Nichts Neues im neuen Jahr

Das Gedicht Nowy rok (Neujahr) des polnischen Lyrikers Jan Rybowicz

Jan Rybowicz gehörte in Polen lange zu den verkannten Dichtern. Dass sein literarischer Rang heute allgemein anerkannt ist, ist nicht zuletzt den Vertonungen seiner Gedichte durch Krzysztof Myszkowski und seine Band Stare Dobre Małżeństwo zu verdanken.

Neujahr

Was ist schon neu an diesem neuen Jahr?
Ist dieses Jahr der Januar
etwa anders als im letzten Jahr?
Krächzen lieblicher die Krähen?
Ist weißer der Schnee,
freundlicher Väterchen Frost,
weniger fahl der Mond?

Nein, die Sterne hängen fest
an ihrem angestammten Platz.
Es gibt nichts Neues im neuen Jahr,
nichts Neues im neuen Jahr.

Gefangen sind wir seit Jahrhunderten
im immer gleichen alten Jahr.
So viel wir auch seit Anbeginn der Zeiten
das Alte zu verjüngen suchen –
das neue ist doch stets das alte Jahr.

Und dieses neue alte Jahr
altert mit uns Jahr für Jahr,
bis es dereinst mit uns untergeht.

Es gibt nichts Neues im neuen Jahr,
nichts Neues im neuen Jahr.

Jan Rybowicz: Nowy rok

Vertonung von Krzysztof Myszkowski / Stare Dobre Małżeństwo (aus dem Album Mówi mądrość / Worte der Weisheit; 2013):

Über Jan Rybowicz

Jan Rybowicz wurde 1949 in der südpolnischen Stadt Koźle (heute Kędzierzyn-Koźle) geboren. 1963 zog die Familie in das 230 Kilometer weiter östlich gelegene Dorf Lisia Góra bei Tarnów um, weil seine Eltern, ein Bauernpaar, dort einen Bauernhof geerbt hatten.

Rybowicz arbeitete zunächst als Maurergehilfe und Lagerist, ehe er 1971 doch noch sein Abitur ablegte. Sein Studium in Krakau brach er jedoch nach wenigen Monaten ab. Auch sein Versuch, sich an der Schauspielschule einzuschreiben, scheiterte. So nahm er seine früheren handwerklichen Tätigkeiten wieder auf, schrieb nebenher jedoch auch Gedichte.

Ab 1976 begann er Gedichte und Erzählungen in Zeitschriften zu veröffentlichen. 1980 erschien ein erster Band mit Kurzgeschichten von ihm (Samokontrola i inne opowiadania – Selbstbeherrschung und andere Geschichten). Darauf folgten noch drei weitere Bände mit Prosatexten und drei Gedichtbände.

Dünnhäutiger Einzelgänger mit wachem Blick

Der Titel seines ersten Erzählbandes zeugt von einer gewissen Selbstironie – denn die Selbstbeherrschung war nicht gerade die herausragende Eigenschaft von Rybowicz. In dem Alkoholausschank, den seine Eltern unter der Hand auf ihrem Hof betrieben, war er selbst der beste Kunde. Die meiste Zeit verbrachte er in der Dorfkneipe, wo er oft allein für sich trank und in die Gerüchteküche des Ortes eintauchte.

Das Problem dabei war: Rybowicz hörte den Leuten nicht nur beim Reden zu. Er verwandelte ihre Reden auch in Geschichten, in denen meist ziemlich genau zu erkennen war, woher er seine Anregungen genommen hatte. Damit machte er sich in seinem Dorf natürlich nicht gerade beliebt und verfestigte so seinen Status als Einzelgänger.

Hierzu trug auch bei, dass Rybowicz als Alkoholiker im Umgang mit anderen nicht eben zimperlich war. Bei Kritik ging er schnell zum Gegenangriff über, und die Außenseiterstellung, die er auch im Literaturbetrieb innehatte, kompensierte er mit einer ostentativen Geringschätzung anderer. Gleichzeitig zelebrierte er seine Außenseiterrolle, indem er auf seinem Dorf einen eigenen Schriftstellerverband gründete – dem außer ihm nur zwei seiner engsten Weggefährten beitraten.

Die Texte von Rybowicz waren nicht explizit regimekritischer Natur, widersprachen in ihrer oft melancholischen Grundierung und ihrem allgemeinen Skeptizismus jedoch dem Fortschrittsoptimismus des realsozialistischen Regimes. Auch machte der Dichter keinen Hehl aus seiner Verachtung für die Regierenden. Sein Lausbubenstreich, Briefumschläge mit dem Schriftzug „Kommunisten zum Psychiater“ zu versehen, brachte ihm sogar eine Haftstrafe ein.

Nachruhm dank engagierter Gedichtvertonungen

Im Oktober 1990 erlag Rybowicz 41-jährig seiner Alkoholsucht. Ob er sich absichtlich zu Tode getrunken hat, an hochprozentigem „Samogon“ (selbstgebranntem Wodka) gestorben ist oder ob schlicht seine Leber am Ende war, ist bis heute umstritten.

Józef Baran charakterisiert den Dichter-Freund als „eine Art amerikanischen Schriftsteller“ – einen Literaten, der das Schreiben „nicht gelernt“ hat, „sondern zum Schreiben geboren“ war.

Dass der literarische Rang von Jan Rybowicz heute allgemein anerkannt ist, ist auch ein Verdienst von Krzysztof Myszkowski und seiner Band Stare Dobre Małżeństwo: Jedes Jahr pilgern die Bandmitglieder am Geburtstag des Dichters an dessen einstigen Wohnort, stoßen auf ihn an und geben im nahe gelegenen Śmigno ein Konzert zu seinen Ehren, auf dem sie seine von ihnen vertonten Gedichte zu neuem Leben erwecken. Die 2005 von Myszkowski zusammen mit Ryszard Żarowski und Andrzej Stagraczyński gegründete Gruz Brothers Band widmete sich sogar ausschließlich der Vertonung von Werken Jan Rybowiczs.

Zitat und Informationen zu Jan Rybowicz entnommen aus:

Subik, Piotr: Samotnik z Lisiej Góry (Der Einzelgänger aus Lisia Góra); Dziennikpolski24.pl, 22. Oktober 2010

Podcast zu Jan Rybowicz

Bilder: Kalhh: Besorgtes Mädchen (Pixabay); Jan Rybowicz (Screenshot aus einem YouTube-Video von Ryszard Loba zu einem Album der Band  Stare Dobre Małżeństwo  mit Vertonungen von Gedichten des Autors; hier zu dem Gedicht Zaduszki Artystyczne)

2 Antworten auf „Nichts Neues im neuen Jahr

  1. Avatar von Punky

    Punky

    Danke für die Nachdichtung und den informativen Text. Kein sehr optimistisches Gedicht, aber leider empfinde ich das auch so. Gerade jetzt, wo die Zeiten echt düster sind.

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  2. Pingback: Die Schuld der Sehenden – LiteraturPlanet

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