Winterhitze

Auszug aus Nadja Dietrichs Roman Das russische Labyrinth

Sylvia wird von den mit ihr befreundeten Polina und Aljoscha in ein russisches Dampfbad eingeladen. Aus der angenehmen Hitze in der Banja wird kurz darauf ein tödliches Feuer (Auszug aus Nadja Dietrichs Roman Das russische Labyrinth).

In der Banja

Der rechteckige, nur wenige Quadratmeter große Raum war so stark aufgeheizt, dass Sylvia sich anfangs fühlte, als wäre sie in einen Schnellkochtopf geworfen worden. Schon nach kurzer Zeit begann der Körper sein Fett auszuschwitzen wie eine Kerze, die man neben ein helles Feuer hält.
Sylvia saß an der von dem gusseisernen Ofen abgewandten Wand, Aljoscha auf der Bank über ihr. Polina hatte sich ihr gegenüber gegen die Wand gelehnt, gleich neben dem Ofen, wo Sylvia eine Hitze wie im Inneren eines Vulkans vermutete. Polinas wohliges Lächeln ließ jedoch eher darauf schließen, dass sie an einem Südseestrand lag. Wer nicht gewusst hätte, wo sie sich befand, hätte die glänzenden Tropfen auf ihrer Haut wohl für die perlenden Reste eines Bades im Meer gehalten.
Polina war es auch gewesen, die vorgeschlagen hatte, gleich nach ihrer Ankunft auf der Datscha die kleine Banja aufzuheizen. Der Wunsch war insofern nachvollziehbar, als das zweistöckige Holzhaus nach den vielen kalten Wintertagen natürlich völlig ausgekühlt war. Es war daher durchaus naheliegend, sich in der Banja aufzuwärmen, während der kleine Holzofen in der Datscha wenigstens die unteren Räume notdürftig erwärmte. Allerdings war der Übergang von der winterlichen Kälte in die Hitze der Banja so abrupt, dass er für eine Banja-Novizin wie Sylvia, die das russische Dampfbad bis dahin nur vom Hörensagen kannte, kaum zu ertragen war.
„Nu schto“, fragte Aljoscha, als sie sich einigermaßen an die Hitze in der Banja gewöhnt hatten, „gotówy?“ („Seid ihr bereit?“)
Auf Polinas Nicken hin reichte Aljoscha ihnen zu Sylvias Verwunderung zwei Pelzmützen. Dann begab er sich zu dem großen Zuber mit heißem Wasser, in das Polina einige der auf dem Dachboden getrockneten Kräuter gestreut hatte. Während er sich nach der Schöpfkelle bückte, die neben dem Ofen auf dem Boden lag, fiel Sylvias Blick auf seine schweißnassen Pobacken. Wie ein antiker griechischer Athlet steht er da, dachte sie genießerisch, während sie im Geiste noch einmal die Umarmungen der vergangenen Nacht durchlebte.
Als sie zu Polina herübersah, erkannte sie an deren verschwörerischem Lächeln, dass sie dasselbe dachte. Sie kicherten wie zwei Schulmädchen, und Sylvia war froh, von der Hitze schon so rot im Gesicht zu sein, dass das gefühlte Erröten unsichtbar bleiben musste.
Nachdem Aljoscha sich selbst eine Pelzmütze aufgesetzt und sich vergewissert hatte, dass Sylvia und Polina ebenfalls ihre Haare bedeckt hatten, tauchte er die Schöpfkelle in den Zuber und schüttete das aufgenommene Wasser gegen den Ofen. Es zischte so laut, als würden alle Dämonen der Hölle auf einmal ihren Wüstenatem auf sie loslassen.
Im nächsten Augenblick ging ein dichter Vorhang aus Dunst zwischen ihnen nieder. Sylvia fühlte sich, als würde eine unsichtbare Hand ihr die Luft abdrücken. Schlagartig wurde ihr klar, wofür die Pelzmützen gut waren: Der Dampf war so heiß, dass er einem die Haare versengt hätte, wenn man sie nicht geschützt hätte.
Als Sylvia es noch zwei weitere Male zischen hörte, wusste sie für Sekunden nicht mehr, ob sie Aljoscha nur durch den Dampf hindurch nicht mehr sehen konnte oder ob ihr schwarz vor Augen geworden war. Sobald sie ihren kurzen Schwächeanfall überwunden hatte, genoss aber auch sie das Bad in den Wohlgerüchen, die nun den Raum erfüllten.
In dem Dämmerzustand, in den sie allmählich geriet, begriff Sylvia zunächst nicht, was Polina von ihr wollte, als sie mit einer der bereitgelegten Weidenruten über ihre Beine strich.
„Komm“, sagte sie mit einem schelmischen Lächeln, „wir schlagen uns!“ Erst als Aljoscha das Gemeinte an Polina demonstrierte, erinnerte Sylvia sich an diesen Teil des Banja-Rituals.
„Ai“, rief Polina, als die kleinen Zweige gegen ihren Rücken klatschten. „Ty schto! Nje tak krjépko!“ („Was soll das? Nicht so heftig!“)
Lachend drehte sie sich um und bearbeitete nun ihrerseits den Rücken von Aljoscha. Dabei forderte sie Sylvia gestenreich dazu auf, es ihr gleichzutun. Anschließend musste Sylvia selbst sich von den Spitzen der Zweige traktieren lassen. Auf der erhitzten Haut fühlten sie sich an wie Stecknadeln, die das Blut noch heftiger pulsieren ließen.
Schließlich rief Polina: „Oi, kak žárko! Ochlaždjénije núžno!“ („O, wie heiß! Wir brauchen eine Abkühlung!“)
Damit hakte sie sich bei Sylvia und Aljoscha ein und zog sie nach draußen. Dort warfen sie sich alle drei – splitternackt, wie sie waren – in den Schnee. Polina jauchzte vor Vergnügen, und auch Sylvia stieß unwillkürlich spitze Schreie aus, als ihr überhitzter Körper sich durch den Schnee wälzte. Dann rannten sie zurück in die Banja, wo alles noch einmal von vorn begann. Sylvia wunderte sich, dass ihr Körper diesem Wechsel der Extreme nicht nur standhielt, sondern sich danach sogar viel elastischer und auch irgendwie freier anfühlte, als hätte man eine unsichtbare Kruste von ihm abgesprengt.

Die Flammenfalle

Vor der Fahrt zur Datscha hatte Sylvia sich noch gewundert, warum Aljoscha gleich sechs Halbliterflaschen Bier gekauft hatte. Schließlich musste er die schweren Flaschen ja von der Bushaltestelle aus immerhin noch einen Kilometer weit schleppen. Als sie aus der Banja herauskamen, begriff sie jedoch sofort, wozu die vielen Flaschen gut waren.
Sie war eigentlich keine leidenschaftliche Biertrinkerin. Nach der intensiven Schwitzkur trank aber auch sie in kürzester Zeit eine ganze Flasche aus und kippte dann noch eine zweite hinterher. Auch ihr Appetit war so groß wie schon lange nicht mehr.
Aljoscha und Polina ging es nicht anders. Gemeinsam vertilgten sie einen ganzen Laib Brot und sechs jener „wobla“ genannten getrockneten Fische. Dazu naschten sie von den mit Johannisbeerblättern eingelegten Gurken aus dem Vorratskeller.
Das Schlafzimmer befand sich eigentlich in der oberen Etage. Der kleine Ofen im Untergeschoss erwies sich allerdings als zu schwach, um die oberen Räume mitzuheizen. Deshalb beschlossen sie, die Matratzen herunterzuholen und unten zu übernachten – eine Entscheidung, die ihnen, wie sich später herausstellte, wahrscheinlich das Leben gerettet hat.
Doppelt berauscht von der ungewohnten Hitze in der Banja und dem schnell heruntergekippten Bier fiel Sylvia in einen unruhigen Schlaf. Im Traum sah sie sich noch immer in der Banja sitzen: Es ist viel zu heiß, sie bittet Aljoscha, keinen Dampf mehr zu erzeugen, aber er gießt unaufhörlich Wasser gegen den Ofen. Der Dunst wird immer dichter, bis sie das Gefühl hat, keine Luft mehr zu bekommen. Ein Riese wälzt sich auf sie, er legt seine Hände um ihren Hals, er würgt sie, dann lockert sich sein Griff noch einmal, sie ringt nach Luft …
Sie musste fürchterlich husten, alles um sie her war in einen dichten Nebel gehüllt – nur befand sie sich nicht mehr in der Banja, und es roch auch ganz anders. Es war kein nach Kräutern duftender Wasserdampf, der sie einhüllte, sondern beißender Rauch, und das Zischen kam auch nicht von dem auf den Ofen treffenden Wasser, sondern von einem Feuer, das sich durch das nasse Holz fraß.
Sie rüttelte Aljoscha und Polina wach, die auch schon reflexartig im Schlaf husteten. Sie waren ebenso verstört wie sie, begriffen zuerst nicht, was los war und murmelten unverständliche Worte vor sich hin. Dabei wurde der Rauch immer dichter, die Flammen rückten näher, gierig leckten sie an ihren Körpern.
„Rasch!“ rief Aljoscha schließlich. „Wir müssen hier raus!“
Aber Polina hielt ihn zurück. „Warte“, sagte sie hüstelnd. „Das Feuer kann unmöglich von allein entstanden sein – dafür ist es doch viel zu nass! Wenn aber jemand das Feuer gelegt hat, laufen wir den Brandstiftern doch geradewegs in die Arme, wenn wir nach draußen rennen.“
„Mag sein“, keuchte Aljoscha. „Aber deshalb können wir uns doch nicht verbrennen lassen!“
„Natürlich nicht“, stieß Polina schwer atmend hervor. „Wir können uns im Vorratskeller verkriechen, bis die Gefahr vorbei ist.“
Ohne lange zu zögern, setzten sie Polinas Vorschlag in die Tat um. Ehe sie durch die Luke im Küchenboden in den Keller hinabstiegen, zogen sie noch in aller Eile den Läufer unter dem Wohnzimmertisch weg und breiteten ihn von unten über die Luke, um möglichst wenig Rauch durch die Ritzen dringen zu lassen. Dann hockten sie sich, feuchte Tücher vor den Mund gepresst, in eine Ecke des engen Kellerraums.
Von oben war das Geräusch herabfallender Gegenstände zu hören. Es prasselte und zischte, und schon nach kurzer Zeit gab es einen Knall wie bei einer Explosion: Die Wände stürzten ein. Gleichzeitig füllte sich das Kellerloch allen Abdichtungsversuchen zum Trotz immer mehr mit Rauch.
Rasch breitete sich in dem kleinen Raum eine Hitze aus, die ganz anders war als die in der Banja: unkontrollierbar, erbarmungslos, zerstörerisch. Paradoxerweise waren sie nun darauf angewiesen, dass die Flammen ihr Vernichtungswerk schnell und vollständig zu Ende brachten. Denn nur dann konnten sie darauf hoffen, nicht zu ersticken und die Luke nach dem Ende des Feuers auch wieder öffnen zu können.
Nach einer Weile, als Sylvia schon eine gefährliche Trübung ihrer Sinne spürte, schien sich der Feuersturm allmählich zu legen. Offenbar hatten die Flammen die Formen, die dem Holz abgerungen worden waren, bereits vollständig zerstört und waren nun nur noch dabei, die Einzelteile zu Asche zu verbrennen. Da die Rauchentwicklung mittlerweile fast unerträglich war, nuschelte Aljoscha unter seinem Tuch: „Ich geh‘ mal nachsehen, ob sich die Luke öffnen lässt.“
Er war schon auf die Treppe gestiegen, als sie plötzlich von oben Stimmen hörten. „Njétu ich“, sagte eine der Stimmen. „Oschíblas‘ nawjérno.“
„Da wrjot oná!“ entgegnete eine andere Stimme.
„Poschlí!“ ließ sich daraufhin wieder die erste Stimme vernehmen.
Dann hörten sie das Geräusch sich entfernender Schritte. Gespannt lauschend verharrten sie in ihrem Versteck. Als nichts mehr zu hören war, übersetzte Polina für Sylvia, was die beiden Stimmen gesagt hatten: Irgendeine Frau habe sich entweder geirrt oder gelogen. Um wen es sich dabei handelte, blieb zwar unklar, doch hatte die Frau offenbar verraten, wo sie sich aufhielten.
Wenigstens hatten die Brandstifter ihr Versteck nicht gefunden. Leider lag jedoch so viel Geröll auf der Luke, dass diese sich nicht öffnen ließ. So blieb ihnen nichts anderes übrig, als in dem verrußten, langsam abkühlenden Kellerloch auszuharren und darauf zu hoffen, dass sie anderntags jemand entdecken würde.

Buch:

Podcast, vierte Episode: Sylvia gerät immer tiefer in das Labyrinth aus Verfolgung und Intrigen hinein. Es wird deutlich, dass die Bedrohung, der sie ausgesetzt ist, von mehreren Seiten ausgeht.

Bild: Witalij Gawrilowitsch Tichow (Vitaly Gavrilovich Tichov; 1876 – 1939): In einem russischen Dampfbad (1916); Wikimedia commons

Eine Antwort auf „Winterhitze

  1. Avatar von Jakob Münter aus Bremen

    Jakob Münter aus Bremen

    Ich lese gerade das eBook. Ich finde es sehr spannend. Neben der spannenden Handlung gibt es auch ein gutes Stimmungsbild aus Russland Anfang der 2000er Jahre. Ein richtig gelungener Kriminalroman ohne die üblichen Belehrungen und Klischees!

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