Zeitlebens hat Jacques Prévert sich gegen eine Art von Religionsausübung gewandt, bei der die Religion dazu genutzt wird, die Menschen zur blinden Unterordnung unter Autoritäten anzuhalten. Besonders hart geht er mit dem ideologischen Einsatz der Religion dort ins Gericht, wo damit der Krieg legitimiert wird.
Nicht nur habe man den Soldaten in den Schützengräben stets eingeredet, zur Ehre Gottes zu kämpfen (und zu sterben). Mittlerweile werde „Gott“ – wie Prévert unter Verweis auf die texanische Hafenstadt Corpus Christi, die im Zweiten Weltkrieg Namensgeberin für eine amerikanische Fregatte war und danach als einer der Heimathäfen für den Flugzeugträger USS Lexington fungierte, herausstellt – auch für Kampfjets vereinnahmt, die so viele Menschen wie noch nie in rekordverdächtiger Zeit töten könnten (1). Ausdrücklich verwahrt sich Prévert zudem gegen die biblische Sprachregelung, wonach es für alles – und damit, wie es im Buch Kohelet (3, 8) explizit heißt, auch „für den Krieg“ – eine Zeit gebe. Selbst eine Bemerkung, wonach es an der Zeit sei, einen Krieg zu beenden, wird von ihm zurückgewiesen, da dies ja impliziere, dass es irgendwann auch mal an der Zeit gewesen sei, den Krieg zu beginnen (2).
Sein radikaler Pazifismus ist Prévert sowohl von linker als auch von rechter Seite verschiedentlich vorgeworfen worden – wie er selbst anlässlich seines vielleicht berühmtesten Gedichts Barbara (3) berichtet. Darin wird die Zerstörung einer Liebesbeziehung in dem umkämpften Brest mit den Worten kommentiert: „Quelle connerie la guerre“ (‚Was ist der Krieg doch für eine Sauerei‘; 4). Prévert entgegnet seinen Kritikern, dass es keinesfalls einen „guten“ und einen „schlechten“ Krieg gebe (5). Der Krieg kenne keine Sieger (ebd.), er gleiche immer einer „schrecklichen Krankheit“, gegen die es keine Impfstoffe gebe (6).
Dabei ist Prévert allerdings weit davon entfernt, den Krieg als quasi naturhaftes Geschehen zu verharmlosen. Vielmehr verweist er ausdrücklich auf die wirtschaftlichen Interessen, die mit dem Krieg verbunden seien, und kritisiert das ökonomische Kalkül, aus dem heraus Kriege geführt würden. Die Überlegung, „ob das Massaker als wirtschaftlich angesehen wird oder es an der Zeit sei, sparsam mit dem Massaker umzugehen“, brandmarkt er als zutiefst inhuman. Diese Zweckrationalität sei sogar beim Umgang mit den im Krieg getöteten Kindern zu beobachten: Anstatt deren Tod generell zu beklagen, bedaure man nur, eventuell versehentlich künftige Genies oder „kleine Mozarts“ getötet zu haben (7).
Als Beispiel für Préverts dichterischen Umgang mit der Verbindung von Krieg und Wirtschaft kann auf das Gedicht Die Friedensrede verwiesen werden. Darin werden die faulen Zähne des Redners mit der Heuchelei seiner hohlen Friedensphrasen assoziiert, durch die der wahre „Nerv“ des Krieges – „die heikle Frage des Geldes“ – bloßgelegt werde (8). Das Gedicht spielt damit zugleich auf einen anderen Aspekt an, den Prévert beim Umgang mit der Thematik des Krieges beklagt – nämlich die euphemistischen Begriffe, mit denen über kriegerische Handlungen geredet werde. Prévert erwähnt in dem Zusammenhang u.a. den Begriff der „Säuberung“, mit dem die faktisch verübten Massaker an der Bevölkerung kaschiert würden (9).
Zusätzlich verweist das Gedicht auch auf die von Prévert konstatierte Vermischung von Krieg und Frieden in der Gegenwart. Die moderne Kriegsführung mit ihren unsichtbaren, chemisch-bakteriellen Elementen führe dazu, dass alle Bereiche der Gesellschaft vom Krieg und der Vorbereitung auf diesen affiziert würden. Dadurch sei auch der Frieden von militärischen Belangen durchdrungen. Dies lasse einen, wie Prévert sarkastisch anmerkt, fast nostalgisch an jene Zeiten zurückdenken, als das Militär noch „nichts mit dem Frieden zu tun“ und „nichts zu ihm zu sagen hatte“ (10).
Nachweise:
- Prévert, Jacques / Pozner, André: Hebdromadaires (1972), S. 89. Paris 1982: Gallimard.
- Ebd., S. 103.
- Prévert, Jacques: Paroles (1946), S. 206 f. Paris 1949: Gallimard.
- Ebd., S. 207.
- Prévert, Jacques / Pozner, André: Hebdromadaires (1972), S. 104. Paris 1982: Gallimard.
- Ebd., S. 118.
- Ebd., S. 104.
- Prévert, Jacques: Paroles (1946), S. 222. Paris 1949: Gallimard.
- Prévert, Jacques / Pozner, André: Hebdromadaires (1972), S. 106. Paris 1982: Gallimard.
- Ebd., S. 98.
Freie Nachdichtungen
Friedensreden
(nach Le discours sur la paix; aus: Paroles, 1946)
Staatstragende Schwüre die Statuen der Worte
der Frieden die Freiheit „la fraternité!“
doch plötzlich ein Stutzen ein Stolpern ein Sturz
in den Abgrund einer hohlen Phrase
in den Abgrund eines staunenden Verstehens
der Mund, weit geöffnet, zeigt die kariöse Wahrheit
hinter dem blütenweißen Lächeln
die Fäulnis der polierten Phrasen
der Frieden die Freiheit „la fraternité!“
zerfressen von der Karies des Krieges
dem Kapital.
Brest
(nach Barbara; aus: Paroles, 1946)
Der Regen eine Frau die singt
und hinter Schleiern Brest zerfließend
Lippen schweigend sich umschließend
Floß das sich durch Wolken schwingt
der Regen ein Gewehr das spuckt
und Brest ein bleigetränktes Bluten
Donner schrein zerrissne Fluten
Treibgut das im Hagel zuckt
im Regen singend tote Stimmen
murmelnd ein ergrautes Sinnen
Träume die zu Stahl gerinnen
Gewölk aus Hunden die sich krümmen
Brest ein Meer aus Friedhofsmauern
starrend ein verlassnes Trauern
Familienleben
(nach Familiale; aus: Paroles, 1946)
Die Mutter im Stroh
der Vater im Stall
das Kind in der Krippe
Heilige Familie wir beten für dich
Die Mutter lernt kochen
der Vater lernt Geschäftsfreunde kennen
der Sohn lernt Gehorsam
Ehre dem Vater der Mutter und Gott in der Höh‘
Die Mutter in der Küche
der Vater im Kontor
der Sohn in der Kaserne
Der Mutter die Liebe
dem Vater die Pflicht
dem Sohn die Ehre
Heilige Familie wir beten für dich
Die Mutter führt den Haushalt
der Vater führt die Geschäfte
der Sohn führt Krieg
Ehre dem Vater der Mutter und Gott in der Höh‘
Die Mutter wird Großmutter
der Vater wird Großvater
der Sohn wird Vater
Die Mutter wird den Haushalt geführt haben
der Vater wird die Geschäfte geführt haben
der Sohn wird Krieg geführt haben
Blutwurst Blutzoll Blutdurst
der Sohn wird die Geschäfte fortführen
seine Frau wird den Haushalt fortführen
Heilige Familie wir beten für dich
Die Mutter bedient
der Vater verdient
der Sohn dient
Blutwurst Blutzoll Blutdurst
Die Mutter macht sauber
der Vater macht Geschäfte
der Sohn macht
sich aus dem Staub
fällt in den Staub
wird zu Staub
Der Muter die Liebe
dem Vater die Pflicht
dem Sohn die Ehre
Friedhofsruhe Friedhofsrecke Friedhofsreise
Ehre dem Vater der Mutter und Gott in der Höh‘
Friedhofsruhe Friedhofsrecke
Heilige Familie wir beten für dich
Friedhofsruhe
Heilige Familie wir sterben für dich