Cesare Paveses tödlicher Flirt mit dem Tod / Cesare Pavese’s Fatal Flirt with Death
Der Gedanke an den Tod hat den italienischen Schriftsteller Cesare Pavese (1908 – 1950) ein Leben lang begleitet. Dies spiegelt sich auch in seiner Dichtung wider.
Podcast:
Der Tod wird deine Augen haben
Mit deinen eig’nen Augen wird der Tod
dir gegenübertreten, dieser taube Tod,
der niemals schläft, der uns begleitet
Tag für Tag wie unser lächerlichstes Laster
und unsere räudigste Reue.
Ein hohles Wort nur werden deine Augen sein,
ein stummer Schrei, ein nachtgetränktes Schweigen,
ein dunkles Funkeln, das schon heute schwelt
in deinen Augenhöhlen, wenn du im Spiegel
dein zerfließendes Gesicht betastest.
Ach, geliebte Hoffnung, an jenem dunklen Tag
wird es Gewissheit werden: dass du das Leben
und das Nichts verwebst in Einem Faden.
Alle blickt der Tod auf and’re Weise an,
mit deinen eig’nen Augen wird er dir begegnen.
Und es wird sein,
als würdest du ein Laster von dir werfen,
als würdest du im Spiegel
ein totes Wesen auferstehen sehen,
als würde mit geschloss’nen Lippen
ein Fremder mit dir reden.
Stumm wirst du steigen
in den stummen Strudel.
Cesare Pavese: Verrà la morte e avrà i tuoi occhi (1950) aus dem gleichnamigen, 1951 posthum erschienenen Gedichtband
Freitod mit Ansage
Am 26. August 1950 mietete Cesare Pavese im Turiner Hotel Roma ein Zimmer, wo er sich, kurz vor seinem 42. Geburtstag, mit einer Überdosis Schlafmittel das Leben nahm. In seinem Nachlass fand man zehn im März und April desselben Jahres entstandene Gedichte, darunter auch die oben wiedergegebenen Verse.
Ohne Kenntnis von Paveses Schicksal ließe sich das Gedicht wohl allgemein auf die Todesverfallenheit eines jeden Menschen beziehen, auf die Tatsache, dass der Tod sich schon bei der Geburt im Herzen eines jeden einnnistet. Liest man das Gedicht jedoch – vor dem Hintergrund von Paveses Freitod – als Selbstgespräch, so verweisen die Verse darauf, dass der Dichter schon lange zuvor mit dem Gedanken gespielt hat, sich das Leben zu nehmen.
In der Tat war der Tod für Pavese sein Leben lang wie ein Spiegelbild, ein dunkler Schatten, den er bei jedem Blick in den Spiegel wahrnahm. Auch die Charakterisierung des Todes als „vizio assurdo“, als „absurdes Laster“, passt gut zu den wiederkehrenden Flirts des Autors mit dem Tod.
Kein Glück in der Liebe
Dafür, dass Pavese den Gedanken an den Selbstmord als natürlichen „Protest gegen das Leben“ [1] ansah, gab es viele Gründe. Der Tod hat schon sehr früh sein Leben überschattet: Drei seiner vier Geschwister sind früh verstorben, der als Gerichtsschreiber in Turin tätige Vater erlag bereits 1914 einem Gehirntumor – da war Pavese gerade fünfeinhalb Jahre alt.
Ein weiterer Grund für Paveses tiefe Melancholie sind die zahlreichen unglücklichen Liebesaffären, die sein Leben wie eine ständig neu aufbrechende Wunde durchziehen. Eines dieser gescheiterten Liebesabenteuer datiert aus dem Jahr 1950, dem Jahr seines Todes.
Die amerikanische Schauspielerin Constance Dowling, in die Pavese sich verliebt hatte, begann damals eine Affäre mit einem anderen Schauspieler. Wie sehr Pavese sich davon getroffen fühlte, zeigt die Tatsache, dass er Dowling die zu seinen Lebzeiten unveröffentlichte Gedichtsammlung mit den oben wiedergegebenen Versen widmete – was auch seinen späteren Freitod unmittelbar mit dem Schmerz über die gescheiterte Liebesbeziehung in Verbindung bringt.
Schuldgefühle wegen mangelnder Beteiligung an der Resistenza
Hinzu kam, dass Pavese sich sein zögerliches Verhalten im Widerstandskampf gegen den Faschismus vorwarf. Während er auf dem Land das Kriegsende abgewartet hatte, hatten viele ehemalige Weggefährten im Kampf gegen die deutsche Besatzung und für die Befreiung vom Faschismus ihr Leben verloren.
Der Titel seiner 1948 erschienenen Erzählsammlung (Prima che il gallo canti – Bevor der Hahn kräht) kann sogar als eine Art öffentliche Selbstanklage verstanden werden. Durch den impliziten Verweis auf Judas deutet der Titel der autobiographisch grundierten Prosa das eigene Verhalten als Verrat.
Vor diesem Hintergrund sind auch Paveses Eintritt in die Kommunistische Partei und seine Mitarbeit bei der kommunistischen Tageszeitung L’Unità zu verstehen. Für Pavese war dies eine Art tätige Reue – der Versuch, sich wenigstens entschlossen am Aufbau der Strukturen für eine humanere Welt zu beteiligen, wenn er sich schon an dem Kampf gegen die Zerstörung der inhumanen Strukturen nicht an vorderster Front beteiligt hatte.
Auch in der kommunistischen Partei blieb er jedoch ein Fremder, da sein Denken für den Geschmack seiner neuen Genossen zu wenig an den Dogmen der Partei orientiert war. Verbittert notierte Pavese daher am 15. Februar 1950 in seinem Tagebuch:
„Pavese ist kein guter Genosse … Überall spricht man von Intrigen. (…) So sehen sie also aus, die Reden derer, die dir am meisten am Herzen liegen.“ [2]
Ein unausweichlicher Freitod?
Der Schatten der Schicksalsschläge aus der frühen Kindheit, die Liebe als eine einzige Chronologie des Scheiterns, die Trauer um die im Widerstandskampf gegen den Faschismus gefallenen Freunde, die Schuldgefühle des Überlebenden, das Gefühl, nirgends richtig dazuzugehören, menschliche Niedertracht – wer nach Gründen für Cesare Paveses Freitod sucht, wird mehr als genug davon finden.
Aber war sein Freitod wirklich unausweichlich?
Neben dem toten Dichter fand man eine Ausgabe seiner 1947 erschienenen Dialoghi con Leucò (Gespräche mit Leuko), in denen Pavese sich den ewigen Menschheitsfragen im Medium antiker Mythen nähert. In dem Buch befand sich ein Zettel, auf dem der Dichter ein Zitat aus den Dialoghi notiert hatte:
„Der sterbliche Mensch (…) hat nur durch die Erinnerung, die er in sich trägt, und die Erinnerung, die er hinterlässt, an der Unsterblichkeit teil.“ [3]
Ein weiterer Satz war seinem Tagebuch entnommen:
„Ich habe gearbeitet, ich habe den Menschen Gedichte gegeben, ich habe den Kummer von vielen geteilt.“ [4]
Das Gift der Depression
Solche Sätze spiegeln nicht die Verzweiflung eines Menschen wider, der für sich keinen anderen Ausweg mehr sieht als den Tod. Wer möchte, dass man sich an ihn und seine Werke erinnert, der sucht nach einer Brücke ins Leben, nach einer dauerhaften Verbindung mit anderen, nach einem festen Platz in der Welt.
Diese Brücke ins Leben war zu eben dem Zeitpunkt, als Pavese sich das Leben nahm, gerade im Entstehen. Seine Karriere als Schriftsteller hatte damals gerade Fahrt aufgenommen. Unter dem faschistischen Regime hatte er wie andere nicht regimetreue Intellektuelle unter den eingeschränkten Wirk- und Veröffentlichungsmöglichkeiten gelitten. Er musste sich mit Englischunterricht über Wasser halten und konnte nur dank der Unterstützung seines Freundes Giulio Einaudi, der ihn in seinem neu gegründeten Verlag als Übersetzer beschäftigte, eine feste Anstellung erhalten.
Nach dem Zusammenbruch der faschistischen Herrschaft und dem Ende des Krieges hatte er indessen mehrere Werke veröffentlicht und zwei bedeutende Literaturpreise erhalten – einen davon, den Premio Strega, erst kurz vor seinem Tod.
So möchte man dem Dichter noch nachträglich zurufen: „Hättest du doch nur ein wenig mehr Geduld gehabt mit deinem Leben! Nur noch kurze Zeit, und du wärest ein anerkannter Autor gewesen, jemand, der über die Grenzen seines Landes hinweg bekannt ist und wertgeschätzt wird!“
Leider wären unsere Worte aber wohl auch damals wirkungslos geblieben. Denn es ist ja gerade ein Kennzeichen der manifesten Depression, dass sie ihre Opfer mit dem Gift einer eigenen Logik betäubt – einer Logik, welche die Betreffenden umhüllt wie ein dichter Nebel, den kein rationales Argument durchdringen kann.
Nachweise
[1] Pavese, Cesare: Il mestiere di vivere (Das Handwerk des Lebens; Tagebuch, 1952 posthum veröffentlicht), S. 384. Turin 2000: Einaudi.
[2] Ebd., S. 389.
[3] Vgl. Malagrinò Mustica, Anita: Ho cercato me stesso. Riflessioni sull’ultimo Cesare Pavese; classicult.it, 5. April 2020.
[4] Zit. nach ebd.

English Version
Death as a Protest against Life
Cesare Pavese’s Fatal Flirt with Death
Reflections on death accompanied the Italian writer Cesare Pavese (1908 – 1950) throughout his life. This is also evident in his poetry.
Death Will Have Your Eyes
With your own eyes
death will face you, this deaf death
that never sleeps, that accompanies us
day after day like a ridiculous vice
and our most ancient remorse.
Your eyes will be but a hollow word,
a voiceless cry, a night-soaked silence,
a dark sparkle that even now
smoulders in your eyes as you stroke
your melting face in the mirror.
Ah, beloved hope, on that dark day
it will become certainty: that you weave life
and nothingness in a single thread.
Death looks at everyone in a different way,
with your own eyes it will face you.
And it will be
as if you were casting off a vice,
as if you were watching in the mirror
a dead creature resurrecting,
as if, with closed lips,
a stranger were talking to you.
Silently you will step
into the silent maelstrom.
Cesare Pavese: Verrà la morte e avrà i tuoi occhi (1950) from the book of poems of the same name, published posthumously in 1951.
Foreseeable Suicide
On 26 August 1950, Cesare Pavese rented a room in Turin’s Hotel Roma, where, shortly before his 42nd birthday, he took his own life with an overdose of sleeping pills. Ten poems written in March and April of the same year were found in his estate, including the verses reproduced above.
Without knowledge of Pavese’s fate, the poem could probably be generally related to the fact that death already takes root in the heart of every human being at birth. However, if we read the poem – against the background of Pavese’s suicide – as a soliloquy, the verses point to the poet’s lifelong inclination to take his own life.
Indeed, for Pavese, death was like a mirror image throughout his life, a dark shadow he perceived every time he looked in the mirror. The characterisation of death as a „vizio assurdo“, an „absurd vice“, also fits well with the author’s recurring flirtations with death.
No Luck in Love
There were many reasons why Pavese saw the idea of suicide as a natural „protest against life“ [1]. Death overshadowed his life right from his birth: Three of his four siblings died at an early age, his father, who worked as a court clerk in Turin, succumbed to a brain tumour as early as 1914, when Pavese was just five and a half years old.
Another reason for Pavese’s deep melancholy are the numerous unhappy love affairs that shaped his life like a constantly reopening wound. One of these failed love affairs dates from 1950, the year of his death.
In this year, the American actress Constance Dowling, with whom Pavese had fallen in love, began an affair with another actor. The extent to which Pavese felt affected by this is shown by the fact that he dedicated the collection of poems with the verses reproduced above, unpublished during his lifetime, to Dowling – which directly links his later suicide to the grief over the failed love affair.
Feelings of Guilt for Lack of Participation in the Resistenza
In addition, Pavese reproached himself for his hesitant behaviour in the resistance struggle against fascism. While he had waited for the end of the war in the countryside, many former companions had lost their lives in the fight against the German occupation and for liberation from fascism.
Prima che il gallo canti (Before the Rooster Crows), the title of his collection of stories published in 1948, can even be understood as a kind of public self-accusation. Through the implicit reference to Judas, the title of the autobiographically shaped prose interprets his own behaviour as betrayal.
It is against this background that Pavese’s entry into the Communist Party and his collaboration with the communist daily newspaper L’Unità are to be understood. For Pavese, this was a kind of active repentance – an attempt to at least participate actively in building the structures for a more humane world, after failing to be at the forefront of the struggle against the destruction of the inhuman structures.
However, he remained a stranger in the Communist Party as well, since for the taste of his new comrades, his thinking was too little aligned with the party’s dogmas. Bitterly, Pavese therefore noted in his diary on 15 February 1950:
„Pavese is not a good comrade … There is talk of intrigues everywhere. (…) So this is what they look like, the speeches of those you care most about.“ [2]
An Inevitable Suicide?
The shadow of the strokes of fate from early childhood, love as a single chronology of failure, the grief for friends killed in the resistance struggle against fascism, the survivor’s feelings of guilt, the feeling of not really belonging anywhere, human baseness – anyone looking for reasons for Cesare Pavese’s suicide will find more than enough of them.
But was his suicide really inevitable?
Beside the dead poet was found a copy of his Dialoghi con Leucò (Dialogues with Leucò), published in 1947, in which Pavese approaches the eternal questions of humanity by means of ancient myths. Inside the book was a slip of paper on which the poet had noted a quotation from the Dialoghi:
„Mortal man (…) participates in immortality only through the memory he carries within him and the memory he leaves behind.“ [3]
Another sentence was taken from his diary:
„I have worked, I have given poetry to people, I have shared the sorrow of many.“ [4]
The Poison of Depression
Such sentences do not reflect the despair of a person who sees no other way out for himself than death. If you want yourself and your works to be remembered, you are looking for a bridge to life, for a lasting connection with others, for a permanent place in the world.
This bridge to life was emerging at the very time Pavese took his own life. His career as a writer had just taken off. Under the fascist regime, like other intellectuals who were not loyal to the regime, he had suffered from the limited opportunities to work and publish. He had to eke out a living by teaching English and was only able to get a permanent job thanks to the support of his friend Giulio Einaudi, who employed him as a translator in his newly founded publishing house.
After the collapse of fascist rule and the end of the war, Pavese had published several works and received two important literary prizes – one of them, the Premio Strega, shortly before his death.
Thus, one would like to call out to the poet retrospectively: „If only you had been a little more patient with your life! Only a short time more and you would have been a renowned author, someone who is known and appreciated beyond the borders of his country!“
Unfortunately, however, our words would probably have remained useless even then. For it is precisely a characteristic of pathological depression that it numbs its victims with the poison of its own logic – a logic that envelops the person concerned like a dense fog which no rational argument can penetrate.
References
[1] Pavese, Cesare: Il mestiere di vivere (The Craft of Life; Diary, published posthumously in 1952), p. 384. Turin 2000: Einaudi.
[2] Ibid., p. 389.
[3] Cf. Malagrinò Mustica, Anita: Ho cercato me stesso. Riflessioni sull’ultimo Cesare Pavese; classicult.it, April 5, 2020.
[4] Quoted from ibid.
Bilder / Images: Charles Allan Gilbert (1873 – 1929): Alles ist eitel / All is vanity (Wikimedia commons); Cesare Pavese (Wikimedia commons)