Es gibt keine Zeit für den Krieg!

Antikriegsgedichte von Jacques Prévert

Den Krieg sah Jacques Prévert fest in den Strukturen der modernen Gesellschaft verankert. Gesellschaftskritik war für ihn daher auch eine Form von gelebtem Pazifismus.

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Friedensreden

Staatstragende Schwüre die Statuen der Worte
der Frieden die Freiheit „la fraternité!“
doch plötzlich ein Stutzen ein Stolpern ein Sturz
in den Schlund einer hohlen Phrase
in den Abgrund eines staunenden Verstehens:
der Mund, weit geöffnet, zeigt die kariöse Wahrheit
hinter dem blütenweißen Lächeln
die Fäulnis der polierten Phrasen
der Frieden die Freiheit „la fraternité!“
zerfressen von der Karies des Krieges:
dem Kapital.

Jacques Prévert: Le discours sur la paix aus: Paroles (Worte, 1946)

Pazifismus abseits des Mainstreams

Pazifist zu sein, war im Frankreich der Nachkriegszeit keine einfache Sache. Von konservativer Seite wurde der Einsatz der französischen Armee gegen die Freiheitsbewegungen in den Kolonien – insbesondere in Algerien – patriotisch überhöht. Gleichzeitig wurde die positive Sicht des Militärs durch den Kampf der Résistance gegen die nationalsozialistischen Besatzer im Zweiten Weltkrieg befeuert – wobei sich hiermit auch jene identifizierten, die sich mit dem faschistischen Vichy-Regime arrangiert oder dieses zumindest passiv ertragen hatten.

So sah sich Jacques Prévert für seine pazifistische Haltung sowohl von linker als auch von rechter Seite Kritik ausgesetzt. Dies galt gerade auch für eines seiner berühmtesten Gedichte, das den Titel Barbara trägt. Darin wird die Zerstörung einer Liebesbeziehung in der vom Krieg besonders betroffenen Hafenstadt Brest rückblickend mit den Worten kommentiert: „Quelle connerie la guerre“ („Was ist der Krieg doch für eine Sauerei“; 1).

Im französischen Original haben die Verse die Form eines Prosagedichts. In ihrer deutschsprachigen Nachdichtung hat Ilona Lay die zentralen Motive des Gedichts zu einem Sonett zusammengebunden:

Brest

Der Regen eine Frau die singt
und hinter Schleiern Brest zerfließend
Lippen schweigend sich umschließend
Floß das sich durch Wolken schwingt

der Regen ein Gewehr das spuckt
und Brest ein bleigetränktes Bluten
Donner schrein zerrissne Fluten
Treibgut das im Hagel zuckt

im Regen singend tote Stimmen
murmelnd ein ergrautes Sinnen
Träume die zu Stahl gerinnen

Gewölk aus Hunden die sich krümmen
Brest ein Meer aus Friedhofsmauern
starrend ein verlassnes Trauern [2]

Der Krieg als Spiegel einer kriegerischen Ökonomie

Prévert hält seinen Kritikern entgegen, dass es keinesfalls einen „guten“ und einen „schlechten“ Krieg gebe [3]. Der Krieg kenne keine Sieger, er gleiche immer einer „schrecklichen Krankheit“, gegen die es keine Impfstoffe gebe [4].

Dabei ist Prévert allerdings weit davon entfernt, den Krieg als quasi naturhaftes Geschehen zu verharmlosen. Vielmehr verweist er ausdrücklich auf die wirtschaftlichen Interessen, die mit dem Krieg verbunden seien, und kritisiert das ökonomische Kalkül, aus dem heraus Kriege geführt würden.

Die Überlegung, „ob ein Massaker als wirtschaftlich sinnvoll angesehen wird oder es an der Zeit sei, sparsam mit Massakern umzugehen“, brandmarkt er als zutiefst inhuman. Diese Zweckrationalität sei sogar beim Umgang mit den im Krieg getöteten Kindern zu beobachten: Anstatt deren Tod generell zu beklagen, bedaure man nur, eventuell versehentlich künftige Genies oder „kleine Mozarts“ getötet zu haben [5].

Ausdrücklich verwahrt sich Prévert vor diesem Hintergrund auch gegen die biblische Sprachregelung, wonach es für alles – und damit, wie es im Buch Kohelet (3,8) explizit heißt, auch „für den Krieg“ – eine Zeit gebe. Selbst eine Bemerkung, wonach es an der Zeit sei, einen Krieg zu beenden, wird von ihm zurückgewiesen, da dies ja impliziere, dass es irgendwann auch mal an der Zeit gewesen sei, den Krieg zu beginnen [6].

Der Krieg als Teil des Alltags

Ein Beispiel für Préverts dichterischen Umgang mit der Verbindung von Krieg und Wirtschaft ist das eingangs wiedergegebene Gedicht Le discours sur la paix (Die Friedensrede). Darin werden die faulen Zähne des Redners mit der Heuchelei seiner hohlen Friedensphrasen assoziiert, durch die der wahre „Nerv“ des Krieges – „die heikle Frage des Geldes“ – bloßgelegt wird.

Das Gedicht spielt damit zugleich auf einen anderen Aspekt an, den Prévert beim Umgang mit der Thematik des Krieges beklagt – nämlich die euphemistischen Begriffe, mit denen über kriegerische Handlungen geredet werde. Prévert erwähnt in dem Zusammenhang u.a. den Begriff der „Säuberung“, mit dem die faktisch verübten Massaker an der Bevölkerung kaschiert würden [7].

Zusätzlich verweist das Gedicht auch auf die von Prévert konstatierte zunehmende Vermischung von Krieg und Frieden. Die moderne Kriegsführung führe dazu, dass alle Bereiche der Gesellschaft vom Krieg und der Vorbereitung auf diesen affiziert würden. Diese Diagnose ist heute, angesichts von hybrider Kriegsführung, globalisierter Wirtschaftskriege und der teilweisen Verlagerung kriegerischer Aktivitäten in den Cyberraum, noch zutreffender als zu Préverts Lebzeiten.

Die bürgerliche Kleinfamilie als Dünger des Krieges

Indem der Krieg den Alltag wie ein Krebsgeschwür durchdringt, werden nach Préverts Überzeugung auch vermeintliche Friedenszeiten von militärischen Belangen dominiert. Dies lasse einen, wie Prévert sarkastisch anmerkt, fast nostalgisch an jene Zeiten zurückdenken, als das Militär noch „nichts mit dem Frieden zu tun“ und „nichts zu ihm zu sagen hatte“ [8].

In dem Gedicht Familiale (Familienleben) veranschaulicht Prévert die Prägung des Alltags durch den Krieg an dem Keim, aus dem heraus sich die Strukturen der bürgerlichen Gesellschaft reproduzieren: der traditionellen Familie. Die klassische Rollenverteilung, die für den Vater den Broterwerb und für die Mutter die Sorge um Haushalt und Erziehung vorsieht, wird hier als Feld beschrieben, auf dem die Saat des Krieges gedeihen kann.

Als Abbild der heiligen biblischen Familie verweist die bürgerliche Kleinfamilie zugleich auf Préverts Antiklerikalismus, in dem die Amtskirche als eine Instanz erscheint, welche die unhinterfragte Hinnahme der bestehenden inhumanen Strukturen unterstützt:

Familienleben

Die Mutter im Stroh
der Vater im Stall
das Kind in der Krippe

Heilige Familie wir beten für dich

Die Mutter lernt kochen
der Vater lernt Geschäftsfreunde kennen
der Sohn lernt Gehorsam

Ehre dem Vater der Mutter und Gott in der Höh‘

Die Mutter in der Küche
der Vater im Kontor
der Sohn in der Kaserne

Der Mutter die Liebe
dem Vater die Pflicht
dem Sohn die Ehre

Heilige Familie wir beten für dich

Die Mutter führt den Haushalt
der Vater führt die Geschäfte
der Sohn führt Krieg

Ehre dem Vater der Mutter und Gott in der Höh‘

Die Mutter wird Großmutter
der Vater wird Großvater
der Sohn wird Vater

Die Mutter wird den Haushalt geführt haben
der Vater wird die Geschäfte geführt haben
der Sohn wird Krieg geführt haben

Blutwurst Blutzoll Blutdurst
der Sohn wird die Geschäfte fortführen
seine Frau wird den Haushalt fortführen

Heilige Familie wir beten für dich

Die Mutter bedient
der Vater verdient
der Sohn dient

Blutwurst Blutzoll Blutdurst

Die Mutter macht sauber
der Vater macht Geschäfte
der Sohn macht

sich aus dem Staub
fällt in den Staub
wird zu Staub

Der Mutter die Liebe
dem Vater die Pflicht
dem Sohn die Ehre

Friedhofsruhe Friedhofsrecke Friedhofsreise

Ehre dem Vater der Mutter und Gott in der Höh‘

Friedhofsruhe Friedhofsrecke

Heilige Familie wir beten für dich

Friedhofsruhe

Heilige Familie wir sterben für dich [9]

Nachweise

[1]      Prévert, Jacques: Barbara. In:Paroles (1946). Paris 1949: Gallimard.

[2]      Aus: Ilona Lay: Versunken. Gedichte, 2008.

[3]      Prévert, Jacques / Pozner, André: Hebdromadaires (1972), S. 104. Paris 1982: Gallimard.

[4]      Ebd., S. 118.

[5]      Ebd., S. 104.

[6]      Ebd., S. 103.

[7]      Ebd., S. 106.

[8]       Ebd., S. 98.

[9]      Nach Prévert: Familiale (PDF). In:  Paroles (1946).

Bild: Peter Ludwigs (1888 – 1943): Der Krieg (1937); Museum Kunstpalast Düsseldorf (Wikimedia commons)

Eine Antwort auf „Es gibt keine Zeit für den Krieg!

  1. Avatar von Boris

    Boris

    Danke für den interessanten Beitrag!- Und nun sind wir wieder dank solcher Despoten wie Putin wieder voll im Kriegsmodus. Manchmal, wenn ich Politikern so zuhöre, habe ich das ungute Gefühl, als hätten manche auf diesen Dammbruch gewartet.
    Übrigens finde ich die etwas freien Nachdichtungen recht gelungen.

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