Aus dem Textzyklus Gesichter des Todes / From the Text Cycle Faces of Death
Neue literarische Reise auf LiteraturPlanet / New Literary Journey on LiteraturPlanet
Heute brechen wir, wie bereits angekündigt, auf LiteraturPlanet zu einer neuen literarischen Reise auf. Ilona Lays dichterischer Textzyklus Gesichter des Todes entführt uns in das Reich des Todes.
Die neue literarische Reise auf LiteraturPlanet basiert, wie bereits angekündigt, auf Ilona Lays dichterischem Textzyklus Gesichter des Todes. Passend zum Nebelmonat November reisen wir also in das Reich des Todes.
Der erste Teilzyklus kreist um den Tod der Anderen: um die Frage, wie wir den Tod von außen wahrnehmen und wie der Tod uns nahestehender Menschen unser Welterleben verändert.
Wie alle anderen Texte des Zyklus kleidet auch der erste Text die vom Tod geprägte Wahrnehmung in eine bestimmte Gestalt. Diese fasst das veränderte Welterleben in allegorischer Weise zusammen.
Der Tod ist eine verschleierte Frau
Der Tod ist eine verschleierte Frau.
Hinter ihrem Schleier siehst du die Welt so,
wie sie immer war –
und doch weißt du:
Der Planet, auf dem diese Welt erblüht,
ist kein Teil des Universums,
in dem du dich befindest.
Ihre Farben mögen noch immer
als leuchtende Kaskaden vor dir aufblitzen –
doch sie verblassen,
sobald sie auf deine Augen treffen.
Ihre Winde mögen noch immer
geheimnisvoll tuscheln mit den scheuen Pappeln –
doch sie verstummen,
sobald sie auf deine Ohren treffen.
Ihre Blüten mögen noch immer
ihren verheißungsvollen Atem in die Nacht verströmen –
doch sie verlieren ihren Geruch,
sobald sie auf deine Nase treffen.
Auch wenn du all deine Kraft zusammennimmst:
Die Nebelmauern, die dich umschließen,
kannst du niemals niederreißen.
Doch selbst wenn dir das gelänge:
Es würde dir nicht helfen.
Denn die Welt, die du suchst,
diese unverwechselbare Welt,
die nur einem einzigen Menschen gehört hat,
ist nur noch eine leere Hülle,
das morsche Äußere eines Seins,
das sich gehäutet hat.
Deine Welt ist untergegangen
mit dem Blick, der sie erschaffen hat.
English Version
Ilona Lay: Death is a Veiled Woman
From the Text Cycle Faces of Death
Today, as already announced, we set off on a new literary journey on LiteraturPlanet. Ilona Lay’s poetic text cycle Faces of Death takes us into the realm of death.
The new literary journey on LiteraturPlanet is based, as already announced, on Ilona Lay’s poetic text cycle Faces of Death. In keeping with the foggy month of November, we are thus travelling into the realm of death.
The first sub-cycle revolves around the death of others: around the question of how we perceive death from the outside and how the death of people close to us changes the way we experience the world. Like all the other texts of the cycle, the first text also characterises the perception shaped by death through a certain figure. This summarises the changed experience of the world in an allegorical way.
Death is a Veiled Woman
Death is a veiled woman.
Behind her veil you see the world
as it has always been –
and yet you know:
The planet on which this world blossoms
is not a part of the universe
in which you find yourself.
Its colours may still sparkle before you
as luminous cascades –
but they fade
as soon as they meet your eyes.
Its winds may still whisper mysteriously
with the timid poplars –
but they fall silent
as soon as they meet your ears.
Their blossoms may still exude
their promising breath into the night –
but they lose their scent
as soon as they meet your nose.
Even if you muster all your strength:
The foggy walls that enclose you
still remain untouchable for you.
And even if you could break through them,
it would be of no use to you.
For the world you are searching for,
this unmistakable world
that belonged to one person alone,
is now nothing but an empty shell,
the rotten exterior
of a being that has shed its skin.
Your world has vanished
with the gaze that created it.
Bilder / Images: Antonio Corradini (1688 – 1752): Verschleierte Frau (Allegorie der Reinheit); Venedig, Museo del Settecento, Palazzo Ca‘ Rezzonico; Fotograf: Didier Descouens (Wikimedia commons) / Veiled woman (allegory of purity); Venice, Museo del Settecento, Palazzo Ca‘ Rezzonico; photographer: Didier Descouens (Wikimedia Commons); Luis Salvador Carmona (1708 – 1767): Der Glaube (1752/53); Madrid, Königliche Akademie der Schönen Künste von San Fernando; Fotograf: Luis García (Wikimedia commons) / Luis Salvador Carmona (1708 – 1767): the Faith (1752/53); Madrid, Royal Academy of Fine Arts of San Fernando; photographer: Luis García (Wikimedia Commons)
Renate Schmitt
Das ist ein sehr interessantes Gedicht. Es gibt dieses „Unwirkliche“ des Todes sehr gut wieder. Überhaupt Worte dafür zu finden … finde ich beeindruckend!
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