fast wie Wunschdenken. Indem die eigene resignative Stimmungslage auf die Menschen am Rande der Gesellschaft projiziert wird, nimmt man sich selbst die Angst vor dem sozialen Abstieg, der einem durch eine Erhebung der Massen drohen könnte. In Kästners Gedicht ist diese Angst umso greifbarer, als der Autor im ersten Vers auf seine eigene Herkunft aus ärmlichen Verhältnissen anzuspielen scheint.

Gleichzeitig gibt sich das Gedicht allerdings empathisch. Wer es liest, empfindet automatisch Mitleid mit denen, die da in bedrückenden Verhältnissen am Rande der Gesellschaft leben müssen. Dabei handelt es sich allerdings um ein passives Mitleid – denn, so stellt das Gedicht ja auch klar: An den Verhältnissen lässt sich leider nichts ändern.

So sind diese Verse die ideale Begleitmusik für ein desillusioniertes Bürgertum, das um seine sozialen Privilegien fürchtet, gleichzeitig aber sein progressives Selbstverständnis nicht aufgeben möchte. Sie ermöglichen die paradoxe Empfindung einer Solidarität, die von ihrer eigenen Wirkungslosigkeit überzeugt ist und so zugleich unsolidarisches Verhalten im Alltag legitimiert.

Links zu den zitierten Gedichten

Erich Kästner: Sachliche Romanze; aus: Lärm im Spiegel (1929); Erstveröffentlichung in der Vossischen Zeitung vom 20. April 1928. Als biographischer Hintergrund des Gedichts wird Kästners Trennung von seiner Jugendliebe vermutet.

 Vertonung von Herman van Veen (aus dem Album Solange der Vorrat reicht,1982)

Vertonung von Udo Lindenberg (aus dem Album Hermine, 1988)

Ders.: Ein gutes Mädchen träumt; aus: Ein Mann gibt Auskunft (1930); Erstveröffentlichung in Die Weltbühne (1929, H. 40).

Kurt Tucholsky: Liebespaar am Fenster; von Tucholsky unter dem Pseudonym „Theobald Tiger“ im November 1928 in der Zeitschrift UHU veröffentlichtes Gedicht

      Vertonung von Charly Niessen, gesungen von Hildegard Knef (aus: Hildegard Knef singt und spricht Kurt Tucholsky, 1965)

Über Erich Kästner

Der Dichter, die Frauen und der Krieg

Erich Kästner (1899 – 1974) stammte aus kleinbürgerlichen Verhältnissen. Sein Vater, von Beruf Sattlermeister, arbeitete in einer Dresdner Kofferfabrik. Seine Mutter trug als Dienstmädchen und durch Heimarbeit sowie später als Friseurin zum Lebensunterhalt der Familie bei.

Zu seiner Mutter hatte Kästner ein ausgesprochen enges Verhältnis. Dies erklärt zum Teil vielleicht auch seine spätere narzisstische Einstellung gegenüber Frauen. Er war nie verheiratet, ließ sich aber gleich von mehreren Frauen umsorgen. Neben einer Privatsekretärin hatte er eine langjährige Lebensgefährtin, daneben später auch eine 27 Jahre jüngere Geliebte.

Als 18-Jähriger zum Militärdienst einberufen, trug Kästner durch die Rücksichtslosigkeit seines Ausbilders dauerhafte gesundheitliche Schäden davon, insbesondere eine chronische Herzschwäche. In der Folge wurde er ein entschiedener Kriegsgegner, als der er auch nach dem Zweiten Weltkrieg öffentlich in Erscheinung trat. So wandte er sich etwa gegen die deutsche Wiederbewaffnung und verurteilte den Vietnamkrieg.

Vielfältige Aktivitäten als Dichter, Romancier, Feuilletonist, Drehbuchautor

Nach dem Krieg nahm Kästner in Leipzig ein Studium der Germanistik, Theaterwissenschaft, Geschichte und Philosophie auf, das er mit der Promotion abschloss. 1927 zog er nach Berlin um.

Nachdem er schon während des Studiums Theaterkritiken und andere feuilletonistische Artikel veröffentlicht hatte, widmete der Autor sich nach Abschluss des Studiums ganz dem Schreiben. Neben zahlreichen Zeitschriftenbeiträgen veröffentlichte er auch vier Gedichtbände. Seinem Lebensunterhalt diente darüber hinaus die Arbeit als Werbetexter.

Außerdem begann Kästner als Drehbuchautor zu arbeiten. Hiervon ist auch sein zeitkritischer Roman Fabian (1931) geprägt. Dessen Montagetechnik erinnert an die Überblendungen und oft unvermittelten Wechsel der Schauplätze und Perspektiven, wie sie für den modernen Film charakteristisch sind.

Unter der Herrschaft der Nationalsozialisten konnte Kästner nur unter Pseudonym und in der Schweiz veröffentlichen. Daneben arbeitete er weiterhin als Drehbuchautor.

Nach dem Krieg zog Kästner nach München und nahm dort seine Publikationstätigkeit wieder auf. Neben zahlreichen feuilletonistischen Beiträgen schrieb er auch Texte für die Münchner Kabarettbühnen Die Schaubude und Die Kleine Freiheit. Von 1951 bis 1962 wirkte er zudem als Präsident des bundesdeutschen PEN-Zentrums.

Weltruhm als Kinderbuchautor

Den größten kommerziellen Erfolg erzielte Erich Kästner mit seinen Werken für Kinder. Bereits zwischen 1926 und 1932 veröffentlichte er zahlreiche Geschichten, Gedichte und Rätsel in der Kinderzeitung von Klaus und Kläre bzw. in deren Vorläufer, der Kinderbeilage der Familienzeitschrift Beyers für Alle.

Seine bekanntesten Kinderbücher sind die zwischen 1929 und 1933 erschienenen Romane Emil und die Detektive, Pünktchen und Anton und Das fliegende Klassenzimmer sowie Das doppelte Lottchen (1949). Sie wurden allesamt auch verfilmt und in mehrere Sprachen übersetzt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab Kästner zeitweilig die Kinder- und Jugendzeitschrift Pinguin heraus. Außerdem war er Mitinitiator der Internationalen Jugendbibliothek in München.

English Version

Melancholic Fatalism

On Erich Kästner’s Poem Vorstadtstraßen (Suburban Streets)

In his poem Vorstadtstraßen (Suburban Streets), the German writer Erich Kästner paints a bleak picture of social conditions in the late Weimar Republic. The fatalistic tone of the verses leaves little hope for change.

A Poet in Inner Emigration

Inner Retreat Already Before 1933

„Left-Wing Melancholy“: Fertiliser for the Rise of National Socialism

Erich Kästner: Suburban Streets

A Metaphor for Life on the Edge of Society

Poetic Fatalism vs. Social Actionism

Resigned Mood – also in Love Poems

Poetic Minor Tones as a Symptom of a Bourgeois Crisis

Solidarity without Consequences

About Erich Kästner

A Poet in Inner Emigration

The National Socialist seizure of power in 1933 also had a profound impact on the German cultural scene. Numerous intellectuals lost their livelihoods, and many had to flee abroad. Those who did not pack their bags in time were arrested. Some – like Erich Mühsam, who as an anarchist free spirit had always been a thorn in the side of the National Socialists – were even murdered.

Critical intellectuals who remained in Germany despite the adverse circumstances for the most part retreated into „inner emigration“. However, this kind of inner retreat did not mean the same distance from the new regime as actual exile. After all, those who stayed at home had to live on something. This inevitably led to certain compromises with the National Socialist rulers.

One example of this is Erich Kästner. It is true that his works went up in flames during the National Socialist book burning – declared as an „action against the un-German spirit“ – on 10 May 1933. Nevertheless, Kästner was able to continue publishing in the „Third Reich“ – albeit under a pseudonym. Moreover, he was allowed to publish banned works abroad.

Kästner was also active in the film industry during the National Socialist era. For example, he wrote the screenplay for the film Münchhausen, a prestige project massively pushed by Joseph Goebbels, the Minister of Propaganda, for the 25th anniversary of the Ufa’s Babelsberg film studios in 1943.

Inner Retreat Already Before 1933

That a socially critical author like Erich Kästner did not become a resistance fighter against National Socialism may seem surprising at first glance. On closer inspection, however, it is entirely within the logic of his literary development. In 1930, for example, he stated in his poem Kurzgefasster Lebenslauf (Short Curriculum Vitae):

„I wander through the gardens of feelings,
which are dead, and plant jokes in them.“

The verses express a certain dehydration of the soul, the inability to react permanently with strong feelings to one’s own private misfortune as well as to the general social misery. Instead of drawing the strength to fight for fundamental changes from an appropriate emotional reaction, only gallows humour remains.

Thus, revolution is replaced by resignation, the common, sometimes self-ironic, sometimes melancholic affirmation of the impossibility of a radical new beginning in society. It is in the logic of such an attitude to respond to the National Socialist seizure of power not with resolute resistance, but with an aggrieved retreat into inwardness.

„Left-Wing Melancholy“: Fertiliser for the Rise of National Socialism

In 1931, the philosopher Walter Benjamin described the resigned attitude of authors like Erich Kästner as „linke Melancholie“ (left-wing melancholy). He was convinced that a literature based on this would discredit all plans for a revolutionary change in society by dismissing the struggle against the alienated circumstances of life as pointless from the outset. Kästner’s stanzas, in Benjamin’s words, „follow exactly the notes in which poor rich people use to mope; they speak to the sadness of the saturated one who cannot fully devote his money to his stomach“.

Benjamin thus saw the cultivation of one’s own sadness as a kind of revolutionary retreat. In his view, all that remained of the feelings of „enthusiasm“ and „humanity“ was a „hollow form“, caressed „absent-mindedly“ by the former revolutionaries.

Benjamin’s criticism can also be applied to the cabaret of his time – especially since he considered the „left-wing melancholy“ closely connected with a „busybody irony“. According to him, both aspects facilitated the „transformation of revolutionary reflexes (…) into objects of diversion, of amusement, which could be appropriated by the world of consumption“.

For Benjamin, who as a left-wing intellectual had to flee from the National Socialists himself and took his own life on the run in 1940, this resulted in the danger of a „grotesque underestimation“ of the rising National Socialism. By circling around itself and thus fading out this danger, the intellectual middle classes were ultimately doing the business of the political adversary.

References:

Poem by Kästner: Kurzgefasster Lebenslauf (Short Curriculum Vitae); from: Ein Mann gibt Auskunft (1930).

Quotes by Benjamin: Linke Melancholie. Zu Erich Kästners neuem Gedichtbuch [Ein Mann gibt Auskunft] (Left-Wing Melancholy. On Erich Kästner’s New Book of Poems). In: Die Gesellschaft 8 (1931), vol. 1, no. 2, p. 181 – 184; also included in: Benjamin, Walter: Gesammelte Schriften (Collected Works) 3, edited by Hella Tiedemann-Bartels, p. 279 – 283. Frankfurt/Main 1972: Suhrkamp.

English version: Left-Wing Melancholy. On Erich Kästner’s New Book of Poems

Erich Kästner: Suburban Streets

Such streets are quite familiar to me.
Every beginning feels like an end in them.
„Drink low-fat milk!“ is written in large letters on a wall,
as if that were not a matter of course here.

It smells of fish, of petrol and potatoes.
No one should live in these streets.
A window squints through slanted blinds.
And dusty flowers wither on the balconies.

Day and night, the houses stand on guard
and have no further interests.
For a hundred years they have been waiting her.
Whom they are waiting for, they have forgotten.

The night falls like a big old cloth,
pierced by the light, on the hoary walls.
Bored, a few lanterns come by,


and cats are crouching in front of the cellars.

The houses are so sad and so sick
because they are infected by the poverty on the streets.
From a courtyard, far away, quarrels can be heard.
Then the windows withdraw behind their blinds.

This is what the world looks like in a thousand cities!
And no one knows what the streets are heading for.
On every other corner there’s a house
where they play skat and pianola.

A worried man plucks worn-out tunes on his violin.
A table falls over. The landlady fetches the broom.
„Drink low-fat milk!“ is written in large letters on a wall.
But at night no one can read it.

Erich Kästner: Vorstadtstraßen

from: Ein Mann gibt Auskunft (A Man Gives Information, 1930)

A Metaphor for Life on the Edge of Society

Suburban streets – in Erich Kästner’s poem they are synonymous with a life on the edge, outside the gates of society.

The milk is as meagre as the whole life people have to lead here. Every beginning feels like an end. The flowers are withered like the people living here. The music sounds as dissonant as the nauseating smell of „fish, potatoes and petrol“ wafting through the air.

The light seems to get in this area only by accident and cannot chase away the dominating greyness. Words of discord bark around the monotony of the houses, which, following an alien order, stand lined up at the side of the road.

Hope for a cure of the „sick“ conditions is almost non-existent. After all, one of the main characteristics of this disease is that it depresses people „in a thousand cities“ all around the world. The „poverty on the streets“ thus seems almost like an unalterable law of nature.

Poetic Fatalism vs. Social Actionism

From today’s perspective, the resigned mood in the poem seems all too understandable. Published in 1930, the verses are reminiscent of the world economic crisis at the time, which deprived many people of their livelihoods. Those who had already been trapped before in a vicious circle of odd jobs, poor housing and lack of educational opportunities now definitely no longer had a chance to break out of it.

From the perspective of the people who lived at that time, however, things looked a little different. Of course, the „Great Depression“ also implied a depression in the psychological sense of the word. But on the other hand, it also gave impetus to movements calling for fundamental social changes.

Not only the National Socialists profited from this – the Communist Party, too, was able to significantly increase its vote share in the Reichstag elections between 1928 and 1932. In addition, there were mass demonstrations that spread anything but a resigned atmosphere.

The fatalistic mood of the poem was thus by no means entirely shared by those to whom it refers. This raises the question of why Kästner nevertheless presents this emotional state as the almost inevitable consequence of oppressive social conditions.

Resigned Mood – also in Love Poems

It is striking that a resigned mood also prevails in many other poems of the time – and not only when they are about social deprivation. Even poems revolving around the bourgeois private sphere and especially love relationships often contain an underlying tone of hopelessness and despair.

The most famous example of this is probably Kästner’s Sachliche Romanze (Objective Romance), which has gained additional popularity through several musical settings. In the poem, the sudden drying up of feelings in a love relationship is described. This is done in a deliberate rejection of expressionist pathos and romantic sentimentality – which made the poem a prime example of the „New Objectivity“ that was prevalent at the time.

In other poems, too – such as in Ein gutes Mädchen träumt (A Good Girl Dreams) –, Kästner addressed the process of emotional exhaustion that can be triggered by daily routines and constricting relationship patterns. Furthermore, there are poems with similar subjects and tones by other authors of the time. One example is Kurt Tucholsky’s poem Liebespaar am Fenster (Lovers at the Window), which also highlights everyday routines as both deadly and unavoidable poison for love.

Poetic Minor Tones as a Symptom of a Bourgeois Crisis

In the case of everyday routines and stereotypical relationship patterns, however, the question arises, even more than in the case of general social conditions: Who actually says that they are unchangeable? Why doesn’t those affected defend themselves with all their might against that deadly poison? Why doesn’t they turn their lives around and do everything they can to save love?

The fact that none of this is attempted and that instead an inescapable downward spiral in personal relationships is assumed indicates a deep emotional crisis in the bourgeoisie of that time.

Indeed, in the late phase of the Weimar Republic, the middle classes had many reasons to be pessimistic about the future. Not only their political, but also their intellectual hopes for renewal, which had blossomed after the end of the First World War, had evaporated. Now the world economic crisis even put an end to the hope of a more solid financial basis for their living conditions.

Solidarity without Consequences

Against this background, the fatalistic description of life in the suburban streets seems almost like wishful thinking. By projecting their own resigned mood onto the people on the fringes of society, the middle classes mitigated their own fear of social relegation, which could be brought about by an upheaval of the masses. In Kästner’s poem, this fear is all the more tangible because in the first verse the author seems to allude to his own origins in poor circumstances.

At the same time, though, the poem presents itself as empathetic. Anyone who reads it automatically feels pity for those who have to live in such oppressive conditions. However, this compassion is a passive one – because, as the poem also makes clear, unfortunately nothing can be done about the circumstances.

Thus, these verses are the ideal background music for a disillusioned bourgeoisie that fears for its social privileges, but at the same time does not want to give up its progressive self-image. They allow for the paradoxical sensation of a solidarity that is convinced of its own ineffectiveness and thus legitimises the renunciation of solidarity in everyday life.

Links to the Poems Mentioned

Erich Kästner: Sachliche Romanze (Objective Romance); from: Lärm im Spiegel (Noise in the Mirror, 1929); first published in: Vossische Zeitung, April 20, 1928. The poem’s biographical background is thought to be Kästner’s separation from his childhood sweetheart.

 Musical setting by Herman van Veen (from the album Solange der Vorrat reicht,1982)

Musical setting by Udo Lindenberg (from the album Hermine, 1988)

Objective Romance

When they had known each other for eight years
(and it’s fair to say they knew each other well),
their love suddenly got lost –
just like other people lose a stick or a hat.

They were sad, but behaved cheerfully,
tried to kiss as if nothing had happened
and looked at each other and didn’t know what to do.
Then finally she cried. And he just stood watching her.

From the window they could wave at ships.
He said it was already a quarter past four
and time to have coffee somewhere.
Next door, someone was practising the piano.

They went to the smallest café in town
and stirred in their cups,
stirred and stared into space until it got dark.
They sat there alone and they didn’t say a word …
and they just couldn’t comprehend it.

Erich Kästner: Ein gutes Mädchen träumt (A Good Girl Dreams); from: Ein Mann gibt Auskunft (A Man Gives Information, 1930); first published in Die Weltbühne (1929, no. 40).

Kurt Tucholsky: Liebespaar am Fenster (Lovers at the Window); poem published by Tucholsky under the pseudonym „Theobald Tiger“ in the magazine UHU in November 1928.

      Musical setting by Charly Niessen, sung by Hildegard Knef (from: Hildegard Knef singt und spricht Kurt Tucholsky, 1965)

About Erich Kästner

Mummy’s Boy and Anti-Militarist

Erich Kästner (1899 – 1974) was born into a lower middle-class family. His father, a saddler by profession, worked in a suitcase factory in Dresden (Saxony). His mother contributed to the family’s livelihood as a housemaid and by doing home-based work. Later, she earned a living as a hairdresser.

Kästner had a very close relationship to his mother. This may partly explain his narcissistic attitude towards women. He was never married, but had several women looking after him. In addition to a private secretary, he had a long-term partner, and later also a mistress 27 years his junior.

Called up for military service at the age of 18, Kästner suffered permanent damage to his health, in particular chronic cardiac insufficiency, due to the ruthlessness of his instructor. As a result, he became a determined opponent of war, as which he continued to appear in public even after the Second World War. For example, he opposed German rearmament and condemned the Vietnam War.

Manifold Activities as Poet, Novelist, Columnist, Scriptwriter

After the First World War, Kästner took up studies in German language and literature, drama, history and philosophy in Leipzig (Saxony), which he completed with a doctorate. In 1927 he moved to Berlin.

Having already published theatre reviews and other feuilletonistic articles during his studies, the author devoted himself entirely to writing after graduation. In addition to numerous magazine articles, he also published four volumes of poetry. Furthermore, he earned his living by writing advertising copy.

Additionally, Kästner began to work as a scriptwriter. This also had an impact on his contemporary novel Fabian (1931). Its montage technique is reminiscent of the cross-fades and often sudden changes of setting and perspective that are characteristic of modern film.

During the National Socialist era, Kästner could only publish under a pseudonym and in Switzerland. In addition, he continued to work as a screenwriter.

After the war, Kästner moved; to Munich and resumed his publishing activities there. In addition to numerous feuilletonistic articles, he also wrote texts for the Munich cabarets Die Schaubude (The Show Booth) and Die Kleine Freiheit. (The Little Freedom). From 1951 to 1962, he also served as president of the German PEN Centre.

World Fame as a Children’s Book Author

Erich Kästner achieved his greatest commercial success with his works for children. As early as between 1926 and 1932, he published numerous stories, poems and riddles in Klaus und Kläres Kinderzeitung (Children’s Newspaper) and in its predecessor, the children’s supplement of the family magazine Beyers für Alle (Beyer’s for All).

His best-known children’s books are the novels Emil und die Detektive (Emil and the Detectives), Pünktchen und Anton („Dot and Anton“) and Das fliegende Klassenzimmer (The Flying Classroom), published between 1929 and 1933, as well as Das doppelte Lottchen (1949). All of them were also adapted for film and translated into several languages.

After the Second World War, Kästner temporarily edited the children’s and youth magazine Pinguin (Penguin). Moreover, he was a co-founder of the International Youth Library in Munich.

Essay zu Kabarett im Nationalsozialismus

ZWISCHEN ANPASSUNG UND INNERER EMIGRATION

Bilder / Images: Thomas Annan: Glasgow 1868 (British Library); Walter Benjamin (1928); Berlin, Akademie der Künste, Walter Benjamin Archiv; Grete Kolliner (1892 – 1933): Porträtfoto von Erich Kästner, um 1930 (Wikimedia commons); Erich Kästner beim Autogrammschreiben im Münchner Englischen Garten /Erich Kästner signing autographs in Munich’s English Garden, 1968 (Wikimedia commons)

Eine Antwort auf „Melancholischer Fatalismus / Melancholic Fatalism

  1. Tom

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