Jules Breton: Beau soir d’hiver (Schöner Winterabend)

Wie ein Maler-Poet eine Winterlandschaft sieht

Jules Breton (1827 – 1906) war im Hauptberuf Maler, hat sich jedoch auch dichterisch betätigt. Seine Gedichte waren dabei – wie auch sein Gedicht Beau soir d’hiver (Schöner Winterabend) zeigt – oft von seiner Tätigkeit als Maler beeinflusst.

Schöner Winterabend

Ein wüstenweißes Meer, so breitet der Schnee
sein jungfräuliches Laken über das Land.
Aus seinen Wirbeln aber erhebt sich,
von grünem Gold und zartem Blau umzittert,
der Vollmond am verwaisten Horizont.

Schläfrig schickt der Sonnengott
ein letztes Lächeln in die Welt,
ein purpurnes Gewand aus Dunst,
das sich mit wolkenweichen Armen
um die errötende Mondgöttin legt.

Die Lilienblässe des funkelnden Schnees
leuchtet im schimmernden Traum des Lichtes.
Sein blütenweißer Faltenwurf bestickt
das Land mit dem glitzernden Staub der Sterne
über der rosa blühenden Weite.

Jules Breton: Beau soir d’hiver aus: Les champs et la mer (Die Felder und das Meer, 1883)

Zum künstlerischen Werdegang Bretons

Der französische Maler Jules Breton (1827 – 1906) war schon zu Lebzeiten äußerst berühmt. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, seine Gemälde erzielten für damalige Verhältnisse Höchstpreise.

Äußerst beliebt waren seine Werke auch in den USA. Bei einem Wettbewerb der Chicago Daily News wurde sein 1884 entstandenes Werk Der Gesang der Lerche 1934 zum beliebtesten Gemälde Amerikas („most beloved work of art in America“) gewählt.

Dass Breton eine künstlerische Karriere einschlagen konnte, hatte er zu einem großen Teil dem belgischen Maler Félix de Vigne (1806 – 1862) zu verdanken, dessen Tochter Elodie er später heiratete. De Vigne erkannte früh Bretons Talent und überredete die Eltern, ihren Sohn an der Akademie der Schönen Künste in Gent ein Studium aufnehmen zu lassen.

Entsprechend der Schwerpunktsetzung seines Entdeckers wandte Breton sich zunächst historischen Sujets zu. Er bemerkte jedoch bald, dass seine eigentliche Vorliebe der Naturmalerei und der Darstellung des ländlichen Lebens galt. So zog er 1852 aus Paris, wo er sein Studium an der École des Beaux Arts fortgesetzt hatte, in sein Heimatdorf Courrières in der nordfranzösischen Region Pas-de-Calais zurück. Dort widmete er sich fortan der künstlerischen Gestaltung von Land und Leuten seiner Heimat.

Der poetische Blick des Malers

Bretons enge Verbundenheit mit der Natur und dem bäuerlichen Alltag kommt auch in seinem dichterischen Werk zum Ausdruck. Interessant ist dabei, dass der Künstler die Welt auch als Dichter mit den Augen des Malers anzusehen scheint.

So vermitteln viele seiner Verse einen ausgesprochen plastischen Eindruck der geschilderten Szenerie. Der Grund dafür ist zunächst, dass Breton als Maler ein besonderes Auge für Details hat. So beobachtet er ganz genau, wie sich das Farbenspiel einzelner Pflanzen in Verbindung mit bestimmten Lichtverhältnissen zu einem speziellen Tableau zusammenfügt. Die davon ausgehende Atmosphäre versucht er sowohl in seinen Gemälden als auch in seinen Gedichten einzufangen.

Blick hinter die äußere Hülle der Dinge

Auch in Bretons Wintergedicht kommt den Farben eine zentrale Bedeutung zu – in diesem Fall den besonderen Spiegelungen und Farbkombinationen, die sich durch einen Sonnenuntergang über einer verschneiten Winterlandschaft ergeben.

Hierin manifestiert sich zunächst wieder der besondere Blick des Malers auf die Welt. Darüber hinaus vermittelt Breton uns mit seiner eindringlichen Beschreibung der Farbspiele jedoch auch allgemein ein Gefühl für das Künstlerische. Er zeigt uns den Unterschied zwischen einer realistischen Abbildung der Wirklichkeit und einer Darstellung, die sich aus einem künstlerischen Anschauen der Welt ergibt.

In Bretons Gedicht scheinen die Farben gleichsam losgelöst zu sein von den Dingen. Sie wirken wie Elemente auf der Farbpalette des Malers, aus der dieser das Gesehene neu entwirft.

Eben dies ist ein entscheidendes Merkmal künstlerischer Darstellung: Sie löst die Elemente der Wirklichkeit aus ihren vorgegebenen Strukturen und setzt sie im Imaginationsraum der Kunst neu zusammen. Auf diese Weise entsteht etwas Neues. Etwas, das zwar an die allgemein als Wirklichkeit anerkannten Strukturen anknüpft, diese aber um die subjektive Wirklichkeit des künstlerischen Blicks ergänzt.

So erhalten wir in Bretons Gedicht – und in entsprechenden Gemälden – eben nicht nur einfach ein Bild des Winters, sondern den Entwurf einer Winterstimmung, der weit über das bloße Abbild der Wirklichkeit hinausgeht.

English Version

Bilder: Iwan Fjodorowitsch Schultze (Ivan Fedorovich Choultsé, 1874 – 1939): Winterlicher Sonnenuntergang (Winter sunset; 1920s); wikimedia commons; Jules Breton: Selbstporträt (1896); Antwerpen/Belgium, Royal Museum of Fine Arts (Wikimedia Commons)

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