Neckarsteinach, 2./3. März 2019
Zwei Literaturplanetarierinnen auf der Buchmesse im Neckartal. Henny war letztes Jahr schon da, dieses Jahr durfte auch ich (Ilka) die geistgetränkte Luft schnuppern. Eine echte Wellnessoase für die Seele …
Eine Buchtorte als Symbol: Die Leipziger Buchmesse ist kein Zuckerschlecken – die Kleine Buchmesse im Neckartal aber schon. In Leipzig kostet der billigste Stand über 1.500 Euro, selbst für ein Regalbrett auf dem Gemeinschaftsstand der Kleinverlage muss man noch die Hälfte auf den Tisch legen. Zusätzlich dürfen Bücher nur über die Messebuchhandlung verkauft werden, die mit den eingeforderten 55 Prozent Buchhandelsrabatt alle Verkaufsgewinne auffrisst. Um diese Praxis durchzusetzen, werden Testkäufer herumgeschickt, die Verkäufe am Stand aufdecken und unterbinden sollen. So ist das große Buchevent im Frühjahr nur etwas für Großverlage, die die Messe als Schaufenster für ihre Neuerscheinungen nutzen.
In Neckarsteinach können sich dagegen auch kleine Verlage die Standmiete leisten. Statt blauer Sofas für beifallbedürftige Promis gibt es zwischendurch musikalische Darbietungen. Und statt einer Geheimpolizei von Testkäufern besucht einen allenfalls eine freundliche Mitarbeiterin vom Kulturverein, die dafür Sorge trägt, dass alle ihren Anteil am großen Bücherkuchen abbekommen (Foto : mit Bürgermeister Herold Pfeifer bei der Eröffnungsfeier). Kulturförderung und Solidarität unter Kulturschaffenden stehen im Vordergrund. So war die Buchmesse im Neckartal auch dieses Jahr wieder ein echtes Kulturereignis, das auch die Konkurrenz zum Fasching nicht fürchten musste.
Durch die feierliche Eröffnungs- und Abschlusszeremonie (mit Bürgermeister und Landrat), die musikalischen Darbietungen und das ansprechende Ambiente war die Messe fast ein kleines Gesamtkunstwerk. Federführend verantwortlich für die Organisation der Buchmesse war das Verlegerehepaar Walter und Nadine Sauer (Foto: Nadine Sauer mit Tochter Alison). Beide bringen in ihrem Verlag Edition Tintenfaß Klassiker der Kinder- und Jugendbuchliteratur (u.a. den Struwwelpeter und Antoine de Saint-Exupérys Kleinen Prinzen) in verschiedenen Sprachen heraus. Besonders angesprochen hat mich die deutsch-englische Ausgabe des zuerst 1906 erschienenen Buchs Etwas von den Wurzelkindern von Sibylle von Olfers – das Buch kenne ich nämlich noch aus meiner eigenen Kindheit.
Der Größenwahn-Verlag ist 2009 aus der Frankfurter Sponti-Szene um das Café Größenwahn hervorgegangen. Entsprechend dem hohen Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in dieser Szene bildet dieser (mit all seinen Facetten) auch einen Schwerpunkt der verlegerischen Arbeit.
Der gegenkulturelle Impuls zeigt sich nicht nur im Verlagsangebot, sondern auch im Umgang der Verlagsleitung mit anderen. Angestrebt wird die gemeinsame Arbeit an einer kritischen Gegenöffentlichkeit, nicht das Wetteifern um die besten Verkaufszahlen. Auf einer Messe macht sich das schon in Kleinigkeiten bemerkbar, wie etwa in der Selbstverständlichkeit, mit der der Verleger Sewastos Sampsounis uns dabei geholfen hat, unsere Prospekte an der Pinnwand hinter unserem Stand zu befestigen. Das Foto zeigt ihn mit einer der Büchertaschen, die seine Mutter für den Verlag herstellt.
Ein interessantes Buchprojekt des Verlags unter vielen anderen ist Der Mozart Code des deutsch-griechischen Autors Michalis Patentalis, ein Roman noir, der um das Geheimnis von Mozarts unvollendetem Requiem kreist. Angesichts des bevorstehenden Frauentags am 8. März lohnt es sich darüber hinaus wohl auch, speziell auf die „Weibliche Prosa“ hinzuweisen, die im Größenwahn-Verlag eine eigene Sparte darstellt. Interessant finde ich vor allem die Verbindung von weiblicher und interkultureller Perspektive, die einige Bücher bieten.
Der Schriesheimer Verlag Nats Editions – „Nats“ ist ein Akronym der Verlegerin Natalie Sieber (Foto: mit Sohn) – ist zwar in Deutschland ansässig, verfolgt jedoch einen explizit frankophilen Publikationsansatz. Ein Schwerpunkt ist die Veröffentlichung engagierter französischer Kinder- und Jugendbücher im Original, aber auch in deutscher und englischer Sprache. Ein aktuelles Beispiel ist das Buch Zwei Papas, zwei Mamas (Avoir deux papas, avoir deux mamans), das sich dem Thema von Kindern in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften widmet. Zu dem Projekt gibt es auf der Website des Verlags ein Interview mit dem Autorenpaar.
Der Mannheimer Waldkirch-Verlag (Foto: Verlegerin Barbara Waldkirch) hat – gemäß seinem Motto „Bücher aus der Region – für die Region“ – allerlei Bücher mit regionalem Bezug im Programm. So gibt es etwa einen Bildband über den jüdischen Friedhof in Mannheim, der anhand der Grabsteine das einstige reiche Leben der Mannheimer jüdischen Gemeinde rekonstruiert. Das Angebot umfasst aber auch Romane, Kinderbücher, Mundartliteratur, regionale Kochbücher und Kalender.
Der 2006 von Ulrich Wellhöfer gegründete Wellhöfer-Verlag (Foto: Nicole Wellhöfer, die Frau des Verlegers, mit Sohn Jonas) aus Mannheim-Feudenheim hat sich auf regionale Literatur spezialisiert. Er beschränkt sich dabei allerdings nicht auf die Region um den Verlagssitz, sondern gibt auch auf andere Gebiete Deutschlands bezogene Bücher heraus. Der Verlag veranstaltet auch eigene Kulturevents, u.a. in dem Kultur- und Gästehaus Pfistermühle im elsässischen Wissembourg, das 2018 neu eröffnet wurde. Unter den Büchern finden sich auch ein paar Cross-over-Publikationen, wie etwa bei den Kombinationen aus Krimi und Kochbuch (ein Beispiel unter anderen: Blutworschtblues, ein von Kerstin Lange und Ulrich Wellhöfer herausgegebener Band mit 22 Krimis und Rezepten aus der Pfalz).
Der Karlsruher Literaturverlag GolubBooks wurde 2010 von Biljana Golubovic (Foto) gegründet. Das Angebot unterteilt sich in die Editionen ZeitGeist (moderne deutschsprachige Literatur), Brücken (internationale Literatur in deutscher Sprache) sowie Green Gables (Kinder- und Jugendliteratur). Die Edition Brücken hat einen Schwerpunkt in der serbischen Literatur. Hier ist 2016 etwa Srđan Srdićs preisgekröntes Werk Espirando. Pesme na smrt (Todesgesänge) in deutscher Sprache erschienen. Die neun Kurzgeschichten des Bandes kreisen um Menschen in unterschiedlichen Grenzsituationen.
Der Kurpfälzische Verlag aus Heidelberg (Foto: Verlegerin Claudia Rink) arbeitet eng mit dem Geschichtsverein der Stadt zusammen. Dem entspricht auch das Verlagsangebot. So gibt es etwa einen Band über die Schicksale hinter den über die Stadt verstreuten „Stolpersteinen“, die an die von den Nationalsozialisten getöteten jüdischen MitbürgerInnen erinnern sollen. Sehr lesenswert ist auch Marco Birns Studie Bildung und Gleichberechtigung, die sich den „Anfänge[n] des Frauenstudiums an der Universität Heidelberg“ (Untertitel) widmet. Besonders anrührend fand ich das Faksimile einer bebilderten Weihnachtsgeschichte, die im Zweiten Weltkrieg ein Großvater für seine Enkelin erfunden hat (Christkindleins WeihnachtsReise nach Heidelberg 1943).
Der Saarbrücker Conte-Verlag (Foto: Verleger Stefan Wirtz) veröffentlicht zum einen Werke mit regionalem Bezug. Darunter befindet sich u.a. der reich bebilderte, in diesem Jahr neu aufgelegte Band WolfsFreund über den 2014 verstorbenen Wolfsforscher Werner Freund und den von ihm im saarländischen Merzig eingerichteten Wolfspark. Zuerst 2006 erschienen, erzählt die beeindruckende Fotodokumentation von Hildegard Hoppe und Hartmann Jenal auch von einer Zeit, als man über Wölfe in Deutschland noch nicht in Kategorien von „Eindämmung“ und „Entnahme“ sprach. Ein großer Erfolg war auch Wilfried Voigts Jamaika-Clique (2011), eine Studie über Filz und Kungelei rund um die ProtagonistInnen der früheren saarländischen Jamaika-Koalition.
Zum anderen bringt der Verlag jedoch auch Werke von allgemein literarischer Bedeutung heraus. Unter den Neuerscheinungen hat mich besonders die von Bernd Philippi herausgegebene, schön gestaltete Anthologie mit Gedichten und Erzählungen über Rabenvögel angesprochen – die schwarz gefiederten Schlaumeier haben mir schon immer imponiert.
Die 2015 von Karina Lotz in Frankfurt am Main gegründete edition federleicht ist ein breit aufgestellter Literaturverlag, dessen Angebot von Jugendromanen und Erzählbänden über Aphorismen und Essays bis hin zu japanischer Lyrik reicht. Seit 2017 gibt der Verlag auch das literarische Journal Schreibtisch heraus. In Neckarsteinach stellte der Verlag das Buchprojekt … im Leben … – … in life vor, in dem ein aus verschiedenen Ländern stammendes studentisches Autorenteam sich mit Gemälden Karl Peifers über die Schrecken des Krieges auseinandersetzt. Auf dem Foto ist die Verlegerin zusammen mit Thomas Berger zu sehen, der in ihrem Verlag publiziert und in Verb
indung mit diesem auch einen neuen, von ihm gestifteten Literaturpreis vergibt.
Übrigens: Neckarsteinach ist auch sonst eine Reise wert. Dies kann ich mit Überzeugung sagen, weil ich dort während meiner Studienzeit in Heidelberg zwei Jahre lang gewohnt habe. Schon damals bin ich gerne auf den romantischen Pfaden um die vier Burgen, die das Städtchen umgeben, gewandelt. Natürlich gibt es – wie könnte es anders sein – auch dazu einen literarischen Hintergrund, in Person des Minnesängers Bligger von Steinach. Auf den frühen Trendsetter in Sachen Literatur im Neckartal verweist noch heute die Harfe im Neckarsteinacher Stadtwappen.
Eli
Eine wirklich schöne Messe. Danke für den schönen und informativen Bericht. War zum ersten Mal da und mit einer Tasche voller „ Schätze“ heimgefahren . Übrigens Die „Gespräche mit Paula“ sind wirklich bemerkenswert. Eine originelle Idee und gut und unterhaltsam geschrieben. Euren schönen Büchern wünsche ich viele Leser*innen.
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