Der Käfig der Bilder

Mélanie Pain: Peut-être pas (Vielleicht nicht)

Musikalischer Adventskalender 2024/20

Worauf muss man bei dem Bild achten, das man sich in einer Beziehung von dem anderen macht? Das Chanson Peut-être pas (Vielleicht nicht) der französischen Singer-Songwriterin Mélanie Pain regt dazu an, darüber nachzudenken.

Vielleicht nicht

Wenn du siehst, wie Wolken
unseren Weg verdunkeln,
wenn du das Gewitter hörst,
dann möchte ich, dass du auf mich hörst,
dann möchte ich, dass du vernünftig bleibst
und dir im Augenblick des Scheiterns
dieses Bild bewahrst,
das Bild eines Herzens, das zweifelt.

Vielleicht bin ich nicht
die, die ich zu sein glaube,
die, die du siehst.
Vielleicht bin ich besser,
vielleicht nicht, vielleicht nicht.

Dieselbe Sonne unter einem grauen Himmel,
dieselbe Wüste, derselbe Regen,
dasselbe Verlangen, das sich verflüchtigt
in lächelnden Schatten.

Derselbe Überdruss an dem immer gleichen Leben –
denn das Glück hat seinen Preis
und vergibt keinen Kredit
an Herzen, die zweifeln.

Vielleicht bin ich nicht
die, die ich zu sein glaube,
die, die du siehst.

Vielleicht bin ich besser,
vielleicht nicht, vielleicht nicht
als die, die bei jedem Schritt stolpert,
als die, an die du glaubst,
die, die ich in mir sehe.

Vielleicht bin ich besser,
vielleicht nicht, vielleicht nicht.

Wenn du Wolken gesehen hast,
die unseren Weg verdunkeln,
wenn du das Gewitter gehört hast,
während du mir zuhörst,
möchte ich, dass du vernünftig geblieben bist
und dir im Augenblick des Scheiterns
dieses Bild bewahrt hast,
das Bild eines Herzens, das zweifelt.

Mélanie Pain: Peut-être pas aus: My name (2009)

Albumfassung:

Live-Aufnahme

Einengende Bilder als Gefahr für die Liebe

Im Bild eines heraufziehenden Gewitters thematisiert das Lied eine Krise in einer Beziehung. Im Mittelpunkt steht der dadurch ausgelöste Zweifel an dem Bild der eigenen Person, das durch die Beziehung entstanden ist. Dabei geht es sowohl um das Selbstbild als auch um das Bild, das der andere in einem sieht.

Beides kann auf unterschiedliche Weise einengend wirken und so die Entfaltung der Persönlichkeit behindern. Die Problematik muss dabei nicht mit negativen Stereotypen einhergehen. Sie kann vielmehr gerade auch auf einer zu starken Idealisierung beruhen, von der man sich auf Dauer überfordert fühlt.

Die Folge ist ein grundsätzlicher Zweifel an dem Bild, in das man sich durch die Beziehung hineingedrängt fühlt. Dabei geht es auch um die Frage, inwieweit man durch eine neue Beziehung wieder andere Facetten der eigenen Persönlichkeit entdecken könnte.

Lebendige Bilder als Voraussetzung für eine lebendige Liebe

Natürlich kann man sich auch die Frage stellen, ob der Grad der Lebendigkeit einer Beziehung sich nicht gerade daran misst, inwieweit eben keine starren Bil­der entstehen, ob also die Bilder, die man sich von sich selbst und dem anderen in einer Beziehung macht, mit der Beziehung mitwachsen und offen bleiben für Veränderungen.

Mit anderen Worten: Wenn es sich schon nicht vermeiden lässt, dass man die komplexe Wirklichkeit einer anderen Person in ein Bild von ihr zwängt, so sollte dieses Bild sich zumindest an deren eigener Realität orientieren, also von ihr selbst aus gedacht sein.

Ein Bild, das man sich in einer Liebesbeziehung von einem anderen Menschen macht, würde sich damit in besonderem Maße dadurch auszeichnen, dass es auf die Freiheit des ande­ren abzielt. Dies schließt die Möglichkeit mit ein, ihn vorübergehend oder auch auf Dauer „freizulassen“, wenn dies für die Entfaltung seiner Persönlichkeit notwendig er­scheint.

Die Bildnisproblematik bei Max Frisch

Eine besonders intensive Auseinandersetzung mit der Bildnisproblematik findet sich bei dem Schweizer Schriftsteller Max Frisch (1911 – 1991). In seinem Tagebuch notiert er dazu:

„In gewissem Grad sind wir wirklich das Wesen, das die andern in uns hineinsehen, Freunde wie Feinde. Und umgekehrt! Auch wir sind die Verfasser der andern; wir sind auf eine heimliche und unentrinnbare Weise verantwortlich für das Gesicht, das sie uns zeigen, verantwortlich nicht für ihre Anlage, aber für die Ausschöpfung dieser Anlage.“

An anderer Stelle heißt es ergänzend hierzu:

„Eben darin besteht ja die Liebe, das Wunderbare an der Liebe, dass sie uns in der Schwebe des Lebendigen hält, in der Bereitschaft, einem Menschen zu folgen in allen seinen Entfaltungen.“

Über Mélanie Pain

Die aus Caen in der Normandie stammende Sängerin hat nach einem Politikstudium in Clermont-Ferrand zunächst in Paris als Webdesignerin gearbeitet. Seit 2003 übernahm sie Gesangsparts in Elektropop-Produktionen und wirkte dann an dem Musikprojekt Nouvelle Vague mit, einer von Marc Collin und Olivier Libaux gegründeten Cover-Band, die mit unterschiedlicher Besetzung Klassiker des New Waves im Bossa-Nova-Stil aufnahm.

Einer der Band-Gründer, Marc Collin, produzierte 2009 auch ihr erstes Solo-Album (My Name), dem danach noch zwei weitere gefolgt sind. Als Solo-Sängerin hat Mélanie Pain sich vom Nouvelle-Vague-Stil wegbewegt und orientiert sich stärker am klassischen Chanson und an der Tradition der amerikanischen Singer-Songwriter.

Zitate von Max Frisch entnommen aus Ders.: Du sollst dir kein Bildnis machen. In: Tagebuch 1946 – 1949; Gesammelte Werke, Bd. 2, 1976, hg. von Hans Mayer unter Mitwirkung von Walter Schmitz, S. 369 – 371. Frankfurt/Main 1998: Suhrkamp.

Bilder: Diana Blackwell: Junge Frau in einem Käfig, 2011 (Wikimedia commons) Zugeschnitten, verändert über „Künstlerische Effekte / Farben / Korrekturen“; Nicolas Esposito: Mélanie Pain beim Pfeilewerfen, 2009 (Wikimedia commons)

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..