Null Bock auf Krieg / Zero Appetite for War

Renauds Argot-Fassung von Boris Vians Chanson Le Déserteur / Renaud’s Argot Version of Boris Vian’s Chanson Le Déserteur

1983 veröffentlichte der Chansonnier Renaud eine stärker umgangssprachliche Argot-Fassung von Boris Vians Antikriegslied Le Déserteur. Im Unterschied zum Original ist seine Version um einiges direkter – sowohl inhaltlich als auch sprachlich.

English Version

Der Deserteur

Werter Herr Präsident,
ich schicke Dir heute mal diesen Schrieb.
Wenn Du Eier in der Hose hast,
wirst Du ihn lesen.

Gerade habe ich von meinen Alten läuten hören,
dass die Miliz bei mir zu Hause aufgetaucht ist.
Ich wage kaum, mir vorzustellen,
was mein Anarcho-Papa denen gezwitschert hat.

Denn weißt Du, die Bullen, die Pfaffen
und erst recht die schießwütigen Soldaten –
die kann er wirklich nicht riechen.
Wenn er einen davon in die Pfanne hauen kann,
lässt er sich nicht lange bitten.

Es heißt, dass Deine Leute nach mir suchen,
dass mein Land mich braucht.
Also, das ist jetzt wirklich blöd!

Ich bin gerade auf dem Land,
bei tollem Wetter,
mit ein paar Kumpeln,
Öko-Typen, die echt gut drauf sind
und mit denen ich so eine alte Kaschemme
wieder flott mache.

Wir züchten Ziegen,
basteln ein paar Klunker für den Markt,
ohne uns kaputtzuschaffen, weißt Du,
wir sind nicht gerade Arbeitstiere.

Aber wir bauen uns doch was an,
so ein ganz bestimmtes Kraut,
das die Sinne schärft,
mehr sage ich nicht, nur so viel:
Schnaps ist es nicht!

Werter Herr Präsident,
ich bin ein Deserteur, ein Fahnenflüchtiger
aus deiner Armee mit den schicken Troddeln
und deiner Truppe von Trotteln.

Meine Haut bekommt ihr nicht,
meine Haare fallen nicht für euch!
Ich werde nicht salutieren
vor der Fahne und nicht marschieren
wie die Lämmer vor dem Schlachthof.

Ich gehe nicht für euch in fremde Länder,
ich lasse mich nicht zum Schwachkopf machen
in einer schwachköpfigen Kaserne!

Steck Dir Deine Befehle an den Hut,
die gehen mir ebenso auf den Wecker
wie das frühe Weckergebimmel.

Und schon gar nicht mag ich es,
es mir selbst besorgen zu müssen,
solange ich auch echte Liebe haben kann.

Was ich aber mehr als alles andere hasse,
das ist der Krieg.

Und wem verdanken wir dieses Mörderspiel?
Deinem schwachköpfigen Militär!
Und ich habe Dir ja schon gesagt:
Ich selbst habe keinen Bock,
mich unter die Schwachköpfe einzureihen.

Ich werde mich nicht zum Deppen machen lassen
und mit meinem Gewehr aus Uropas Zeiten
auf den Atompilz am Himmel zielen,
wenn irgendein Verrückter auf den Knopf drückt.

Nein danke, da bleibe ich lieber
auf meinem Kartoffelacker,
meinem ganz privaten Schutzwall.

Also lass am besten die Finger von mir
und meinen Kumpeln!
Ich werde niemals Soldat werden,
ich kann diesen Gleichtakt der Stiefel nicht leiden.

Stör dich einfach nicht daran!
Von mir aus kannst du ruhig weiter
Deine Atomkraftwerke bauen
und Deine verdammten U-Boote,
aber lass uns bitte aus dem Spiel!

Und bilde Dir bloß nicht ein,
dass irgendwelche fiesen Finsterlinge
mir meine Meinung eingeflüstert haben.

Ich bin ganz einfach nur
ein leidenschaftlicher Anhänger
der Partei der Vögel,
der Wale, der Kinder,
der Erde und des Wassers!

Um diesen Schrieb zu beenden,
werter Herr Präsident,
wollte ich Dir noch sagen,
dass es bei uns heute Abend Nudeln gibt.

Es ist mächtig was los bei uns,
und wenn Du Bock hast,
schau doch einfach mal bei uns vorbei!

Wir könnten zusammen mampfen,
uns einen Joint reinziehen
und über Gott und die Welt quatschen.
Na, wie wäre das?

Renaud (Séchan): Déserteur

aus: Morgane de toi (Vernarrt in dich; 1993)

Live in Paris (1990):

Albumfassung:

Über Renaud

Renaud Séchan (Künstlername schlicht „Renaud“) wurde 1952 in Paris als eines von acht Kindern – darunter ein Zwillingsbruder – geboren, die sein Vater, Olivier Séchan, mit zwei Frauen gezeugt hat. Letzterer war als Professor für Deutsch und Niederländisch sowie als Übersetzer tätig. Er schrieb außerdem Kriminalromane und Kinderbücher.

Renauds Mutter entstammte einer Familie von Bergarbeitern aus Nordfrankreich. Sie war vor ihrer Ehe als Fabrikarbeiterin in Saint-Étinne in Südostfrankreich tätig.

Die Biographien der Eltern spiegeln sich auch in Renauds Werdegang wider. So sind seine Chansons von einer ausgeprägten Lust am Spiel mit der Sprache – insbesondere dem umgangssprachlichen Argot – geprägt.

Außerdem zeigt sich Renaud sowohl in seinen Texten als auch außerhalb der Bühne als sozial engagierter Chansonnier. Als bekennender „chanteur énervant“ (Sänger, der anderen auf die Nerven geht) setzt er sich in seinen Liedern immer wieder für soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz und den Frieden ein.

Die deutlichste Nähe zur Biographie seiner Mutter ergibt sich durch Renauds Mitarbeit an der Verfilmung von Émile Zolas Roman Germinal durch Claude Berri aus dem Jahr 1993. Der Chansonnier spielte darin die Rolle des Étinne Lantier, des Anführers eines Streiks von Bergarbeitern.

Seine größten Erfolge hat Renaud, der in den 1990er Jahren auch als Kollumnist für die satirische Wochenzeitschrift Charlie Hebdo tätig war, aber fraglos mit seinen Chansons erzielt. Von seinen mittlerweile 26 Alben sind an die 20 Millionen Exemplare verkauft worden. So ist Renaud heute einer der populärsten Chansonniers Frankreichs.

Weiterer Beitrag zu Renaud:

Aufbruch ins Ungewisse. Zu dem Chanson Dès que le vent soufflera (Sobald der Wind sich erhebt). In: Musikalischer Adventskalender julianischer Art, S. 59 – 62.


English Version

Zero Appetite for War

Renaud’s Argot Version of Boris Vian’s Chanson Le Déserteur

In 1983, the chansonnier Renaud published an argot (slang) version of Boris Vian’s anti-war song Le Déserteur. In contrast to the original, his version is much more direct – both in terms of content and in terms of language.

The Deserter

Dear Mr. President
I am sending you this note today.
If you have balls in your pants,
you’ll read it.

I just heard from my folks
that some officers showed up at their place.
I hardly dare imagine
what my anarcho dad told them.

Because, you know, the cops, the priests.
and even more so the trigger-happy soldiers –
these guys he really can’t stand.
If he can bullshit them,
he won’t hesitate to do so.

They say that your guys are looking for me,
that my country needs me.
Well, that really doesn’t suit me at all!

I’m in the countryside right now,
the weather’s great,
some mates are with me,
eco-guys, all in a really good mood,
I’m fixing up an old farmhouse with them.

We’re gonna raise goats,
make a few knickknacks for the market,
without wearing ourselves out, you know,
we’re not exactly workaholics.

Anyway, we’re gonna grow something,
a certain kind of herb
that really sharpens the senses,
I won’t say any more, just this:
It’s not booze!

Dear Mr. President,
I’m a deserter, a naysayer
to your army with the fancy pompons
and your troop of nincompoops.

You won’t get my skin,
my hair will not fall for you!
I will not salute
before the flag and I will not march
like lambs into the slaughterhouse.

I will not go to foreign lands for you,
I will not let you make me an imbecile
in your half-witted barracks!

Bark your orders wherever you want –
but not to me! They get on my nerves
just as your much too early morning roll call.
And I certainly don’t like
having to jerk off
as long as I can have real love.

What I hate more than anything else, however,
is war.

And to whom do we owe this murder game?
To your half-witted military!
And I already told you:
I am not in the mood
to become one of those half-wits.

I won’t let you make a fool of me.
and shoot with a rifle from my great-grandfather’s days
at the mushroom cloud in the sky
if some maniac presses the button.

No thanks, I’d rather stay
in my potato field,
my own private redoubt.

So you’d better keep your hands off me
and my buddies!
I’ll never be a soldier,
I just can’t stand this uniform stuff.

Just don’t bother with it!
For all I care, you can go on
building your nuclear power plants
and your goddamn submarines,
but leave us out of it!

And please don’t get the idea
that some sinister bastards
whispered my opinion to me.

I am quite simply
an ardent supporter
of the party of the birds,
of the whales, of the children,
the earth and the water!

To conclude this note,
dear Mr. President,
I just wanted to tell you
that we’re having noodles tonight.

There’s a lot going on here,
and if you feel like it,
why don’t you just drop by?

We could munch together,
have a joint
and talk about all sorts of things.
Well, how would that be?

Renaud (Séchan): Déserteur

Album: Morgane de toi (Infatuated with you; 1983)

Live in Paris (1990)

Album version

About Renaud

Renaud Séchan (stage name simply „Renaud“) was born in Paris in 1952 as one of eight children – including a twin brother – begotten by his father, Olivier Séchan, with two women. The latter worked as a professor of German and Dutch and as a translator. He also wrote crime novels and children’s books.

Renaud’s mother came from a family of miners from northern France. She worked in a factory in Saint-Étinne in south-eastern France before her marriage.

The biographies of his parents are also reflected in Renaud’s career. His chansons are characterised by a pronounced pleasure in playing with language – especially with the colloquial argot.

Furthermore, Renaud is a socially committed chansonnier, both in his lyrics and off stage. As a self-confessed „chanteur énervant“ (a singer who deliberately irritates his audience), he repeatedly campaigns in his songs for social justice, environmental protection and peace.

The closest link to his mother’s biography can be seen in Renaud’s involvement in Claude Berri’s 1993 film adaptation of Émile Zola’s novel Germinal. In it, the chansonnier played the role of Étinne Lantier, the leader of a miners‘ strike.

However, Renaud, who also worked as a columnist for the satirical weekly Charlie Hebdo in the 1990s, has undoubtedly achieved his greatest successes with his chansons. To date, almost 20 million copies of his 26 albums have been sold. Thus, Renaud is one of the most popular chansonniers in France today.

Bilder / Images: Paul Kiujcom: Renaud beim Festival Le Printemps de Bourges / Renaud at the Festival Le Printemps de Bourges, 1978 (Wikimedia commons); US-Verteidigungsministerium: Foto einer Demonstrantin, die einem Militärpolizisten eine Blume hinhält/ Photograph of a Female Demonstrator Offering a Flower to a Military Police Office; Oktober 1967 (Wikimedia commons)

Eine Antwort auf „Null Bock auf Krieg / Zero Appetite for War

  1. Manfred Sauer

    Danke!- Toller Text und interessanter Beitrag. Es wäre schön, wenn Putin tausender solcher Briefe bekommen würde … Leider ist Desertation im akuten Kriegsfall viel schwieriger … Schöne Feiertage und weiterhin viel Blog-Erfolg wünscht Manfred

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