Ilona Lays Gedicht Tristans Traum / Ilona Lay’s Poem Tristan’s Dream
Ilona Lays Gedicht Tristans Traum spielt auf den uralten Menschheitstraum von einem Reich der Liebe an, das stärker ist als der Tod und zugleich ein Gegengewicht bildet zur vom Hass regierten Welt.
Tristans Traum
Mir war, ich folgte des Abends Pfad,
vorbei an laublosen Bäumen
und an erblassten Feldern,
wie lautlos hörend das Lied der Amsel, die Saat
des frühen Erträumens und späten Versäumens,
vorüber an leeren Wäldern,
weiter und weiter über der Dämm’rung Grat.
Mein Fuß, erkaltet, spürte den Boden nicht;
aber mein Herz, in Flammen
pochend, die nie zuvor es umwunden,
wies meinen Schritten ein fernes Licht,
das halb, als würd‘ es der Nacht entstammen,
halb, als hätt‘ es ein Gott erfunden,
hob aus den Hügeln sein blasses Gesicht.
In seiner Mitte aber erblühtest du,
du, auf des Mondes Flügeln gleitend
im ruhigen Fluge über den warmen
Teppich aus Flüssen und Feldern und Fluren.
Ein Blatt, im Abendwind reitend,
barg da mein Herz sich in deinen Armen,
für immer entwunden dem Schlag der Uhren.
Weithin umschwieg uns die Nacht.
Doch da, wie zu reglosem Tanze,
wir in die Arme einander sanken,
war es, als streckten sich Wurzeln sacht
vom einen zum andern, dass wir wie Eine Pflanze
begannen dem All entgegenzuranken
und zu verlassen der Erde Schacht.
Und als wir den Himmel berührten, entsprang
leuchtend aus uns einer Blüte Flamme,
die, der Göttin der Dämm’rung geweiht, immer
bewahrte des Hoffens traumdurchwirkten Gesang
nun vor des Tages Thron und löste des Abends klamme
Hand von des Herzens Haus, mit ihrem Schimmer
tröstend es öffnend für kosmischen Klang.
Musik von RelaxingSounds: Healing Time (Pixabay)
Bilder: Rogelio de Egusquiza (1845 – 1915): Tristán e Isolda (La vida, 1912); Museo de Bellas Artes de Bilbao (Wikimedia commons); Étienne Pierre Théodore Rousseau (1810 – 1867): Herbstabend; New York, Arnot Art Museum (Wikimedia commons); Heinrich Vogeler (1872 – 1942): Die Amsel (1899); Wikimedia commons; Dorothe (Darkmoon_Art): Nebliger Wald (Pixabay); Frederic Edwin Church (1826 – 1900): Abenddämmerung in der Wildnis (1860); Cleveland Museum of Art (Wikimedia commons); Frederic Edwin Church: Dämmerung (1850); Newark Museum of Art (Wikimedia commons); Frederic Edwin Church (1826 – 1900): Dämmerung am Mount Desert Island, Maine (1865); Saint Louis, Missouri, Mildred Lane Kemper Art Museum (Wikimedia commons); Alexander Helwig Wyant (1836 – 1892): Moonlight and Frost (um 1890); New York, Brooklyn Museum (Wikimedia commons);Homer Watson (1855 – 1936): Moonlight on the Grand (Wikimedia commons);Dorothe (Darkmoon_Art): Mond vor einem Balkon (Pixabay);Witold Pruszkowski (1846 – 1896): Mondlandschaft (1870); Bytom (Beuthen), Oberschlesisches Museum (Wikimedia commons);Jpquidores: Ahornblätter im Herbst (Wikimedia commons); Gustaw Gwozdecki (1880 – 1935): Vollmond (1908); Bytom (Beuthen), Oberschlesisches Museum (Wikimedia commons); Knud Baade (1808 – 1879): Wolken im Mondlicht (1843); Oslo, Nationales Kunstmuseum (Wikimedia commons);Briam Cute: Löwenzahnfee (Pixabay);Akuadewe: Akuadewe: Silhouette einer Pflanze bei Mondschein (Pixabay);Free Fun Art: Nächtlicher Wald (Pixabay);ESA/Hi-GAL Consortium: Sternengeburt in der Milchstraße; Mai 2010 (Wikimedia commons);Johannes Plenio: Milchstraße über dem Ozean (Pixabay);StockSnap: Hügelige Landschaft (Pixabay);Gerd Altmann: Sternenhimmel (Pixabay);Gerd Altmann: Universum (Pixabay)
Der Traum von der Verewigung der Liebe
Ewige Liebe oder, genauer: die Verewigung der Liebe – das ist ein uralter Menschheitstraum.
Der Traum beruht auf der Empfindung, dass Gott, wenn er schon dem einzelnen Leben keine endlose Dauer gewährt, doch wenigstens dem, was aus der innigen Verflechtung zweier Existenzen entsteht, Ewigkeit bescheren könnte.
Schließlich ist die Liebe doch mehr als die bloße körperliche Vereinigung zweier Menschen. Ist sie im Kern nicht eher etwas Immaterielles, das eben deshalb den für die Materie geltenden Verfallsprozessen entzogen sein müsste?
Verewigung der Liebe im Mythos: Philemon und Baucis
In zahllosen Mythen und Märchen wird der Traum von der Verewigung der Liebe aufgegriffen. Besonders anrührend ist die Geschichte von Philemon und Baucis, von der Ovid in seinen Metamorphosen erzählt.
Bei den beiden handelt es sich um ein altes Ehepaar, dem die Götter aufgrund der Gastfreundschaft der Eheleute den Wunsch erfüllen, gleichzeitig zu sterben, also nicht den Tod des anderen erleben zu müssen. Nach ihrem Tod verwandeln beide sich in eine Linde und Eiche und können so, sich in den Wurzeln und dem Astwerk miteinander verzweigend, ihre Liebe über ihren Tod hinaus bewahren.
Ewige Liebe am Sternenhimmel: eine chinesische Sage
Auch die Bilder, die Menschen zu allen Zeiten in die Sterne hineingesehen haben, erzählen oft von der Hoffnung auf einen besonderen Schutz der Liebe durch die Götter. So symbolisieren etwa in der chinesischen Astrologie die Sterne Vega und Altair einen Hirtenjungen und eine Weberstochter, deren Beziehung von ihren Eltern dadurch unterbunden wird, dass beide an verschiedenen Ufern eines unüberquerbaren Flusses angesiedelt werden.
Am Himmel entspricht dem der Altair und Vega trennende „silberne Fluss“ der Milchstraße. Einmal im Jahr nähern sich die beiden Sterne jedoch aneinander an, so dass die Liebenden über die zur Sternenbrücke mutierte Milchstraße zueinanderkommen können. Dies entspricht der von Elstern gebildeten Brücke, die den Liebenden in der Sage ein alljährliches Treffen ermöglicht. Sowohl in China als auch in Japan und Korea ist dem ein spezielles Fest gewidmet.
Heilung des Todes durch die Liebe: Isis und Osiris
In anderen Mythen wird sogar von einer Heilung der Todeswunde durch die Kraft der Liebe geträumt. Am bekanntesten ist dabei wohl der altägyptische Mythos von Isis und Osiris.
Der Mythos erzählt, wie die Glieder von Osiris, des Gatten von Isis, nach dessen Ermordung durch seinen Bruder über das Land verstreut werden. Isis sammelt die Glieder daraufhin wieder ein und setzt sie neu zusammen. So kann sie wenigstens noch einmal mit dem Geliebten zusammen sein und ein Kind mit ihm zeugen. Osiris wird danach zum Herrn der Unterwelt, Isis zur Göttin der Geburt und der Magie, bei der Übernahme des Kultes im griechisch-römischen Kulturkreis auch gleichfalls zur Göttin der Unterwelt.
Der Tod als Zufluchtsort der Liebenden
Zuweilen suchen die Liebenden aber auch bewusst den Tod, um in einer paradoxen Flucht aus dem Leben ihre Liebe zu retten. Durch gesellschaftliche Konventionen daran gehindert, ihre Liebe zu verwirklichen, entsagen sie dem Leben, um wenigstens im Tode vereint sein zu können.
In Japan gibt es für diese Form des gemeinsamen Freitods zweier Liebender sogar ein eigenes Wort (Shinjū). Es bezeichnet die unaufhebbare Verwurzelung eines Menschen im Herzen eines anderen Menschen und zugleich die Bereitschaft, diese innige Verbindung notfalls durch den gemeinsamen Tod zu schützen.
Der tragische Liebestod: Tristan und Isolde, Romeo und Julia
In anderen Fällen ist der Liebestod nicht Ergebnis einer bewussten Entscheidung, sondern das Resultat unglücklicher Umstände, die der Verwirklichung der Liebe im Wege stehen. Dabei sind die scheinbar zufälligen Weichenstellungen, die den Tod der Liebenden bewirken, aber oft nur Spiegelbilder der unüberwindbaren gesellschaftlichen Schranken, durch die ihrer Liebe die Erfüllung versagt bleibt.
Dies ist sowohl bei Tristan und Isolde als auch bei Romeo und Julia der Fall. Hier wie dort erscheint der Tod als logische Konsequenz sozialer Normen, die der Liebe die Flügel stutzen. So ist der Liebestod zwar in beiden Fällen tragisch, also die unvermeidliche Folge eines unlösbaren Konflikts. Andererseits steht er jedoch, auf der symbolischen Ebene, auch für die absolute Freiheit der Liebe, die sich notfalls eben auf die andere Seite des Lebens rettet, wenn ihr im Diesseits die Erfüllung versagt bleibt.
Die Gegenwelt der Liebe
Alle Geschichten von der Verewigung der Liebe verweisen letztlich auf die Utopie eines Reichs der Liebe, in dem durch die unbedingte Hingabe an einen anderen Menschen das Reich des Todes überwunden wird. Dies lässt sich zum einen ganz konkret auf die Utopie einer Welt vollkommener Harmonie beziehen, einer Welt, in der die seit der Vertreibung aus dem Paradies schwelende Wunde der Entzweiung geheilt ist.
Zum anderen verweist die Vorstellung von einem Reich der Liebe – im übertragenen Sinn – aber auch auf die Vision einer Gegenwelt, in der eben jene Mechanismen außer Kraft gesetzt sind, an denen die Liebenden in der tatsächlichen Welt scheitern: Habgier und Hass, Eifersucht und Machtgier, alle verbunden in dem Anspruch Einzelner oder der ganzen Gesellschaft, die Selbstbestimmung des Menschen zu beschneiden und ihn stattdessen fremden Zwecken zu unterwerfen.

English Version
The Utopia of a Realm of Love
Ilona Lay’s Poem Tristan’s Dream
Ilona Lay’s poem Tristan’s Dream alludes to mankind’s age-old dream of a realm of love that is stronger than death and at the same time forms a counterweight to the world ruled by hatred.
Tristan’s Dream
The evening led me along a secret path,
past leafless trees and the withered fields,
past empty woods and the fading song
of the blackbird, the fruit
of early dreaming and late renunciation,
on and on across the twilight’s ridge.
My foot, frozen, did not feel the ground.
But my heart, throbbing with flames
that never before had entwined it,
guided my steps to a distant light
that, emerging from the midst of the night,
raised its pale face from the hills.
In its very heart I saw you blossom,
you, gliding on the wings of the moon
in peaceful flight over the smooth
carpet of rivers and fields and meadows.
My heart, a leaf, riding in the evening wind,
floated into your arms,
forever escaping the beat of the clocks.
The night, a robe of sparkling velvet,
nestled around us.
But when, as if in motionless dance,
we sank into each other’s arms,
it was as if roots gently stretched out
from one to the other, so that we,
growing together to One plant,
slipped away from the cave of the earth
and meandered towards the universe.
And when we touched the sky,
a bright flower flame sprang from us,
which, dedicated to the god of twilight,
protected the fragile dream birds of the night
forever from the hatchet of the day
and loosed the evening’s clammy hand
from the shivering shell of the soul,
comforting it with its gleam and opening it up
to the whisper of the cosmos.
The Dream of Perpetuating Love
Eternal love or, more precisely: the perpetuation of love – this is an age-old dream of humanity.
The dream is based on the feeling that God, even if he does not grant endless duration to individual life, could at least bestow eternity on that which arises from the intertwining of two existences.
After all, love is more than the mere physical union of two people. Isn’t it in essence something immaterial that should therefore be exempt from the process of decay that applies to matter?
Perpetuation of Love in Myth: Philemon and Baucis
The dream of the perpetuation of love is taken up in countless myths and fairy tales. Among these, the story of Philemon and Baucis told by Ovid in his Metamorphoses is particularly touching.
The tale is about an old couple who, because of their hospitality, are granted the wish by the gods to die at the same time, i.e. not to have to experience the death of the other. After passing away, they transform into a lime tree and an oak tree and, branching out with each other in the roots and twigs, can preserve their love beyond the grave.
Eternal Love in the Starry Sky: A Chinese Saga
The images that people at all times have seen in the stars also often tell of the hope for a special protection of love by the gods. In Chinese astrology, for example, the stars Vega and Altair symbolise a shepherd boy and a weaver’s daughter who are placed on different banks of an uncrossable river by their parents to prevent their relationship.
In the sky, this corresponds to the „silver river“ of the Milky Way that separates Altair and Vega. Once a year, however, the two stars approach each other so that the lovers can come together by crossing the Milky Way, turning it into a bridge of stars. This corresponds to the bridge formed by magpies that allows the lovers in the saga to meet once a year. In China as well as in Japan and Korea, a special festival is dedicated to this event.
Healing Death through Love: Isis and Osiris
Other myths even evoke the dream of healing the wound of death through the power of love. The best known of these is probably the ancient Egyptian myth of Isis and Osiris.
The story tells how the limbs of Osiris, the husband of Isis, are scattered across the land after he has been killed by his brother. Thereupon Isis gathers up the limbs and reassembles them. In this way she can at least be with her beloved one more time and beget a child with him. After that, Osiris becomes the lord of the underworld, Isis the goddess of birth and magic. When the cult was adopted by the Greco-Roman culture, Isis likewise became the goddess of the underworld.
Death as a Refuge for Lovers
Sometimes, however, lovers deliberately seek death in order to save their love in a paradoxical escape from life. Prevented by social conventions from fulfilling their love, they renounce life so as to be at least united in death.
In Japan, there is even a special word for this form of joint suicide of two lovers (Shinjū). It describes the irrevocable rootedness of a person in the heart of another person and at the same time the willingness to protect this close connection through joint death if necessary.
The Tragic Death of Lovers: Tristan and Isolde, Romeo and Juliet
In other cases, the death of lovers is not the result of a conscious decision, but the result of unfortunate circumstances that stand in the way of the fulfilment of love. In this case, however, the seemingly accidental incidents that cause the death of the lovers are often only reflections of the insurmountable social barriers that prevent their love from being fulfilled.
This applies to the love story of Tristan and Isolde as well as to that of Romeo and Juliet. In both cases, death appears as the logical consequence of social norms that clip the wings of love. Thus, the death of the lovers is indeed tragic here, i.e. the inevitable consequence of an unsolvable conflict. On the other hand, on the symbolic level, it also stands for the absolute freedom of love, which, if necessary, saves itself by escaping to the other side of life if it is denied fulfilment in this world.
The Counterworld of Love
All stories of the perpetuation of love ultimately refer to the utopia of a realm of love in which the realm of death is overcome through unconditional devotion to another human being. On the one hand, this can refer quite concretely to the utopia of a world of perfect harmony, a world in which the wound of divisiveness, smouldering since the expulsion from paradise, is healed.
On the other hand, the idea of a realm of love also refers – in a figurative sense – to the vision of a counterworld in which precisely those mechanisms are suspended that cause lovers to fail in the real world: greed and hatred, jealousy and lust for power, all rooted in the claim of individuals or of society as a whole to undermine the self-determination of human beings and to subjugate them to external ends instead.
Bilder / Images: Rogelio de Egusquiza (1845 – 1915): Tristán e Isolda (La vida; 1912); Museo de Arte Moderno y Contemporáneo de Santander y Cantabria (Wikimedia Commons); Rogelio de Egusquiza (1845 – 1915): Tristán e Isolda (La muerte, 1910); Museo de Bellas Artes de Bilbao (Wikimedia commons)
Elias
Ein wunderschönes Gedicht, eindrucksvoll gelesen (von wem?). Ich finde auch den Begleittext sehr schön und informativ. Danke!
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