Was Teufel, Satan und Luzifer für uns bedeuten
Eine Meditation von Bruder Norabus
Ein teuflischer Traum hat Bruder Norabus über die dunkle Seite unserer Existenz nachdenken lassen: Was meinen wir eigentlich genau, wenn wir „Teufel“, „Satan“ oder „Luzifer“ sagen?
Ein teuflischer Traum
Letzte Nacht hatte ich einen sehr unangenehmen Traum. Ein früher Wintereinbruch hatte viele der schönen Phlox-Stängel umgeknickt, die gerade erst ihre leuchtenden Blüten ausgebildet hatten. Das tat mir leid, und also beschloss ich spontan, die nicht mehr zu rettenden Blumen abzuschneiden und sie zu kleinen Sträußen zusammenzubinden. In diese flocht ich Kärtchen mit meinen Lieblingspsalmen und ging dann in die Stadt, um dort meine blumigen Präsente zu verteilen.
Was ich mir davon versprochen habe, kann ich nicht sagen. Träume haben ihre eigene Logik. Noch deutlicher wurde dies, als ich mit meinen Blumensträußen auf einzelne Personen zuging. Sobald sie mich auch nur von ferne sahen, wichen sie mir nicht nur aus, sondern machten einen großen Bogen um mich. Manche drehten sich sogar um und wählten einen anderen Weg, um mir nicht begegnen zu müssen.
Fürchteten sie etwa, ich könnte sie um ein Almosen bitten? Oder sie bekehren wollen? Aber wie hätten sie eigentlich darauf kommen sollen? Sie konnten ja gar nicht wissen, was ich vorhatte! Schließlich machten sie alle schon kehrt, ehe ich auch nur die Andeutung einer Bewegung in ihre Richtung machen konnte.
Eine ungeheure Abstoßungsreaktion ging von mir aus. Es war, als hätte ich mich selbst in den Wintersturm aus meinem Traum verwandelt. Alles stob auseinander, sobald ich ihm zu nahe kam. Wie trockenes Laub, in das der Herbstwind bläst, flohen die Menschen meine Nähe.
Was war nur geschehen? Was erschreckte die Entgegenkommenden so sehr an meiner Erscheinung, dass sie noch nicht einmal in einigen Metern Entfernung an mir vorbeigehen wollten?
Da hörte ich, wie sich ein Raunen in der Straße erhob, ein Tuscheln und Gemurmel, das hinter meinem Rücken stetig anschwoll. Zuerst konnte ich nur einzelne Laute unterscheiden, dunkle Laute, die wie die Rufe der Käuze im nächtlichen Wald klangen. Dann aber formten sich daraus allmählich einzelne Silben. Am Ende setzten sie sich zu einem Wort zusammen, das ich zunächst nicht verstand, weil ich es nicht wahrhaben wollte: „Sa-ta-nas …“
Vor allem war mir nicht klar, was die Anspielung auf den bösen Feind mit mir zu tun haben sollte. Ich wollte doch nur Blumen verschenken, leuchtende Blumen und ein paar Psalmenworte!
Erschöpft blieb ich vor dem Schaufenster eines Friseursalons stehen. Zwischen Mannequins mit extravaganten Frisuren befand sich auch ein Spiegel, wohl um den Vorübergehenden zu zeigen, wie weit sie von dem exquisiten Frisurenideal entfernt waren. Und dieser Spiegel verriet mir nun, warum alle vor mir wegrannten. Er zeigte mich als ein Wesen mit Ziegenbart, rötlicher Gesichtsfarbe, durchdringendem Blick und Haaren, die wie Hörner zu Berge standen.
Kein Zweifel: Ich selbst war der böse Feind, die Inkarnation alles Finsteren, das die Menschheit seit Urzeiten bedroht!
Ein übler Geruch
Als ich am anderen Morgen erwachte, brauchte ich erst einige Zeit, bis ich mich aus den Fängen des Traumes lösen konnte. Lange blieb ich in einem Dämmerzustand gefangen, in dem ich mich von aller Welt verlassen und verstoßen fühlte, obwohl ich meinen Mitmenschen doch eigentlich nur Gutes hatte tun wollen.
Dann aber lichtete sich allmählich die Dunkelheit, und es gelang mir, den Nährboden des Traumes zu ergründen. Im Klostergarten ist in diesem Jahr der Schnittknoblauch besonders üppig gesprossen. Beim Mittagessen mit meinen Mitbrüdern habe ich mir wohl etwas zu viel davon in meinen Gemüseeintopf geschnippelt.
Daraufhin hat unser Abt erst die Nase gerümpft und dann halblaut zu seinem Nachbarn gesagt: „Was ist denn das für ein übler Geruch? Man könnte ja fast meinen, der Leibhaftige wäre hinter einem von uns her!“ Dabei blickte er betont unauffällig in meine Richtung.
Es war eine sehr peinliche Situation, zumal im Refektorium ansonsten stets das Schweigegebot gilt. Alle sahen mich an, so dass ich mich in der Tat wie ein Aussätziger fühlte – wie der für alle Zeiten Verstoßene und Verdammte, auf den Bruder Ägidius angespielt hatte.
Hinzu kam, dass ich mir am Vortag vor dem Zubettgehen meine spärliche Haarpracht gewaschen und nicht gewartet hatte, bis sie vollständig getrocknet war. So standen die widerborstigen Strähnen am nächsten Morgen wie kleine Hörner von meinem Kopf ab, als wäre ich dem bösen Feind begegnet – oder hätte selbst seine Gestalt angenommen.
Aber wie das mit Träumen so ist: Man kann zwar erklären, woher sie ihre Bilder nehmen. Auflösen lässt sich die Welt, die sie damit erschaffen, aber nicht. Je stärker ein Traum uns in seinen Bann zieht, desto mehr färbt er die Seele mit seinen Stimmungen. Schlimmstenfalls bleiben wir dann den ganzen Tag eingehüllt in die Wolke aus dunklen Ahnungen, die der Traum über uns ausgegossen hat.
Als eine Art Reinigungsritual habe ich mich deshalb gezielt dem Quell der Unruhe zugewandt, die der Traum in mir ausgelöst hat. Das heißt, ich habe angefangen, mir noch einmal genauer über das Wesen jener dunklen Macht Gedanken zu machen, als deren Ebenbild der Traum mich dargestellt hat. Vielleicht, so dachte ich, gäbe es ja doch noch tiefere Ursachen für dieses Traumbild. War es vielleicht ein Hinweis darauf, dass ich der dunklen Seite meines Wesens zu wenig Beachtung schenkte – und eben deshalb Gefahr lief, von ihr überflutet zu werden?
Im Bestreben, mich der Welt der Finsternis betont nüchtern zu nähern, bin ich zunächst von den unterschiedlichen Gestalten ausgegangen, die für uns das Wesen dieser Welt personifizieren. Ich habe mich also gefragt, was genau wir eigentlich meinen, wenn wir „Teufel“, „Satan“ oder „Luzifer“ sagen. Woher kommen die damit verbundenen Vorstellungen? Und welche Aspekte unserer dunklen Seite assoziieren wir jeweils damit?
Vollständige Meditation als Podcast auf Literaturplanet zum Hören:
Von lichter Finsternis und finsterem Licht. Was Teufel, Satan und Luzifer für uns bedeuten

auch als eBook erhältlich
Bild: Franz von Stuck (1863 – 1928): Luzifer; Nationale Kunstgalerie Sofia (Wikimedia commons)
Elias
Sehr interessante Gedanken. Ich musste mir das Podcast zweimal anhören, um alles auch zu erfassen. Vielen Dank für die Denkanstöße!
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