Neue Texte zur Ukrainischen Apokalypse / New Texts on the Ukrainian Apocalypse
Die Terrorherrschaft in den besetzten Gebieten hat der russischen Gewalt in der Ukraine eine neue Qualität verliehen. Die Texte der Ukrainischen Apokalypse von Zacharias Mbizo sind deshalb um neue literarische Miniaturen ergänzt worden.
Die Texte der Ukrainischen Apokalypse sind zu Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine entstanden, als spontaner literarischer Entsetzensschrei angesichts der Brutalität des Überfalls.
Damals bestand noch die Hoffnung, dass die vielfältigen Entsetzensschreie, die überall auf der Welt ertönten, zu einem raschen Ende der Aggression führen könnten. Dass sie den Soldaten einen Spiegel vorhalten würden. Dass sie die Reste von Scham und Gewissen in ihnen – wie verkümmert sie auch sein mochten – irgendwie zum Leben erwecken könnten.
Diese Hoffnung hat sich, wie wir alle wissen, nicht erfüllt. Stattdessen wird immer deutlicher, dass die Gewalt sich nur durch Gegengewalt eindämmen lässt. Eben dies hat die ukrainische Armee in jüngerer Zeit auch erfolgreich praktiziert.
Dies ändert aber nichts an dem Terrorregime in den nach wie vor von Russland besetzten Gebieten. Dort hat sich die Gewalt nicht abgeschwächt, sondern ist lediglich in eine neue Phase übergegangen.
Diese Phase ist gekennzeichnet durch eine Bürokratisierung des Terrors, bei der die Aggressionen mit der blinden Konsequenz eines stalinistischen Fünfjahresplans abgearbeitet werden. Die Systematisierung der Gewalt verleiht dieser in den Augen der Täter einen Anschein von Ordnung und Disziplin – während die Gewalt gleichzeitig für die Opfer in die Permanenz einer Strafkolonie übergeht.
Eine solche Entwicklung war zu Beginn des Krieges so nicht vorhersehbar. Insbesondere das Terrorregime, das sich in den besetzten Gebieten entfaltet, sprengt den Vorstellungsraum der dystopischsten Fiktionen.
So ist in Zacharias Mbizos Ukrainischer Apokalypse zu dem ersten, spontanen Entsetzensschrei ein weiterer literarischer Ausdruck des Entsetzens hinzugetreten. Dieser bezieht sich nun auf die Verstetigung des Terrors und auf die Folgen, die dies insbesondere für die Menschen in den besetzten Gebieten mit sich bringt.
Die fünf neuen literarischen Miniaturen zum Themenkomplex „Besatzung“ erscheinen ab kommender Woche immer mittwochs auf LiteraturPlanet. Zum (Wieder-)Einstieg in die Thematik folgen hier noch einmal die Zehn Gebote im Krieg der Einleitungstext des Buches:
Die Zehn Gebote im Krieg
- Ich bin dein Herr, der Kriegsgott. Jeden meiner Befehle sollst du bedingungslos ausführen.
- Du sollst töten, brandschatzen und morden. Je wahlloser und kompromissloser du tötest, desto gottgefälliger ist dein Handeln.
- Du sollst dein Vaterland und Mutter Heimat in Ehren halten. Dies kannst du tun, indem du dein Vaterland erweiterst und Mutter Heimat Menschenopfer darbringst.
- Du sollst dir keine Mußestunden gönnen. Jeder Tag, an dem du deinem Gott, dem Herrn des Krieges, dienst, ist ein Feiertag für dich.
- Du sollst so viele Lügen wie möglich über deinen Nachbarn verbreiten. Je düsterer sein Bild, desto größer die Bereitschaft, ihn zu vernichten.
- Du sollst das Hab und Gut deines Nachbarn an dich nehmen. Er verdient keinerlei Besitz.
- Du sollst stehlen, was dein Herz begehrt. Jedes Beutestück ist ein Juwel auf dem Altar deines Herrn.
- Du sollst Mutter, Tochter und Großmutter deines Nachbarn vergewaltigen. Versenke den Samen deines Herrn in ihnen, auf dass sie für immer das Brandmal seiner Herrschaft in sich tragen.
- Du sollst keine Ehrfurcht empfinden – auch nicht vor mir, deinem Herrn. Fluche ruhig auf deinen Gott, wenn dir danach ist – dein Zorn wird dich zu einem umso schlagkräftigeren Diener machen.
- Du sollst das Bildnis deines Herrn immer in deinem Herzen tragen. Willst du dir ein Bild von mir machen, so schau in den Spiegel: Die Grimasse des Hasses, die dich von dort anbleckt – das bin ich!


Zu den Buchausgaben / To the books
English Version
The Perpetuation of Terror
New Texts on the Ukrainian Apocalypse

The reign of terror in the occupied territories has added a new quality to Russian violence in Ukraine. The texts of the Ukrainian Apocalypse by Zacharias Mbizo have therefore been supplemented by new literary miniatures.
The texts of the Ukrainian Apocalypse were written at the beginning of the Russian attack on Ukraine, as a spontaneous literary cry of horror in the face of the extreme brutality of the assault.
At that time, there was still hope that the manifold cries of horror resounding all over the world could lead to a swift end to the aggression. That they would hold a mirror up to the soldiers. That they could somehow bring the remnants of shame and conscience in them – however atrophied they might be – back to life.
This hope, as we all know, has not been fulfilled. Instead, it is becoming increasingly clear that the aggression can only be contained through counter-aggression. This is precisely what the Ukrainian army has been practising successfully in recent times.
However, this does not change anything about the terror regime in the areas still occupied by Russia. There, the violence has not abated, but has merely entered a new phase.
This phase is characterised by a bureaucratisation of terror, in which aggression is carried out with the blind consequence of a Stalinist five-year plan. The systematisation of violence gives it a semblance of order and discipline in the eyes of the perpetrators – while at the same time, for the victims, the violence turns into the permanence of a penal colony.
This development was not foreseeable at the beginning of the war. In particular, the regime of terror that unfolds in the occupied territories goes beyond the imagination of even the most dystopian fictions.
Thus, in Zacharias Mbizo’s Ukrainian Apocalypse, the first, spontaneous cry of horror has been supplemented by another literary expression of horror, referring to the perpetuation of terror and the consequences it brings, especially for the people in the occupied territories.
The five new literary miniatures on the theme of „occupation“ will appear every Wednesday on LiteraturPlanet from next week. For a (re-)entry into the topic, let us once again look at the Ten Commandments in War, the introductory text of the book:
The Ten Commandments in War
- I am your Lord, the God of War. You shall carry out my every command unconditionally.
- You shall kill, slaughter and murder. The more indiscriminate and uncompromising your killing, the more worshipful your deeds.
- You shall honour your Fatherland and Mother Homeland. You can do this by expanding your Fatherland and offering human sacrifices to Mother Homeland.
- You shall not allow yourself hours of leisure. Every day on which you serve your Lord, the God of War, is a holiday for you.
- You shall spread as many lies as possible about your neighbour. The darker his image, the greater the willingness to destroy him.
- You shall seize your neighbour’s goods and chattels. He does not deserve any property.
- You shall steal whatever your heart desires. Every piece of plunder is a jewel on the altar of your Lord.
- You shall rape your neighbour’s mother, daughter and grandmother. Sow the seed of your Lord in them, so that they may bear the brand of his rule in them forever.
- You shall not feel any reverence – not even for me, your Lord. Curse your God whenever you feel like it – your fury will make you all the more impactful a servant.
- You shall always bear the image of your Lord in your heart. If you want to form an image of me, look in the mirror: the grimace of hatred that glares at you from there – that is me!
Bilder / Images: Edgar Bundy (1862 – 1922): Der Tod, als General auf einem Schlachtfeld reitend (1911) / Death as general on a horse; Wikimedia commons; Käthe Kollwitz: Plakat „Die Überlebenden“ / The survivors , 1922