Heute macht der Poetry Day in Griechenland Station. Arnisi (Entsagung) ist ein Gedicht des Dichter-Diplomaten Giorgos Seferis. Es stammt aus dem Jahr 1931, wurde aber vor allem Ende der 1960er Jahre als Protestlied gegen die griechische Militärjunta populär.
Giorgos Seferis wurde 1900 im damals griechischen, heute türkischen Vourla (türkisch Urla) unweit von Izmir geboren. Nach Abschluss seines Jurastudiums in Paris hat er seinem Land in verschiedenen Positionen als Diplomat gedient. Unter anderem war er griechischer Konsul in Albanien und Botschafter im Libanon und in Großbritannien. Während der nationalsozialistischen Besatzung Griechenlands war er Teil der griechischen Exilregierung.
Schon früh ist Seferis auch als Literat in Erscheinung getreten. Mit seiner Dichtung ist er ein bedeutender Vertreter der so genannten „Generation der 30er Jahre“, die zwischen 1930 und 1940 den Anschluss der griechischen Literatur an die Moderne einleitete. 1963 erhielt er als erster Grieche den Literaturnobelpreis.
Das Gedicht Arnisi (Entsagung) ist grundsätzlich für mehrere Deutungen offen: Menschen sitzen am Strand und schreiben in den unschuldig-reinen weißen Sand einen Namen, der dann von den Wellen verwischt wird. Dies kann sich zunächst ganz allgemein auf verlorene Hoffnungen und Utopien, daneben aber auch konkret auf eine verlorene Liebe oder gescheiterte Lebensentwürfe beziehen.
1931 veröffentlicht, reflektiert das Gedicht aber auch das Gefühl von Heimatverlust und Heimatferne, das Seferis in seinem Leben auf vielfältige Weise erfahren hat. Dabei ist weniger an die vielen Jahre zu denken, die er als Diplomat im Ausland verbracht hat. Entscheidend ist vielmehr die „kleinasiatische Katastrophe“, mit der in der griechischen Geschichtsschreibung die Zwangsumsiedlung der griechischen Bevölkerung Kleinasiens nach Griechenland im Jahr 1922, im Anschluss an den griechisch-türkischen Krieg, bezeichnet wird. Da auch Seferis‘ Familie aus Kleinasien stammte, war er hiervon unmittelbar betroffen.
Während der Zeit der griechischen Militärdiktatur (1967 – 1974) wurde das Gedicht zu einer Hymne des Widerstands. Der von den Wellen verwischte Name wurde nun auch auf Griechenland selbst und die Entstellung des Landes durch die Junta bezogen. Da die weiße Farbe des Sandes in der ersten Strophe mit dem Gefieder einer Taube verglichen wird, lässt sich das Gedicht zudem im Sinne einer Zerstörung des Friedens durch die Militärherrschaft verstehen, die dessen „Namen“ und damit die Idee des Friedens auslöscht.
Wesentlich erleichtert wurde die Nutzung des Gedichts als eine Form des Protests gegen die Junta durch die Vertonung von Mikis Theodorakis. Das gemeinsame Singen des Gedichts konnte so zu einem Akt des Widerstands werden, der auf subtile Weise die Unterdrückung der Bevölkerung anprangerte. Besonders deutlich wurde dies 1971 bei der Beerdigung von Seferis, als Tausende auf den Straßen das Lied intonierten.
Giorgos Seferis: Arnisi (aus: Strofi, 1931)
Originaltext mit Übersetzungen in mehrere Sprachen
Maria Farantouri singt Sto Perigali (= Arnisi); „Sto Perigali“ sind die Anfangsworte des Gedichts, unter denen die Vertonung von Mikis Theodorakis (aus dem Jahr 1961) bekannt geworden ist:
Nachdichtung: Entsagung
In dem verschwiegenen Gefieder
des taubenweißen Sandes
dürsteten wir in der Mittagsglut.
Aber wie bitter schmeckte das Wasser!
In die weiche Haut des Strandes
haben wir unsere Hoffnung geritzt.
Aber der glühende Atem des Windes
hat uns’re Worte verweht.
Trunken vom Traumtanz des Meeres,
haben wir einst uns’ren Durst gestillt.
Gebrochen aber hat die brandende Gischt
den Flügel des Traums.
English Version
Giorgos Seferis: Arnisi (Renunciation)
Today the Poetry Day makes a stop in Greece. Arnisi (Renunciation) is a poem by the writer-diplomat Giorgos Seferis. It dates from 1931, but became popular especially in the late 1960s as a protest song against the Greek military junta.
Giorgos Seferis was born in 1900 in Vourla (Turkish Urla), at that time Greek, today Turkish, not far from Izmir. After graduating from law school in Paris, he served his country in various functions as a diplomat. Among other positions, he was Greek consul in Albania and ambassador to Lebanon and Great Britain. During the Nazi occupation of Greece, he participated in the Greek government-in-exile.
Early on, Seferis also became known as a man of letters. With his poetry, he is an important representative of the so-called „Generation of the 1930s,“ which initiated the connection of Greek literature to modernity between 1930 and 1940. In 1963 he was the first Greek to receive the Nobel Prize for Literature.
The poem Arnisi (Renunciation / Denial) is basically open to several interpretations: People sit on the beach and write a name in the pure white sand, only to see the writing washed away by the waves shortly afterwards. This can refer in general to lost hopes and utopias, but also concretely to a lost love or failed life plans.
Published in 1931, the poem also reflects the sense of loss and distance from home that Seferis experienced in his life in many ways. It is not so much the many years he spent abroad as a diplomat that come to mind here. Rather, the decisive factor is the „Asia Minor catastrophe,“ which in Greek historiography refers to the forced relocation of the Greek population of Asia Minor to Greece in 1922, following the Greek-Turkish war. Since Seferis‘ family also originated from Asia Minor, he was directly affected by this.
During the period of the Greek military dictatorship (1967 – 1974), the poem became an anthem of resistance. The name blurred by the waves was now also associated with Greece itself and the disfigurement of the country by the junta. As the white colour of the sand in the first stanza is compared to the plumage of a dove, the poem can furthermore be understood in terms of the destruction of peace by military rule, which erases the „name“, i.e. the idea of peace.
The use of the poem as a form of protest against the junta was facilitated by Mikis Theodorakis‘ setting of the poem to music. Singing the poem together could thus become an act of resistance that subtly criticized the oppression of the population. This was particularly evident at Seferis‘ funeral in 1971, when thousands of people sang the song in the streets.
Giorgos Seferis: Arnisi (from: Strofi, 1931)
Original text with translations into several languages
Maria Farantouri sings Sto Perigali (= Arnisi); „Sto Perigali“ are the opening words of the poem, under which the setting by Mikis Theodorakis (from 1961) has gained popularity
Free poetic adaptation: Renunciation
In the fugitive plumage
of the dove-white sand
we thirsted in the midday heat.
But how bitter the water tasted!
In the soft skin of the beach
we carved our hope.
But the glowing breath of the wind
has blown away our words.
Drunken from the dream dance of the sea,
we once quenched our thirst.
But the surging spray has broken
the wing of the dream.
Bilder / Images : Dimitris Vetsikas: Strand / Beach (Pixabay); Ulrike Mai: Feder / Feather (Pixabay)
Manfred Bonson
Seferis schrieb das Gedicht 1924, also unmittelbar unter dem Eindruck der Megali katastrophi mikroasiatiki.
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