Das Werk des französischen Dichters Robert de Souza (1864 – 1946) ist zu Unrecht in Vergessenheit geraten. Dies zeigt beispielhaft sein Gedicht Le sommeil des cygnes (Der Schlaf der Schwäne). Es ist erkennbar symbolistisch inspiriert, weist jedoch einen ganz eigenen meditativen Ton auf.
Der Schlaf der Schwäne
Weiße Kähne mit eingerolltem Segel,
so schlafen im Schilf die Schwäne,
geschaukelt vom Wiegenlied des Windes
in der perlmutternen Bucht.
Mit schweigsamen Blicken
leuchten weiße, halb geschloss'ne Blumensterne
aus dem Himmelssee, in dem die Schwäne ruhen,
wie Neugebor'ne eingehüllt in ihren weißen Flaum.
Mit ihrem matten Schimmer
umglänzen sie die kindliche Genügsamkeit
und dringen durch die Rosennetze,
die der Abendnebel ausgeworfen hat.
Und sie wachen über ihre Unschuld.
Ein winterlicher Frieden legt sich um die Dinge,
die unnahbar scheinen wie ein schneereines Herz,
dessen Berührung dich im Innersten erzittern lässt.
Bläulich schwindet die Hast des Tages
in der rosanen Blässe der Wellenschrift,
in den Linien, die sich überschneiden und vereinen
zu einem Kreis um den silbernen Schlaf der Schwäne.
Um den reinen Schimmer ihrer Träume
legt sich die dichte Nebeldecke der Nacht.
Doch – noch reiner als sie – verdrängt sie lächelnd
mit ihren zarten Fingern die Mondmutter,
die makellose, die leuchtend wacht
über die Ruhe der weißen Wiegen.

Robert de Souza gehört heute zu den vergessenen Dichtern des Fin de Siècle. Selbst seine Lebensdaten sind nur lückenhaft bekannt. Das Wenige, das wir von ihm wissen, ergibt folgendes Bild:
Der Dichter wurde 1864 in Paris geboren. Dort arbeitete sein Vater – dessen Familie ursprünglich aus der Auvergne stammte, aber bereits im 17. Jahrhundert nach Portugal ausgewandert war – als Attaché an der portugiesischen Gesandtschaft. 1891 heiratete de Souza Jeanne Issaverdens, deren armenischstämmige Familie nach der Geburt der Tochter von Konstantinopel nach Marseille übergesiedelt war.
Mit seiner Frau zog de Souza nach Nizza, wo er sich seit der Jahrhundertwende intensiv mit Stadtentwicklungsfragen beschäftigte. In einer ausführlichen, 1913 erschienenen Studie (Nice, capitale d’hiver – Nizza, Hauptstadt des Winters) hat er sich kritisch mit der Entwicklung Nizzas seit 1860 auseinandergesetzt. Dieser Teil seiner geistigen Arbeit ist derjenige, der bis heute am meisten rezipiert und gewürdigt wird.
Mitte der 1930er Jahre ist de Souza wieder nach Paris zurückgezogen. In seinen letzten Lebensjahren hat er sich schwerpunktmäßig mit philologischen und sprachwissenschaftlichen Fragestellungen beschäftigt (u.a. mit der Troubadourlyrik). Der Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Paris zwang de Souza 1940 zur Flucht nach Brive-La-Gaillarde, wo er sich zusammen mit seinem Sohn und einem Freundeskreis in der Résistance engagiert hat. Zwei Jahre nach seiner Frau, mit der er sein Leben lang zusammengelebt hat, ist er 1946 gestorben.
De Souzas symbolistisch geprägte Dichtung ist überwiegend in den 1890er Jahren entstanden. Eine Gesamtausgabe seiner „poésies et poèmes“ (Untertitel) veröffentlichte er 1923 unter dem Titel Modulations. Formal folgt die Dichtung de Souzas seinem Ideal des „vers libre“, dem freirhythmischen (dabei allerdings nicht unbedingt reimlosen) Vers.
Dieses Ideal hat er, ebenfalls in den 1890er Jahren, auch in ausführlichen Studien theoretisch untermauert. Daneben betätigte er sich als Herausgeber eines Almanach des poètes und veröffentlichte diverse literaturkritische Aufsätze.
Dies alles zeugt davon, dass de Souza zu seiner Zeit eine herausgehobene Stellung in der Literaturszene einnahm. Umso unverständlicher ist es, dass sein Werk heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist.
Weitere Informationen zur Biographie de Souzas: Cervera, Suzanne: Nice, capital d’hiver: Robert de Souza, poète, érudit et urbaniste précurseur. Recherches Régionales 2012, n° 201, S. 66 – 77.
Ausführliches Essay zu de Souza mit weiteren Nachdichtungen: Robert de Souzas Gedichtzyklus Du trouble au calme. Nachdichtung und Analyse; rotherbaron.com, 27. März, 2019
Robert de Souza: Le sommeil des cygnes. In: Modulations. Poésies et poèmes. Édition définitive [Gesamtausgabe der Gedichte], S. 150 f. Paris 1923: Crès.
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