The Tap Tap: Řiditel autobusu (Der Bus-Führer)
Musikalischer Adventskalender 2024/5
Das Lied Řiditel autobusu (Der Bus-Führer) der tschechischen Band The Tap Tap thematisiert am Beispiel eines selbstherrlichen Busfahrers den mühseligen Kampf gegen Behördenwillkür und die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen.
Der Bus-Führer
[Fahrgast:]
Mein neuer Rollstuhl ist so schnell wie der Wind
und so stark wie ein Stier.
Mit ihm fühlt sich die Welt wie ein ewiger Grillabend an.
Ich habe wieder neuen Schwung, ich fühle mich,
als wäre ich mindestens 1,60 Meter groß
und bin ganz im Reinen mit mir.
[Busfahrer:]
Das ist doch kein Rollstuhl, Bürschlein,
das ist ein verdammter Fake!
Das ist ein Fahrrad,
und Fahrräder sind im Bus nicht erlaubt.
Wer ein Fahrrad hat, muss draußen bleiben,
also tschüss und auf Wiedersehen!
Ich bin der Bus-Führer,
hier gelten meine Regeln und meine Gesetze.
Du bist der Führer in diesem Bus,
einem Bus, der in Richtung der Station „Ärger“ fährt.
Fahrräder sind hier nicht erlaubt,
hier steht’s schwarz auf weiß,
zwing mich nicht, deutlicher zu werden!
Wenn du nicht gleich verschwindest,
kannst du dich auf was gefasst machen,
Querulanten wie dich werde ich hier nicht dulden!
Nur weil meine Schuhe kleiner sind als deine,
habe ich nicht weniger Rechte als du!
Also denk mal drüber nach:
Nur weil irgendwo etwas schwarz auf weiß steht,
ist die Realität noch lange nicht schwarz und weiß.
Was für dich wie ein Fahrrad aussieht,
ist für mich eine Fortbewegungshilfe!
Du bist der Führer in diesem Bus,
aber die Welt besteht nicht nur aus Busspuren!
Ich bin der Bus-Führer,
komm mir nicht in die Quere
mit deinem verdammten Fahrrad!
Fahrrad bleibt Fahrrad,
daran ist nichts zu ändern.
Dummkopf bleibt Dummkopf –
manche haben kurze Beine,
manche sind etwas schwer von Begriff.
Fahrrad bleibt Fahrrad,
deine Argumente sind völlig aus der Luft gegriffen.
Dummkopf bleibt Dummkopf –
wer sich auf das Regelwerk beruft,
sollte es besser selbst genauer lesen!
Beförderungsbedingungen, Artikel 6, Paragraph 15:
Andere Fortbewegungshilfen werden wie Rollstühle behandelt, wenn sie diesen in Größe und Gewicht entsprechen.
Ich möchte keine vorschnellen Schlüsse ziehen
und ich will auch keinen Streit,
ich fordere nur das ein, was mir zusteht, verstehst du?
Menschen wie ich sind doch keine Märchengestalten.
Wir sitzen im selben Boot wie du,
also schmeiß uns nicht über Bord!
Wenn ich dich mit deinem Fahrrad hier reinlasse,
büße ich meine ganze Autorität ein.
Da könnte ja jeder kommen!
Regeln sind Regeln,
das kapiert sogar der dümmste Dorfdepp.
Wenn du eine Ausnahme willst,
dann beschwer dich doch bei Schneewittchen, [du Zwerg]!
Ich bin der Bus-Führer,
wende dich doch an Gott, wenn du willst.
Du bist der Führer in diesem Bus,
und nächstes Mal nimmst du mir wahrscheinlich
meinen Stock oder meine Prothese weg!
Ich bin der Bus-Führer,
komm mir nicht in die Quere
mit deinem verdammten Fahrrad!
Fahrrad bleibt Fahrrad,
daran ist nichts zu ändern.
Dummkopf bleibt Dummkopf –
manche haben kurze Beine,
manche sind etwas schwer von Begriff.
Fahrrad bleibt Fahrrad,
deine Argumente sind völlig aus der Luft gegriffen.
Dummkopf bleibt Dummkopf –
wer sich auf das Regelwerk beruft,
sollte es besser selbst genauer lesen!
The Tap Tap: Řiditel autobusu aus:The Tap Tap v Opeře – Mikulášská (2011)
Videoclip:
Wenn starre Regelwerke soziale Teilhabe verhindern
Im Mittelpunkt des Songs, der es im Netz auf rund 20 Millionen Klicks gebracht hat, steht ein Mensch, der im Alltag auf eine Gehhilfe angewiesen ist. Das von Ondřej Ládek (Künstlername Xindl X) geschriebene Lied geht auf eine reale Begebenheit zurück: Ein Mitglied der Band – Marek Valenta – wurde von manchen Busfahrern mit der Gehhilfe, auf die er für seine Fortbewegung angewiesen ist, nicht in den Bus gelassen – unter Missachtung der Beförderungsbestimmungen.
Ein ähnlicher Fall hat sich 2017 in Hamburg zugetragen (s.u.). Dies zeigt, dass die Diskriminierung behinderter Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln keineswegs eine tschechische Spezialität ist.
In dem Videoclip zu dem Song spielt Marek Valenta sich selbst. In die Rolle des Busfahrers schlüpfen außer dem Schöpfer des Songs auch Dan Bárta und Vojta Dyk. Passend zu dem Song bezeichnet der Bandname in Haiti die als öffentliche Verkehrsmittel benutzten, meist bunt bemalten Pick-ups und Kleinbusse.
Psychogramm eines kleingeistigen Bürokraten
Im Videoclip träumt der Busfahrer sich in die Rolle eines Popstars oder eines paramilitärischen Verteidigers der Ordnung hinein. Dadurch wird deutlich, dass es ihm letztlich gar nicht um die Einhaltung der Regeln, sondern vor allem um die Auskostung seiner Macht geht – weshalb er auch nicht als Busfahrer (řidič autobusu), sondern als Chef bzw. „Führer“ des Busses (řiditel autobusu) charakterisiert wird.
So zeichnet der Song in ihm ein karikatureskes Psychogramm jener kleingeistigen Bürokraten, die in totalitären Regimen aller Zeiten und Kulturen den Machthabern zur Durchsetzung ihrer Herrschaft gedient haben. Eben hierauf scheint auch der große Erfolg des Liedes in Tschechien zu beruhen. Offenbar wies der David-gegen-Goliath-Kampf gegen den selbst ernannten „Führer“ des Busses ein hohes Identifikationspotenzial auf.
Bei jenen, die den realsozialistischen Alltag noch selbst erlebt haben, mochte dies Erinnerungen an den Kleinkrieg mit der autoritären Bürokratie geweckt haben. In dem Kampf gegen die Windmühlen der Bürokratie spiegelt sich aber auch allgemein der Widerstand gegen die Bevormundung durch selbstherrliche Regelanbeter wider, mit der auch die Menschen in anderen Staaten immer wieder leidvolle Erfahrungen machen müssen.
Über The Tap Tap
Die Band The Tap Tap geht zurück auf einen Musikklub, den der Musiker und Pädagoge Šimon Ornest 1998 am Prager Jedlička-Institut gegründet hat. Das ursprüngliche Ziel dabei war, Menschen mit Behinderungen nicht nur die allgemeine Teilhabe am Alltag zu ermöglichen, sondern sie auch beim Ausleben ihrer kreativen Potenziale zu unterstützen.
Nachdem aus dem Musikklub eine Band hervorgegangen war, wurde Ornest zu deren Manager. Außerdem spielt er selbst in der Band mit.
Institutioneller Rückhalt der Band ist seit 2014 der Verein TAP, der sich aktiv für Inklusion einsetzt. Dafür werden etwa Fortbildungen oder kulturelle und sportliche Veranstaltungen angeboten, die an die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen angepasst sind. Die Angebote stehen aber gleichzeitig Menschen ohne Behinderungen offen und fungieren so als Brücke in die Gesellschaft.
Radiosendung über die Band:
Zimmermann, Marco: The Tap Tap – Lebensfreude für Musiker und Publikum; Radio Praha, 20. Januar 2013 (deutschsprachige Sendung).
Fernsehbeitrag:
The Tap Tap Orchestra; englischsprachiger Beitrag von TRT World; Showcase,11. Juli 2017.
