Das blaue Land / The blue land

Hinter den durchsichtigen Winterkleidern der Bäume erträumt sich dein Blick ein blaues Land. Ein Land ohne festen Grund, ohne feste Konturen, das in der Ferne mit dem Horizont verschwimmt, grenzenlos.
Die Menschen in dem blauen Land sind durch ein feines Gespinst von Gefühlen miteinander verbunden. Da der Herzschlag des einen stets auch in den Adern der anderen widerhallt, benötigen sie für ihre Verständigung keine Worte. Diese sind für sie wie Bauklötze – ein Mittel, den Spieltrieb des ewig kindlichen Geistes zu befriedigen.
Jedem Traum geben die Menschen hier einen Namen und lassen ihn dann wieder frei, wie eine Katze, die kommen und gehen kann, wie es ihr gefällt. Das Sichtbare aber benennen sie nicht, um es jeden Tag wieder anders sehen zu können.
Die Zeit ist im blauen Land kein Amokläufer. Man denkt sie sich hier eher als Mönch, mit dem man an einem Sommerabend in einen Teich eintaucht.
Jeden Tag beginnt man im blauen Land mit einem Gebet. Man betet aber nicht zu einem Gott, sondern ins Blaue hin-ein, wie ein Wünschelrutengänger, der seine Sinne für das Unerwartete, Unvorstellbare schärft.
Ein Hügel ist in dem blauen Land keine Wand, sondern eine Treppe in den Himmel. Es macht nichts, dass man auf ihr niemals sein Ziel erreichen kann. Denn längst ist ja das blaue Land ein Spiegel des Himmels geworden. So genügt es den Menschen hier völlig, sich von Zeit zu Zeit der Existenz des Himmels zu vergewissern.

The blue land

Behind the transparent winter clothes of the trees, your gaze envisions a blue land. A land without solid ground, without fixed contours, blurring with the horizon in the distance, without any boundaries.
The people in the blue land are connected to each other by a fine web of feelings. Since the heartbeat of each of them always reverberates in the veins of the others, they do not need words to communicate. For them, words are like dominoes – a means to satisfy the play instinct of the eternally childlike mind.
Every dream here is given a name and then set free again, like a cat that can come and go as it pleases. For the visible, in contrast, there are no designations, so that it can be seen differently every single day.
Time does not run amok in the blue country. The inhabitants tend to imagine it more like a monk with whom they dive into a pond on a balmy summer evening.
Every day in the blue country begins with a prayer. But people do not pray to a god, but rather into the blue, like a dowser who sharpens his senses for the unexpected, the unimaginable.
A hill is not a wall in the blue land, but a stairway to heaven. It doesn’t matter that nobody can ever reach their destination on it. After all, the blue land has long since become a mirror of the sky. So it is quite sufficient for the residents to assure themselves from time to time that the sky does exist.

Bilder: Landschaft © privat; David Mark: Nepal (Pixabay)

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