Die Ballada majowa (Mai-Ballade) des polnischen Dichters Józef Baran
Wir alle wissen: Am Ende des Tunnels erwartet uns das Licht. Nur verlieren wir eben in der Finsternis des Tunnels den Glauben an das Licht. So ist – wie in Józef Barans Mai-Ballade – jedes Auftauchen aus den Dunkelheiten unseres Lebens für uns wie eine Rückkehr ins Paradies.
Mai-Ballade
Durch den Eiszapfenwald des Winters
bin ich, Mai, dir entgegengestapft.
Den fahlen Krankenhausfluren des Januars
und den wütenden Februarwinden
habe ich tapfer getrotzt.
Endlich breitest, Mai, du nun
deinen leuchtend bunten Heiligenschein
über die dürstenden Gärten.
Trunken vom wärmenden Atem des Flieders,
taucht meine Seele darin.
Nun säen die weißen Löwenzahnflocken
wieder Kindheitsträume in mir.
Wie jungfräulich sieht, Mai,
die Welt mit deinen Augen aus!
Wie belebend ist dein Lächeln
für den wintermüden Pilger!
Józef Baran: Ballada majowa (Mai-Ballade)
Vertonung von Krzysztof Myszkowski / Stare Dobre Małżeństwo
(aus dem Album Czarny blues o czwartej nad ranem / Dunkler Blues um vier Uhr morgens; 1992); Song mit Mai-Impressionen:
Über Józef Baran
Der 1947 in Krakau geborene Dichter war nach seinem Studium an der dortigen Pädagogischen Hochschule zunächst als Grundschullehrer tätig. Mitte der 1970er Jahre veröffentlichte er erste Gedichtbände. Parallel dazu begann er für die Krakauer Zeitschrift Wieści (Nachrichten) zu arbeiten, deren Kulturredaktion er später leitete. Als Journalist hat er zahlreiche Artikel, Reportagen und Kolumnen veröffentlicht, darunter auch für das in New York erscheinende Nowy Dziennik (Polish Daily News).
Als früher Förderer von Baran gilt der polnisch-jüdische Literaturwissenschaftler Artur Sandauer. Dieser hob die „unmittelbar zu Herzen gehende“ Eigenart von Barans Lyrik hervor [1]. Hierin mag auch der Grund für die Beliebtheit von Barans Gedichten liegen. Sie werden in Polen in der Schule gelesen, viele seiner Werke sind vertont, einige auch in andere Sprachen übersetzt worden.
Eine „unmittelbar zu Herzen gehende“ Lyrik
Die Eigenart von Barans Lyrik, persönliche Empfindungen auf eine allgemein menschliche Ebene zu heben, zeigt sich etwa in seiner Ballada majowa (Mai-Ballade). Die nostalgische Erinnerung an die Kindheit, die das Gedicht enthält, dürfte die Empfindungen vieler Menschen bei der Wiederbegegnung mit den Orten ihrer Jugendzeit treffen.
Bei Baran entspricht dem der verklärende Blick auf die südpolnische Kleinstadt Borzęcin, den Ort seiner Kindheit. Die Landschaft, in der er die ersten Jahre seines Lebens verbracht hat, beschreibt er in einem Interview wie folgt:
„Für mich ist sie die schönste, denn ich schwimme hier wie in den ‚fötalen Gewässern‘ der Kindheit, und diese Landschaften sind in meinem Herzen verankert, und so sind sie am meisten meins.“ [2]
Nachweise
[1] Zit. nachMasłoń, Krzysztof: Prosto, do ludzkich serc; Tygodnik Do Rzeczy 28/330, Juli 2019
[2] Interview mit Józef Baran in Globalna Wioska Borzęchin (Weltdorf Borzęchin)
Weitere Informationen zu Baran entstammen der Website der Stadt Krakau über bedeutende Persönlichkeiten der Stadt: Józef Baran
Bilder: Dorothe Wouters (Darkmoon_Art): Fantasielandschaft (Pixabay)-Detail; Zorro 2212: Józef Baran, Mai 2012 (Wikimedia commons)

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