Björk: Jólakötturinn

Ein Lied über ein Weihnachtsraubtier

Die 1965 in Reykjavik geborene Björk Guðmundsdóttir hat ihr erstes Album bereits mit 12 Jahren aufgenommen. Nach musikalischen Ausflügen in die Punk- und Gothic-Szene war sie Ende der 1980er Jahre eine der Mitbegründerinnen der Band The Sugarcubes, mit der ihr der internationale Durchbruch gelang. Parallel experimentierte sie mit Jazz-Musik und wandte sich in der Folge immer stärker den musikalischen Traditionen ihrer isländisch-nordischen Heimat zu. Diese adaptierte sie teilweise für ihre eigenen Musikprojekte, bemühte sich daneben aber auch, sie möglichst unverfälscht darzustellen. Höhepunkt dieser Versuche war 2004 das Album Medúlla („Mark“), das durch minimalistische Instrumentierung das Wesen der – lange Zeit allein von menschlichen Stimmen getragenen – isländischen Musik veranschaulichen wollte.
Das Lied von der „Jólakötturinn“, Björks Beitrag zu einem 1987 erschienenen Album mit isländischen Weihnachtsliedern, beruht auf einer isländischen Sage. Diese handelt von einer Raubkatze, die in der Weihnachtszeit um die Häuser schleicht und jene Menschen – insbesondere Kinder – anfällt, die keine neuen Kleider bekommen haben. Deshalb bemühen sich die Frauen, jedem wenigstens eine neue Socke zu nähen.
Das Lied kann folglich zunächst allgemein auf die verzweifelte Lage bezogen werden, die sozialer Ausschluss gerade in der kalten Jahreszeit mit sich bringt. Insbesondere ist dabei wohl an die Situation von Obdachlosen zu denken.
Angesichts der Tatsache, dass das Raubtier auch durch einen symbolischen Akt – das Geschenk eines einzelnen Strumpfes, der de facto gar keinen Schutz vor der Kälte bietet – in Schach gehalten werden kann, könnte man die „Unbehaustheit“ hier aber auch in einem existenziellen Sinn deuten. Sie ergäbe sich dann aus dem völligen Verlust sozialer Bindungen, aus dem Zerreißen des letzten dünnen Bandes, das einen noch mit der Gemeinschaft verknüpft. Das winterliche Raubtier wäre aus dieser Perspektive kein Bild für konkrete Kälte und materielle Not, sondern eine Metapher für einen Zustand totaler Isolation, die einen von innen heraus „auffrisst“.
In die Weihnachtssprache übersetzt: Manchmal ist emotionale Zuwendung auch ein größeres Geschenk als das materielle Präsent.
So oder so: Der Schluss des Liedes gibt auf jeden Fall ein schönes Motto für die Weihnachtstage ab:

„Vielleicht denkst du daran,
zu helfen, wo es nötig ist.
Denn irgendwo könnte es Kinder geben,
die überhaupt nichts bekommen.

Und womöglich beschert dir die Sorge für die,
die nicht im Glanz der Lichter stehen,
eine glückliche Winterzeit
und ein frohes Fest.“

Björk (Guðmundsdóttir): Jólakötturinn

Text: Jóhannes úr Kötlum; Musik: Ingibjörg Porbergs
aus: Hvít Er Borg Og Bær (Sampler mit isländischen Weihnachtsliedern; 1987)

Liedtext und Song

Englische Fassung

 
Übersetzung aus dem Englischen:
 

Du kennst die Weihnachtskatze –
es ist eine sehr große Katze.
Wir wissen nicht, woher sie gekommen ist
und auch nicht, wohin sie gegangen ist.

Weit öffnete sie ihre Augen,
die beide glühten.
Es war keine Sache für Feiglinge,
sie anzusehen.

Ihr Fell war stachlig wie Nadeln,
ihr Rücken hoch und bucklig,
und die Krallen an ihren haarigen Pfoten
waren kein schöner Anblick.

Deshalb überboten sich die Frauen darin,
[den Flachs] zu schütteln und zu säen und zu spinnen
und strickten bunte Kleider
oder eine kleine Socke.

Damit die Katze nicht kommen
und die kleinen Kinder holen konnte,
mussten sie neue Kleider erhalten
von den Erwachsenen.

Wenn der Weihnachtsabend in hellem Licht erstrahlte
und die Katze zum Fenster hereinsah,
standen die Kinder aufrecht da mit roten Wangen
und ihren Geschenken.

Sie wedelte mit ihrem mächtigen Schwanz,
sie sprang, kratzte und schnaufte,
und das geschah entweder im Tal
oder draußen auf der Landzunge.

Sie lief herum, hungrig und heimtückisch,
im schmerzhaft kalten Weihnachtsschnee
und entfachte Angst in den Herzen
in jeder Stadt.

Wenn man draußen ein schwaches „Miau“ hörte,
wussten alle, dass ein Unglück geschehen würde.
Denn allen war klar, dass sie Menschen jagte
und keine Mäuse wollte.

Sie folgte den ärmeren Leuten,
die keine neuen Kleider bekamen
an Weihnachten – und sich durchschlugen
unter ärmlichsten Bedingungen.

Denen raubte sie nicht nur
ihr ganzes Weihnachtsessen,
sondern verschlang auch sie selbst,
wenn sie konnte.

Deshalb überboten sich die Frauen darin,
[den Flachs] zu schütteln und zu säen und zu spinnen
und strickten bunte Kleider
oder eine kleine Socke.

Manche bekamen eine Schürze,
andere einen neuen Schuh,
oder irgendetwas anderes, das sie brauchten,
aber das reichte aus.

Denn die Katze konnte niemanden fressen,
der ein neues Kleidungsstück bekommen hatte.
Dann fauchte sie mit ihrer hässlichen Stimme
und rannte weg.

Ob es sie noch gibt, weiß ich nicht,
aber ihr Raubzug wäre vergebens,
wenn jeder an Weihnachten
auch nur einen Fetzen neuer Kleidung bekäme.

Vielleicht denkst du daran,
zu helfen, wo es nötig ist.
Denn irgendwo könnte es Kinder geben,
die überhaupt nichts bekommen.

Und womöglich beschert dir die Sorge für die,
die nicht im Glanz der Lichter stehen,
eine glückliche Winterzeit
und ein frohes Fest.

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Bild: Wawawoo: Babies (Pixabay)

Eine Antwort auf „Björk: Jólakötturinn

  1. Jakob Elias

    Ein sehr lustiges Bild! – Diese fröhlichen Wonneproppen bekommt die Katze nicht runter 😉 Björk ist einfach toll. Vielen, Dank, Herr Baron, für dieses Weihnachtsgeschenk!- Bin gespannt auf die kommenden Türchen!

    Gefällt 1 Person

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