Ein poetologisches Gedicht von Bolesław Leśmian
Für den polnischen Dichter Bolesław Leśmian war das menschliche Leben vom Leiden an der Vergänglichkeit geprägt. Eine Erlösung hiervon bot ihm zufolge allein die Kunst, in der ein Widerhall der Ewigkeit eingefangen werden kann.
Eingebettet in die Prozession des Lebens
Mein Körper, eingebettet in die Prozession des Lebens,
beseelt von den Umarmungen der Sonne,
kennt die bizarrste Regung wie die Regungslosigkeit.
Den Tanz der Universen kennt er und den Sternenreigen,
das wirre Wirbeln atemloser Strudel.
Dies alles formt er, dem Takt seines Herzens folgend,
zu Liedern. Denn sein Takt ist nicht der Takt der Sterne,
seine Ewigkeit nicht die der Universen.
Ewig lebt er nur im Lied.
Wenn in seinen violetten Wolkengewändern
der Abend trauernd sich der Nacht ergibt,
ergießen lautlos Gottes Worte sich vom Himmel
und hallen wider still in meiner Brust.
Dann pulsiert das Los der Welt in mir
und füllt mein Blut mit seinen Liedern.
Singend umfange ich den Himmel,
singend sehe ich ins Herz der Erde.
Bolesław Leśmian: Ciało me, wklęte w korowód istnienia aus dem 1938 posthum erschienenen Band Dziejba leśna
Vertonung von Krzysztof Myszkowski / Stare Dobre Małżeństwo (aus dem Album Pod wielkim dachem nieba / Unter dem weiten Himmelsdach; 1992):
Infos zu Bolesław Leśmian in dem Beitrag Der kurze Rausch des Glücks
Podcast zu Bolesław Leśmian
Bild: Ciprian Chiriac: Sonnenuntergang an einem See (Pixabay)