Adam Ziemianins Gedicht Bieszczadzkie Anioły
Das Bieszczady-Gebirge im Südosten Polens ist eines der letzten Naturparadiese Europas. Mit dem Gedicht Bieszczadzkie Anioły (Die Engel der Bieszczady-Berge) hat der polnische Lyriker Adam Ziemianin ihm ein poetisches Denkmal gesetzt.
Die Engel der Bieszczady-Berge
Alle Engel sind still. Besonders still aber
sind die Engel in den Bieszczady-Bergen.
Triffst du einen, wird er selten mit dir reden
über sein Leben in den Bieszczady-Bergen.
Nur ein gut gelaunter Engel flüstert
vielleicht dir ein Geheimnis ins Ohr:
dass er stets seine Flügel im Rucksack verbirgt,
auch bei schönem Wetter.
Alle Engel sind grün. Besonders grün aber
sind die Engel in den Bieszczady-Bergen.
Triffst du einen, kannst du ihn kaum unterscheiden
vom Frühlingslaub der Bäume und vom Gras.
Grün sind ihre Spiele, grün sind ihre Karten,
grün sind ihre Worte und Begriffe.
Und selbst der Wodka, den sie trinken,
schimmert grün in ihren Gläsern.
Bieszczady-Engel, Bieszczady-Engel,
ihr bringt Glück und Sonnenschein!
Bieszczady-Engel, Bieszczady-Engel,
lasst mich auf euren Flügeln fliegen!
Alle Engel sind einsam. Besonders einsam aber
sind die Engel in den Bieszczady-Bergen.
Im Winter schlafen sie in den Kapellen,
auch wenn sie sonst in grünen Wolken wohnen.
So einsam sind die Engel manchmal,
dass sie nicht nach Hause finden.
Mit ihrem grünen Lachen weisen dann
die Bieszczady-Berge ihnen den Weg.
Bieszczady-Engel, Bieszczady-Engel …
Alle Engel lockt der Himmel. Besonders aber
lockt sie der Himmel über den Bieszczady-Bergen.
Wir alle träumen oft auf ihren Flügeln
von dem Flug in and’re Welten.
Mit ihrem engelhaften Gleichmut
nehmen sie uns mit in ihren grünen Himmel
und entzünden tief in uns’rer Seele
das grüne Feuer der Bieszczady-Berge.
Bieszczady-Engel, Bieszczady-Engel …
Adam Ziemianin: Bieszczadzkie Anioły enthalten in: Bieszczadzkie anioły. Wiersze i piosenki (2015)
Vertonung von Krzysztof Myszkowski / Stare Dobre Małżeństwo (aus dem Album Bieszczadzkie Anioły, 2000)
Live-Aufnahme aus dem Jahr 2022:
Das Bieszczady-Gebirge – eines der letzten Naturparadiese Europas
Das Bieszczady-Gebirge befindet sich im Südosten Polens, mit Ausläufern in der Ukraine und in der Slowakei. Es ist ein Teil der östlichen Beskiden, die wiederum zu den Karpaten gehören. Höchste Erhebung ist mit 1346 Metern der Tarnica.
Ein 29.000 Hektar großer Teil der Bieszczady-Berge ist seit 1992 Nationalpark, als Teil des Biosphärenreservats Ostkarpaten. Dies hat dazu geführt, dass sich in dem Gebiet einige seltene Pflanzen- und Tierarten behaupten konnten. Neben Stein- und Schreiadlerpopulationen gibt es auch einen Bestand von etwa 50 Braunbären, außerdem urwaldartige alte Buchenwälder.
Für das äußere Erscheinungsbild der Bieszczady-Berge sind zwei Dinge entscheidend. Zum einen gibt es häufige Niederschläge, die im Winter viel Schnee und im Sommer ergiebigen Regen bringen. Im Herbst sorgt die Feuchtigkeit für anhaltenden Nebel. Zum anderen sind die Höhenlagen der Berge unbewaldet. Dies lädt zu ausgedehnten Wanderungen ein, bei denen man den Blick über die sattgrüne Bergwelt schweifen lassen kann.
Tanzende Nebel und geheimnisvolle Geistwesen
Uralte Wälder waren schon immer ein Ausgangspunkt für Sagen und Volksmärchen. In Verbindung mit dem herbstlichen Nebel ergibt sich so ein idealer Nährboden für Geistergeschichten. Eine Theorie über die Herkunft des Wortes „Bieszczady“ führt dieses denn auch auf das Wort „Biesy“ (Dämonen) zurück.
In einer Zeit, in der ungezähmte Natur vielerorts nicht mehr als Bedrohung wahrgenommen wird, sondern als Voraussetzung für die Förderung der Selbstheilungskräfte der vom Menschen geschundenen Natur, erscheint der Zauber der Bieszczady-Berge allerdings in einem ganz anderen Licht. Wo die Menschen in den tanzenden Nebeln früher bedrohliche Geister sahen, wirkt die intakte Natur auf uns heute eher wie eine von himmlischen Wesen bewohnte Welt.
Humorvolle Feier von Naturschönheiten
Auf eben diesem Eindruck beruhen auch das Gedicht von Adam Ziemianin und das daraus hervorgegangene Lied der Band Stare Dobre Małżeństwo. Auf spielerische Weise verbindet der Text das Bild eines Naturparadieses mit der Vorstellung von darin wohnenden „grünen“ Engeln. Die augenzwinkernde Beschreibung der eher menschlichen Eigenschaften dieser Engel lässt allerdings deutlich erkennen: Es sind die Menschen, die hier die engelsgleiche Stille und Aussicht genießen.
So sind Lied und Gedicht nicht nur ein künstlerisches Denkmal für eine einzigartige Bergregion, sondern auch ein poetischer Ausdruck für das Freiheitsgefühl, das sie den Menschen vermitteln kann. Gerade dadurch, dass dieses Freiheitsgefühl ohne jedes Pathos und stattdessen mit einem gehörigen Schuss Humor und Selbstironie besungen wird, ist es in seiner innere und äußere Grenzen aufbrechenden Kraft nachvollziehbar.
Über die Band Stare Dobre Małżeństwo
1984 nahmen Krzysztof Myszkowski und Andrzej Sidorowicz am Krakauer Studentenlieder-Festival teil. Da das Duo schon seit Schülerzeiten zusammen musizierte, kündigte der Moderator die beiden scherzhaft als „Stare Dobre Małżeństwo“ (gutes altes Ehepaar) an.
Der so entstandene Bandname (oft abgekürzt als „SDM“) blieb auch dann bestehen, als Andrzej Sidorowicz dem Projekt kurz darauf den Rücken kehrte. Den Kern der Gruppe bildet seitdem Krzysztof Myszkowski, der die Band mit wechselnden Besetzungen leitet und auch die meisten Songs komponiert.
Der 1963 geborene Myszkowski hat sich nach Abschluss seines Pädagogikstudiums im Jahr 1987 ganz der Musik gewidmet. Neben der Arbeit mit Stare Dobre Małżeństwo hat er auch in anderen Bands mitgewirkt sowie mehrere Soloalben veröffentlicht.
Infos über Adam Ziemianin in dem Beitrag Der Zauberstab der Dichtung
Podcast zu Adam Ziemianin
Bilder: Gese: Blick vom Tarnica auf den Gebirgskamm Szeroki Wierch, 2009 (Wikimedia Commons); Jacek Soliński: Engel des 279. Tages (aus dem Zyklus Wächter der Zeit) / Angel of the 279th day (from the cycle Guardians of Time); Kontrola, Wikimedia Commons; Karolina Dominiczak: Krzysztof Myszkowski, 2013 (Wimedia Commons)

