Ein 17-jähriges Mädchen, das auf einen Rollstuhl angewiesen ist, reist vom Internat nach Hause. Im Zug unterhält sie sich mit einer älteren Dame und hofft, dass ihr Vater sie abholen wird.
Textauszug
Während die letzten Fahrgäste aus dem Zug an ihr vorbeigingen, blickte sie angestrengt in Richtung des Ausgangs, wo sie jeden Augenblick ihren Vater zu sehen erwartete. Sie hatte sich fest vorgenommen, nicht nervös zu werden, falls er etwas später kommen sollte. Schließlich war das schon häufiger vorgekommen. Aber die große Bahnhofsuhr, die über ihr unerbittlich die Sekunden herunterzählte, machte es ihr schwer, sich an ihren Vorsatz zu halten.
Ob sie vielleicht vor dem falschen Wartehäuschen saß? Sie fuhr den Bahnsteig der Länge nach ab, musste aber feststellen, dass es hier kein weiteres Wartehäuschen gab. Zu allem Überfluss war auch noch der Akku ihres Handys leer, so dass sie nicht nachfragen konnte, ob ihrem Vater etwas dazwischengekommen war.
Der nächste Zug aus ihrer Richtung kam an und fuhr wieder ab – aber von ihrem Vater war noch immer nichts zu sehen. Stattdessen erschienen die beiden Damen von der Bahnhofsmission noch einmal auf dem Bahnsteig. Dieses Mal holten sie einen alten Herrn im Rollstuhl ab, der sogleich von seiner Tochter in Empfang genommen wurde.
Sie hatte sich währenddessen auf die andere Seite des Bahnsteigs begeben, um nicht gesehen zu werden. Ein Gefühl von Scham und Bloßstellung hatte sich in ihr ausgebreitet. Es war, als säße sie nackt in ihrem Rollstuhl. Sie wusste selbst, dass sie dem Gefühl nicht hätte nachgeben dürfen, aber es war stärker als sie.
Erzählung als PDF
English Version
Travel Fever
A 17-year-old girl in a wheelchair travels home from boarding school. On the train, she talks to an elderly lady and hopes that her father will pick her up at the station.
Excerpt from the text
While the last passengers from the train passed her, she looked strained towards the exit, from where she expected her father to come. She had firmly promised herself not to get nervous if he should arrive a little late. After all, that had already happened several times. But the big station clock that was relentlessly counting down the seconds above her made it difficult for her to stick to her resolution.
Was she perhaps sitting in front of the wrong waiting shelter? She drove down the platform, but there was no other waiting shelter. To make matters worse, her mobile phone battery was dead, so she couldn’t check if something had interfered with her father.
The next train from her direction arrived and departed again – but there was still no sign of her father. Instead, the two ladies from the railway mission appeared on the platform once again. This time they picked up an old man in a wheelchair, who was immediately welcomed by his daughter.
She had moved to the other side of the platform in the meantime so as not to be seen. A sense of shame and exposure had spread through her. It felt as if she was sitting naked in her wheelchair. She knew herself that she should not have given in to the feeling, but it was stronger than her.
Story as PDF
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