Habib Koité: Africa
Musikalischer Adventskalender 2023: 16. Mali /Musical Advent Calendar 2023: 16. Mali
In seinem Song Africa fordert der malische Singer-Songwriter Habib Koité seine Landsleute auf, sich lieber auf die eigenen kulturellen und materiellen Ressourcen zu besinnen, anstatt sich von westlicher Hilfe abhängig zu machen.
Podcast
Afrika
Die Söhne Afrikas wollten spazieren gehen.
Weit, weit sind sie gegangen,
bis an die Grenzen des Kontinents,
wo sie gelernt haben,
wie die Dinge anderswo laufen.
Wir selbst haben früher immer
alle Welt bei uns aufgenommen
mit unserem angeborenen Sinn für Gastfreundschaft,
unserer natürlichen Würde und Noblesse.
Als wir nun aber auf unserem Spaziergang
die Schwelle zur Welt der anderen überschreiten wollten,
hat man uns an der Grenze
in Ceuta [an der Meerenge von Gibraltar] gesagt:
„Sorry, aber euer angeborener Sinn für Gastfreundschaft
existiert bei uns nicht!“
Also sind die Söhne Afrikas heimgekehrt,
getreu dem Sprichwort:
„Besser eine unansehnliche Frau als ein leeres Zimmer!“
Zwar hatten sie von den kostbaren Hilfeleistungen
von denen jenseits der Grenze gehört.
Aber nun hatten sie erst mal genug
von den leeren Versprechungen.
// Hilfe … Hilfe … Schluss mit der Hilfe für Afrika! //
Afrika: zur Armut verdammt!
Afrika: zur Korruption verdammt!
Afrika: ein Sumpf aus korrupten Eliten!
Afrika: Kriege und Völkermorde!
Die Vereinten Nationen haben entschieden:
Die Armut soll bekämpft werden.
Die Aids-Epidemie soll bekämpft werden.
Die Kindersterblichkeit soll bekämpft werden.
Mama Afrikas eigener Reichtum soll bekämpft werden.
// Hilfe … Hilfe … Schluss mit der Hilfe für Afrika! //
Die Utopie der Gerechtigkeit …
Hilfe … Schluss mit der Hilfe für Afrika!
Solidarität …
Hilfe … Schluss mit der Hilfe für Afrika!
Die Illusion ist trügerisch, aber Träumen ist erlaubt!
Schluss mit der Hilfe für Afrika!
Afrika wird seinen Weg schon irgendwie gehen.
Schluss mit der Hilfe für Afrika!
Mein Stolz als Afrikaner heißt: Mambo!
Schluss mit der Hilfe für Afrika!
Wir sitzen alle im gleichen Boot!
Schluss mit der Hilfe für Afrika!
Afrika wird seinen Weg schon irgendwie gehen …
Habib Koité mit der Band Bamada: Africa (bis zum Refrain auf Bambara gesungen, danach auf Französisch) aus: Afriki (2007; vollständiges Album auf Bandcamp abrufbar)
Unplugged-Fassung mit Vusi Mahlasela:
Albumfassung:
Westliche Mildtätigkeit? – Nein, danke!
In der Weihnachtszeit werden in zahlreichen Spendenaktionen auch wieder die Armen und Hilfsbedürftigen dieser Welt in den Fokus gerückt. Besonders oft sind dabei Menschen in Afrika Objekte der weihnachtlichen Barmherzigkeitsaufwallungen.
Die Frage ist nur: Wollen sie in Afrika unsere Barmherzigkeit überhaupt haben? Wollen sie ein Objekt unserer Mildtätigkeit sein, ein Spiegel für das gottgefällige Europa?
In dem Song Africa von Habib Koité und seiner Band Bamada, der die Probleme des Kontinents aus einer Innenperspektive thematisiert, lautet die Antwort ganz eindeutig: Nein!
Bekenntnis zu den eigenen Wurzeln
Das Lied von Koité – einem 1958 im Senegal geborenen Künstler, der im malischen Bamako lebt – würde, von einem Europäer gesungen, ohne Zweifel als rassistisch gebrandmarkt werden. Denn die mantraartig wiederholte Kernaussage lautet: „Assez aidé Africa!“ („Afrika ist genug geholfen worden.“) Auch das Bekenntnis zu einer „fierté nègre“, einem „schwarzen Stolz“, der sich im „Mambo“ – einem in Kuba entstandenen Musik- und Tanzstil mit afrikanischen Wurzeln – manifestiere, klingt in europäischen Ohren nach einem abwertenden Stereotyp.
Von einem Afrikaner geäußert, erhalten die Worte allerdings eine andere Akzentuierung. Das Bekenntnis zum Ungezwungenheit und Lebensfreude ausstrahlenden Mambo erscheint dann als Appell, sich der eigenen kulturellen Wurzeln bewusst zu bleiben und sich beim Auf- und Umbau afrikanischer Gesellschaften daran zu orientieren. Dieser Appell ergibt sich in dem Lied unmittelbar aus der Absage an die europäische Kultur und ihre Fremdenfeindlichkeit, die der eigenen „angeborenen“ Gastfreundlichkeit gegenübergestellt wird.
Die hohen Kosten westlicher Hilfen
Vor diesem Hintergrund wird auch die Hilfe der Europäer und der übrigen Welt für den afrikanischen Kontinent problematisiert. Zwar würden dadurch, wie der Text einräumt, Armut, Kindersterblichkeit und Krankheitsepidemien bekämpft. Bezahlt werden müsse dies jedoch, so die Kritik in dem Song, damit, dass „Mama Afrika“ alles aufzugeben habe, was sie aus sich selbst heraus hervorbringe. Dies lässt sich sowohl auf die autochthonen Kulturen beziehen als auch auf die Rohstoffe, deren Ausbeutung de facto die unhinterfragte Gegenleistung für die Hilfeleistungen darstellt.
Angesichts der bevormundenden Art der Unterstützung plädiert das Lied dafür, auf diese Art der Hilfe zu verzichten. Koité verschweigt nicht, dass viele afrikanische Probleme hausgemacht sind: Die im „Treibsand“ ihrer Habgier versinkenden afrikanischen Regierungen, die Kriege und die Völkermorde zeigen, dass die Utopie eines solidarischen, sozial gerechten Afrikas einstweilen nichts weiter ist als eine „trügerische Illusion“.
Bei den sich daraus ergebenden humanitären Katastrophen ist westliche Hilfe nicht nur erwünscht, sondern dringend notwendig. Der Skandal besteht hier auch nicht in einer falsch verstandenen oder schlecht organisierten Hilfe, sondern darin, dass den Hilfsorganisationen von der Weltgemeinschaft zu geringe finanzielle Mittel zugesagt und diese zudem oft nicht rechtzeitig oder gar nicht ausgezahlt werden.
Dennoch plädiert Koité dafür, an dem Traum eines sich selbst helfenden Afrikas festzuhalten. Denn die Gewalt, der Hunger und die sozialen Verwerfungen, unter denen die Länder des Kontinents leiden, sind ja ebenfalls eng mit ihren Beziehungen zum wohlhabenderen Teil der Welt verbunden.
Die Kriege werden genährt von den Waffenschmieden der Industrienationen, die Bereicherung der korrupten Eliten wäre undenkbar ohne die Geschäftspartner im Westen, die sich auf die einträglichen Geschäftsbeziehungen mit ihnen einlassen. Und das soziale Elend beruht zumindest teilweise auch darauf, dass die Exporte nach Afrika den Aufbau einer unabhängigen afrikanischen Industrie – und eines damit verbundenen Arbeitsmarkts – behindern.
Über Habib Koité
Habib Koité wurde 1958 im Senegal geboren. Da sein Vater die Eisenbahnstrecke Dakar-Bamako mitbetreute, zog die Familie ein Jahr nach Koités Geburt nach Mali um. Dort wuchs er als eines von 18 Kindern in einer afrikanischen Großfamilie auf.
Unter Koités Vorfahren finden sich zahlreiche Griots – afrikanische Barden, die auf Festen und Marktplätzen für den Gesang und die damit einhergehende Tradierung der Geschichte der jeweiligen Völker zuständig sind. In Koités Familie wurde diese Tradition von seiner Mutter fortgeführt, die Koité schon früh auf der Gitarre begleitete. Sein besonderes musikalisches Talent veranlasste die Familie, ihn an der Kunsthochschule in Bamako Musik studieren zu lassen.
Zusammen mit der 1988 gegründeten Band Bamada schlug Koité einen Weg als professioneller Musiker ein, der ihn bald auch über die Grenzen Malis hinaus bekannt machte. Koités Werke lassen sich keineswegs nur dem Ethno-Folk zurechnen. Vielfach handelt es sich eher um Singer-Songwriter-Stücke mit ethno-musikalischen Elementen. Für diese greift Koité auch immer wieder auf nicht-afrikanische Musikrichtungen zurück.
Teilweise hat Koité sich allerdings auch ganz bewusst den musikalischen Traditionen seiner malischen Heimat zugewandt und diese in seinen Werken wiederaufleben lassen. Dabei hat er sich auch darum bemüht, mit seiner Musik Brücken zwischen den verschiedenen Volksgruppen in Mali zu schlagen.
In besonderem Maße gilt dies für Desert Blues,ein gemeinsames Projekt mit einer Musikgruppe der Tuareg, einem im Norden Malis lebenden Nomadenvolk, das in der Vergangenheit immer wieder in blutige Auseinandersetzungen mit anderen Volksgruppen verwickelt war. Den französischen Filmemacher Michel Jaffrenou hat das Projekt 2006 zu dem Film Jusqu’à Tombouctou („Bis nach Timbuktu“) inspiriert.
Kolonialismus heute. Zur Kontinuität kolonialer Strukturen.

English Version
A Plea for a Self-Confident Africa
Habib Koité: Africa
In his song Africa, Malian singer-songwriter Habib Koité encourages his compatriots to rather trust in their own cultural and material resources instead of depending on Western aid.
Africa
The sons of Africa wanted to go for a walk.
Far, far they went,
to the borders of the continent,
where they had learned
how things work elsewhere.
On our continent, we were used to welcome
the whole world in our home
with our innate sense of hospitality,
our natural dignity and nobility.
But when we were about to cross the threshold
to the world of the others,
we were told at the border
in Ceuta [at the Strait of Gibraltar]:
„Sorry, but your innate sense of hospitality
does not exist here!“
So the sons of Africa returned home,
following the saying:
„Better an unattractive woman than an empty room!“
True, they had heard of the precious gifts
from those on the other side of the border.
But for the time being, they were fed up
with the empty promises.
// Help … Help … No more aid for Africa! //
Africa: condemned to poverty!
Africa: doomed to corruption!
Africa: a swamp of corrupt elites!
Africa: wars and genocides!
The United Nations have decided:
Poverty is to be fought.
The AIDS epidemic is to be fought.
Child mortality is to be fought.
Mama Africa’s own wealth is to be fought.
// Aid … Aid … No more aid for Africa! //
The utopia of justice …
Aid … No more aid for Africa!
Solidarity …
Aid … No more aid for Africa!
The illusion is deceptive, but dreaming is allowed!
No more aid for Africa!
Africa will find its way somehow.
No more aid for Africa!
My pride as an African is called: Mambo!
No more aid for Africa!
We are all in the same boat!
No more aid for Africa!
Africa will find its way somehow …
Habib Koité with the and Bamada: Africa (sung in Bambara up to the chorus, then in French) from: Afriki (2007; full album available on Bandcamp)
Unplugged version with Vusi Mahlasela
Western Charity? – No, Thanks!
During the Christmas season, numerous fundraising campaigns once again focus on the poor and needy of this world. Particularly often, people in Africa are the objects of the Christmas surge of mercy.
But the question is: Do they want our mercy in Africa at all? Do they want to be an object of our charity, a mirror for the God-pleasing Western world?
In the song Africa by Habib Koité and his band Bamada, which addresses the problems of the continent from an internal perspective, the answer is quite clearly: No!
Commitment to Africa’s Own Roots
The song by Koitè – an artist born in 1958 in Senegal who lives in Bamako, Mali – would undoubtedly be considered racist if sung by a European. For the mantra-like repeated core message is: „Assez aidé Africa!“ („Africa has been given enough aid.“) The commitment to a „fierté nègre“, a „black pride“ that manifests itself in the „mambo – a style of music and dance with African roots that originated in Cuba – also sounds like a pejorative stereotype to Western people.
However, uttered by an African, the words take on a different accentuation. The commitment to the mambo, which radiates spontaneity and joie de vivre, then appears as an appeal to remain aware of Africa’s original cultural roots and to be guided by them in the development and transformation of African societies. In the song, this appeal arises directly from the rejection of European culture and its xenophobia, which is contrasted with Africa’s „innate“ hospitality.
The High Cost of Western Aid
Against this backdrop, aid from Europeans and the rest of the world to the African continent is also viewed critically. The song admits that it helps fight poverty, child mortality and disease epidemics. However, according to the criticism in the song, this must be paid for by „Mama Africa“ through giving up everything that she brings forth from herself. This can be related to the autochthonous cultures as well as to the raw materials whose exploitation is in fact the unquestioned compensation for the aid.
In view of the patronising nature of this kind of assistance, the song pleads for doing without it. Koité does not hide the fact that many African problems are homemade: The African governments drowning in the „quicksand“ of their greed, the wars and the genocides show that the utopia of a solidary, socially just Africa is for the time being nothing more than a „deceptive illusion“.
In the resulting humanitarian disasters, Western aid is not only desirable but urgently needed. Thus, the scandal here does not consist in misunderstood or poorly organised aid, but in the fact that the aid organisations are granted too little financial resources by the international community and that these resources are often not disbursed on time or even not paid out at all.
Nevertheless, Koité pleads for holding on to the dream of a self-sustaining Africa. After all, the violence, hunger and social upheavals suffered by the continent’s countries are also closely linked to their relations with the wealthier part of the world.
The wars are fuelled by the arms factories of the industrialised nations, the enrichment of the corrupt elites would be unthinkable without the business partners in the West who engage in the lucrative relationships with them. And the social misery is based, at least in part, on the fact that exports to Africa hinder the development of an independent African industry and a corresponding labour market.
About Habib Koité
Habib Koité was born in Senegal in 1958. Since his father worked on the Dakar-Bamako railway line, the family moved to Mali one year after Koité’s birth. There he grew up as one of 18 children in an extended African family.
Among Koité’s ancestors are numerous „griots“ – African bards who perform at festivals and marketplaces, thus passing on the history and culture of their peoples to the listeners. In Koité’s family, this tradition was carried on by his mother, who accompanied Koité on the guitar from an early age. His exceptional musical talent prompted the family to let him study music at the art academy in Bamako.
Together with the band Bamada, founded in 1988, Koité started a career as a professional musician and soon became known beyond the borders of Mali. Koité’s songs can by no means be categorised solely as ethno-folk. Many of them are rather singer-songwriter pieces with ethno-musical elements. For these, Koité also repeatedly draws on non-African musical styles.
In some cases, however, Koité has consciously turned to the musical traditions of his Malian homeland and revived them in his works. In doing so, he has also endeavoured to build bridges between the different ethnic groups in Mali with his music.
This is especially true of Desert Blues, a joint project with a music group of Tuaregs, a nomadic people living in the north of Mali who have been involved in bloody conflicts with other ethnic groups time and again in the past. In 2006, the project inspired Michel Jaffrenou to make the film Jusqu’à Tombouctou („All the Way to Timbuktu“).
Bilder / Images: Rapheal Nathaniel (Nigeria): Kinder auf der Straße / Children on the street (Pixabay); Tom Beetz: Habib Koité ( Wikimedia)