Privataudienz bei George / Private audience with George

Tagebuch eines Schattenlosen/2: Der Blackout/2 / Diary of a Shadowless Man/2: The Blackout/2

Bei einem Gespräch mit George wird Theo eingeladen, an einer Mission der Dunkelmänner teilzunehmen. Dabei erfährt er auch erste Einzelheiten der geplanten Aktion.

During a conversation with George, Theo is invited to take part in a mission of the Disciples of Darkness. On this occasion, he also gets to know some details of the planned action.

Montag, 2. Oktober

Meine Privataudienz bei George gestern Abend war noch etwas skurriler, als ich erwartet hatte. Unsere Schattenkönigin hat sich mal wieder selbst übertroffen!

Sonnenfinsternis im Bunker

Als ich ihre Kammer betrat, musste ich feststellen, dass George nicht allein war. Hervé, der blonde Beau, saß neben ihr auf der Sessellehne und ließ seine Finger durch ihre Haare gleiten. Gedankenverloren blickte er zu mir auf, dann widmete er sich wieder seinem traumtänzerischen Fingerspiel.
Euphorisiert durch die Extra-Portion Zärtlichkeit, begrüßte George mich noch enthusiastischer als sonst. „Ah, da ist ja der tolle Theo! Willkommen in der Höhle der Löwin!“ Auf das Sofa weisend, fügte sie hinzu: „Schau, heute hast du sogar das ganze Raubtierbett für dich allein!“
Ich ließ mich auf das Sofa fallen, das mich wie mit duftenden Wattearmen umfing. Erwartungsvoll sah ich George an.
„Nun, mein lieber Theo“, begann sie, unterbrach sich dann aber gleich wieder und wandte sich an ihren liebestollen Trabanten. „Ach, Hervé-Schätzchen, sei doch so gut und mix uns einen von deinen Cocktails“, bat sie. „Am besten den, der so schön Feuer in der Mundhöhle legt. Das wird unser Gespräch ganz anders anheizen!“
„Gern, Georgie,“ hauchte Hervé, sich vom Sessel erhebend. Es klang sehr nach: Wie du befiehlst, Gebieterin.
Während er in das angrenzende Schlafkabinett entschwand, fiel mein Blick auf seinen Hintern, den er in ein geradezu obszön enges Paar Shorts gezwängt hatte. Was für ein Lustknabe, dachte ich.
Gut, ein bisschen bin ich vielleicht auch eifersüchtig auf diesen besonderen Günstling Georges. Andererseits hatte ich auch schon eine innere Distanz zu ihm empfunden, bevor ich von Georges Vorliebe für ihn erfuhr. Der gute Hervé ist für meinen Geschmack einfach etwas zu stark auf das Körperliche fixiert.
Nicht, dass ich etwas gegen die körperliche Ekstase einzuwenden hätte. Ich habe hier ja selbst erlebt, wie befreiend sie sein kann. Hervé aber scheint es gar nicht um das zu gehen, was durch sie bewirkt werden kann – eine umfassende Entgrenzung nicht nur des Körpers, sondern eben auch des Geistes. Für ihn zählt offenbar nur die körperliche Ekstase an sich. Das Ergebnis ist dann aber gerade das Gegenteil einer geistigen Befreiung, nämlich eine Fesselung an das rein animalische Lusterleben.
Eben deshalb verstehe ich auch nicht, warum George sich ausgerechnet zu Hervé so stark hingezogen fühlt. Klar, das blonde Siebenschönlein ist erst Mitte 20, es muss George schmeicheln, dass so ein junger Kerl sie attraktiv findet. Aber müsste nicht gerade sie, die Hohepriesterin der Selbstreflexion, hierin die Fallstricke der Eitelkeit erkennen und ihr eigenes Tun in Frage stellen?
George ließ seinen Blick zunächst wie ich auf dem Objekt seiner Begierde ruhen. Erst als Hervé sich im Nebenraum an der Anrichte mit dem Hochprozentigen zu schaffen machte, wandte sie sich wieder mir zu.
Schlagartig ernster werdend, sagte sie: „Okay, kommen wir also zur Sache.“ Sie holte tief Luft. „Ich denke, dir ist klar, dass wir diese ganzen Meditationen hier nicht um ihrer selbst willen durchführen. Sie sind für uns eher eine Art innere Reinigung, eine Vorbereitung auf Aktionen außerhalb dieser Klostermauern. Ich nehme an, du hast schon davon gehört?“
Sie sah mich durchdringend an. War das etwa eine Fangfrage? Wollte George überprüfen, ob Lina mir irgendwelche Geheimnisse anvertraut hatte, die mich nichts angingen?
„Ja, schon“, erwiderte ich betont vorsichtig, „aber nur ganz allgemein. Genaueres weiß ich nicht, dazu hat mir niemand was gesagt.“
George schmunzelte. Hatte sie etwa meine Gedanken erraten? „Das ist auch gut so“, bekräftigte sie. „Wir sind hier zwar eine eingeschworene Gemeinschaft. Wenn aber doch mal jemand unsere Gruppe verlässt, kann jedes unbedachte Wort sich in eine Waffe gegen uns verwandeln.“
Sie schlug die Beine übereinander. Dabei glitt der Wickelrock, den sie an dem Tag trug, auseinander und gab den Blick auf ihre wohlgeformten Oberschenkel frei. Wie machte sie es nur, in ihrem Alter eine so straffe Haut zu haben? Gab es in dem Kloster etwa einen geheimen Fitnessraum?
„Gut“, fuhr sie fort, „dann zu einer anderen Frage. Hast du die Planungen für den neuen Friedenskrieg verfolgt?“
Ich sah sie verständnislos an. „Friedenskrieg? Was soll das denn sein?“
„Na, das Übliche halt“, meinte George lakonisch. „Ein Krieg, in dem Frieden gepredigt und Gewalt gesät wird. Ein Angriff, der angeblich der Friedenssicherung dient, in Wahrheit aber aus rein wirtschaftlichen Motiven losgetreten wird.“
Ich schüttelte den Kopf. „Davon habe ich hier nichts mitbekommen. Um ehrlich zu sein: In den letzten Wochen war ich eher mit mir selbst beschäftigt. Die Welt da draußen war ziemlich weit weg für mich.“
George nickte nachsichtig. „Das geht den meisten so, wenn sie hierherkommen. Viele haben ja auch seit Ewigkeiten nicht mehr mit sich selbst gesprochen. Da gibt es natürlich Redebedarf!“
Sie schmunzelte, wurde aber gleich wieder ernst. „Dennoch können wir diesen Gewaltaposteln, die sich als Friedensfürsten verkleiden, natürlich nicht einfach das Feld überlassen. Das sind genau die Dinge, gegen die sich unsere Aktionen richten.“
Ich begann mich etwas unwohl in meiner Haut zu fühlen. War ich hier etwa an eine verkappte Guerilla-Truppe geraten?
Noch während ich zu einer Frage ansetzen konnte, kam Hervé mit den Cocktails zurück. Schon die grelle Farbe war atemberaubend – und der äußere Schein trog nicht! Sobald ich ein wenig von der knallblauen Flüssigkeit durch den Strohhalm gesogen hatte, traten mir die Tränen in die Augen, und ich rang nach Luft.
George freute sich wie ein kleines Kind, das seinen Eltern einen Streich gespielt hat. „Der pustet gut durch, was?“ lachte sie. „Unser guter Hervé war früher nämlich Feuerschlucker, musst du wissen.“
Hervé grinste währenddessen nur stillvergnügt in sich hinein, mit der Genugtuung eines Schülers, der eine Aufgabe zur Befriedigung seiner Lehrerin erledigt hat.
„Um noch mal auf diese Aktionen zurückzukommen“, fragte ich, nachdem ich wieder bei Atem war. „Wie soll ich mir die denn konkret vorstellen? Und was versprecht ihr euch eigentlich davon? Die Kriegsvorbereitungen eines Staates zu stoppen, ist doch wohl eine Nummer zu groß für uns.“
George nuckelte erst noch einmal genüsslich an ihrem Cocktail. Erstaunlich – ihr schien das ätzende Nass überhaupt nichts anzuhaben! Vielleicht hatte sie vom vielen Cocktailschlürfen schon eine Art Hornhaut auf der Kehle.
„Nun“, mutmaßte sie dann, „sicher hast du hier auch eines dieser Schattengespräche geführt. Das ist ja gewissermaßen die dunkle Sonne, um die sich bei uns alles dreht.“
Wieder fühlte ich mich von ihren Blicken durchbohrt. Hatte Lina ihr etwa von unserem Gespräch erzählt? Und warum schnitt George das Thema ausgerechnet jetzt an? Was hatte das mit der Aktion zu tun, von der sie sprach?
Verunsichert wandte ich den Blick ab. „Ja, natürlich, ich habe mir da auch so meine Gedanken gemacht. Es wäre ja auch seltsam, wenn nicht.“
Unvermittelt drehte George sich zu Hervé um, der wieder neben ihr auf der Sessellehne Platz genommen hatte. „Und du, mein Goldschatz? Wie siehst du die Sache?“
Hervé sah sie verdutzt an, den Cocktail-Strohhalm zwischen den Lippen. Auch ich wunderte mich, dass George so plötzlich das Wort an ihn gerichtet hatte. Vielleicht wollte sie einfach sein ständiges Schlürfen auf elegante Weise unterbrechen.
„Nun, ich halte es da ganz mit dir“, sagte er schließlich, den Cocktail kokett von sich wegstreckend. „Der Schatten ist wie eine Nabelschnur, der uns mit dem Strom der Zeit verbindet. So ähnlich hast du das doch mal ausgedrückt, oder?“
George nickte beifällig. „Ja, genau.“
An mich gewandt, setzte sie hinzu: „Siehst du, und genau hier können wir mit unserer Aktion ansetzen. Sie besteht gewissermaßen darin, dass wir bei den maßgeblichen Akteuren die Nabelschnur durchtrennen.“
„Ehrlich gesagt“, musste ich zugeben, „für mich sprichst du in Rätseln.“
George nahm noch einen Schluck von ihrem Cocktail. „Aber das ist doch ganz einfach, mein Guter“, erklärte sie dann. „Wir erzeugen einfach in einem entscheidenden Moment eine totale Finsternis. Darin löst sich der Schatten der betreffenden Person auf, und schon haben wir das Spiel gewonnen.“
Ich verstand noch immer nicht. „Wirklich? Und wieso?“
„Na, weil dann die Nabelschnur futsch ist“, belehrte mich Hervé altklug.
Geduldig ergänzte George: „Jeder, der ganz auf dem Boden seiner Zeit steht, verliert die Orientierung, wenn du ihn vom geistigen Strom seiner Zeit abschneidest. Und das erreichen wir, indem wir den Schatten sozusagen in der Finsternis ertränken.“
„Das ist alles?“ wunderte ich mich. „Ihr schaltet einfach das Licht ab?“

English Version

Private Audience with George/1

Monday, October 2

My private audience with George last night was even more bizarre than I had expected. Once again, our shadow queen has outdone herself!

Solar Eclipse in the Bunker

When I entered her chamber, I found that George was not alone. Hervé, the blond beau, was sitting next to her on the arm of the lounge chair, running his fingers through her hair. Lost in thought, he looked up at me, then returned to his daydreaming finger play.
Elated by the extra portion of tenderness, George greeted me even more enthusiastically than usual. „Ah, there’s the terrific Theo! Welcome to the lioness’s den!“ Pointing to the sofa, she added: „Today you even have the whole predator bed all to yourself!“
I dropped onto the sofa, which embraced me as if with fragrant cotton arms. Expectantly, I looked at George.
„Well, my dear Theo,“ she began, but then immediately interrupted herself and turned to her adoring satellite. „Oh, Hervé, darling, be so good as to mix us one of your cocktails,“ she begged. „Preferably the one that sets the mouth on fire so nicely. That will fuel our conversation in quite a different way!“
„Sure, Georgie,“ Hervé breathed, rising from his chair. It sounded very much like: As you command, mistress.
As he disappeared into the adjoining bedchamber, my eyes fell on his bottom, which he had squeezed into an almost obscenely tight pair of shorts. What a boy toy, I thought.
Admittedly, I may also be a little jealous of this particular favourite of George. On the other hand, I had already felt an inner distance to him before I found out about George’s preference for him. The dear Hervé is just a little too fixated on the physical for my taste.
It’s not that I have anything against the physical ecstasy in general. After all, I have experienced here myself how liberating it can be. But Hervé seems quite indifferent to what it can bring about – a complete dissolution of boundaries, not only of the body, but also of the spirit. For him, it is apparently merely the physical ecstasy itself that counts. The result, however, is just the opposite of a spiritual liberation, namely a bondage to the purely animalistic experience of pleasure.
For this very reason, I don’t understand why George is so strongly attracted to Hervé, of all people. Sure, the beau with the bright hair is only in his mid-20s, it must flatter George that such a young guy finds her attractive. But shouldn’t she, the high priestess of self-reflection, be the first to recognise the pitfalls of vanity in this and question her own behaviour?
George initially kept his gaze on the object of his desire, as I did. It was only when Hervé was busy preparing the cocktails in the next room that she turned her attention back to me.
Abruptly becoming more serious, she initiated the conversation. „Okay, so let’s get down to business.“ She took a deep breath. „I think you are aware that all these meditations here have their purpose not only in themselves. They are more of an inner purification for us, a preparation for actions outside these monastery walls. I suppose you’ve heard of them?“
She looked at me piercingly. Was this a trick question? Was George checking to see if Lina had shared any secrets with me that were none of my business?
„Yes, indeed,“ I replied cautiously, „but only in general terms. I don’t know anything specific.“
George smirked. Had she guessed my thoughts? „That’s how it should be,“ she emphasised. „We are a close-knit community here. But if someone does leave our group, any careless word can turn into a weapon against us.“
She crossed her legs. As she did so, the wrap-around skirt she was wearing that day slid apart, revealing her well-shaped thighs. How did she manage to have such firm skin at her age? Was there a secret gym in the monastery?
„Well,“ she continued, „let’s move on to another question. Are you aware of the plans for the new peace war?“
I looked at her uncomprehendingly. „Peace war? What’s that supposed to be?“
„Well, the usual stuff,“ George said laconically. „A war in which peace is preached and violence is sown. An attack ostensibly to keep the peace, but in reality launched for purely economic reasons.“
I shook my head. „I haven’t heard anything about that here. To be honest: In the last few weeks I’ve been rather preoccupied with myself. The world out there has been pretty far away for me.“
George nodded indulgently. „Most people feel that way when they come here. After all, many haven’t spoken to themselves for ages. So of course there’s a lot to talk about!“
She smiled, but immediately became serious again. „Nevertheless, we cannot simply leave the field to these apostles of violence who masquerade as princes of peace. These are precisely the aberrations against which our actions are directed.“
I began to feel a little uncomfortable in my skin. Had I come across a guerrilla force in the end?
Just as I was about to ask for further information, Hervé returned with the cocktails. The bright colour alone was breathtaking – and appearances were not deceiving! As soon as I had sucked a little of the garish blue liquid through the straw, tears came to my eyes and I struggled for breath.
George laughed like a child playing a trick on his parents.“ It really blows the lungs out, doesn’t it? Our dear Hervé once used to be a fire-eater, you know?“ she joked.
Hervé, meanwhile, just grinned amusedly to himself, with the satisfaction of a pupil who has completed an assignment to the teacher’s satisfaction.
„To get back to these actions,“ I asked after catching my breath. „How am I supposed to imagine them in concrete terms? And what do you actually expect from them? Stopping a state’s preparations for war is way out of our league, I would say.“
George first sucked on her cocktail with relish once more. Amazing – the acrid liquid didn’t seem to affect her at all! Maybe she already had a kind of callus on her throat from drinking so many cocktails.
„Well,“ she speculated, „I’m sure you’ve had one of those shadow conversations here. After all, that’s the dark sun, so to speak, around which everything revolves here.“
Again I felt pierced by her gaze. Had Lina told her about our conversation? And why did George bring up the subject now of all times? What did it have to do with the action she was talking about?
Uncertainly, I averted my eyes. „Yes, there have been some discussions on this topic. After all, it is the reason for our presence here.“
Suddenly George turned to Hervé, who had taken a seat on the arm of her lounge chair again. „And you, my treasure? What’s your take on things?“
Hervé looked at her puzzled, the cocktail straw between his lips. I too wondered why George had addressed him so abruptly. Maybe she just wanted to elegantly interrupt his constant slurping.
„Well, I’m with you on that point,“ he finally said, coquettishly holding the cocktail out to the side. „The shadow is like an umbilical cord that connects us to the stream of time. That’s kind of how you put it once, isn’t it?“
George nodded approvingly. „Yes, exactly.“
Turning to me, she added: „You see, and that is precisely the crucial link for our action. In a way, it consists in cutting the umbilical cord of the main actors.“
„Honestly,“ I had to admit, „you speak in riddles to me.“
George took another sip of her cocktail. „But it’s quite simple, my dear,“ she explained. „We simply create a total eclipse at a crucial moment. In it, the shadow of the person in question dissolves, and we’ve won the game.“
I still didn’t understand. „Really? And why?“
„Well, because then the umbilical cord is gone,“ Hervé stated precociously.
Patiently, George added: „Anyone who is completely grounded in his time will lose his bearings if you cut him off from the spiritual stream of his time. And we achieve that by drowning the shadow in darkness, so to speak.“
„That’s the whole plan?“ I wondered. „You just turn off the light?“

Bilder /Images: Stefan Keller: Vollmond über einem Torbogen / Full moon over an archway (Pixabay); Christiane (WhisperingJane): Sonnenfinsternis / Solar eclipse (Pixabay)

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